Geschrieben am 1. Mai 2020 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2020

Peter Christian Hall: Glosse #covid-19

Corona-Gewinn

Einsamer nie als im April unterm strahlenden Virus-Himmel auf dem schönsten deutschen Universiäts-Ccampus, dem Frankfurter nämlich. 

Sucht man im Grünenburg-Park den heißen Atemwolken der auch in so unsicheren Zeiten unermüdlich auf ihre Fitness bedachten Jogger jeglichen Geschlechts aus dem Weg zu gehen, findet man gleich nebenan auf dem bis zur Selbstverfremdung vereinsamten Campusgelände gähnend leeren Platz so viel man nur möchte. Der wird allenfalls, tröstlicherweise, hin und wieder  von einem jungen Vater und seinem gerade erst gehfähig gewordenem und mit einem Sturzhelm bewährtem Nachwuchs als gefahrenfreier Auslauf entdeckt. 

Der Weg an Fritz Klimschs nackter Stenotypistin und Jaume Plenas „The Body of Knowledge“ vorbei bis zu Vladmir Zakharovs Adorno-Denkmal rechts neben Ferdinand Heides imposantem Hörsaalzentrum ist ein kulturgeschichtlich aufgeladener Spaziergang über das einstige Affensteiner Feld Heinrich Hoffmanns, zu dem einen in der verordneten Isolation lebenden Westend-Bewohner die Sonne Tag um Tag lockt – könnte man meinen, und trifft dennoch und dankenswerterweise den einen um den anderen Tag fast niemanden. Kommt man dann, vom eigenen Bildungsbewusstsein Hause und greift endlich mal wieder zu den hochgeschätzten „Minima Moralia“, findet man dort wie zufällig: 

„Daß die Intellektuellen Nutznießer der schlechten Gesellschaft und doch diejenigen sind, von deren gesellschaftlich unnützer Arbeit es weithin abhängt, ob eine von Nützlichkeit emanzipierte Gesellschaft gelingt, das ist kein ein für allemal akzeptabler und damit irrelevanter Widerspruch. Er zehrt unablässig an der sachlichen  Qualität. Wie der Intellektuelle es macht, macht er es falsch. Er erfährt drastisch, als Lebensfrage die schmähliche Alternative, vor welche insgeheim der Kapitalismus alle seine Angehörigen stellt: auch ein Erwachsener zu werden oder ein Kind zu bleiben.“ – 

und fühlt sich mal wieder ertappt. Griffe man dann auch noch zum wichtigsten Gedichtbuch der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, fände man dort im nicht mehr exakt erinnerten Gedicht „Corona“ die unwidersprechbar wahren Schlussverse: 

„Es ist Zeit, daß es Zeit wird. / Es ist Zeit.“.

Corona sei Dank, ziehen wir wieder öfter einmal eines der wohlvertrauten Bücher aus dem Regal; insofern eilt es mir gar nicht so sehr mit der Rückkehr zur selbstverständlich auch notwendigen Normalität.

PCH

Peter Christian Hall, der zusammen mit Alf Mayer in prähistorischer Zeit das Monatsmagazin „medium“ redigierte, Deutschlands erste Medienzeitschrift, ist Autor der Studie Grotesk. Der Vermittlungsmodus ‚falsches Zugleich‘. CulturMag-Besprechung hier: Das Ende der Welt als Zusammenhang.
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