
Bedeutungslos durchs All
Ein Essay von Markus Pohlmeyer
Die Hauptrollen in diesem Film sind auf Raum und Zeit verteilt, auch wenn Menschen vorkommen.[1] Bedeutungslos. Kurz zum Inhalt: Auf dem Weg zum Mars – die Erde ist nun endgültig verwüstet – wird das Luxusraumschiff Aniara von Weltraumschrott getroffen, beschädigt und driftet in die Weiten des Alls. Die Illusion, bald umkehren zu können, zerbricht. Jahr für Jahr fliegt die Aniara ins Nichts. Ein Computer (Mima), der die guten Erinnerungen der Besatzungsmitglieder an die Erde simuliert, zerstört sich irgendwann selbst vor Schmerz; der Weg eines eskapistischen Ausflugs ins Virtuelle zerbricht somit. Es entstehen verschiedene religiöse Kulte, wie z.B. Prozessionen durch die Gänge oder sexuelle Orgien. Bedeutungslos. Wirkungslose Gesten.

Mimarobe, die Betreuerin von Mima, geht eine Partnerschaft mit Isagel ein, die, von einer Orgie schwanger, später sich und ihr Kind umbringen wird. Mimarobe gelingt es zuvor, Projektionen von wunderbaren Naturlandschaften an die Schiffsfenster zu projizieren – ein schmerzlicher Kontrast zur schweigenden Schwärze des Alls. Der Mensch kann nur über Wissenschaft und Technik mit dem All interagieren oder, um es mit Hartmut Rosa zu formulieren, in Resonanz treten. Die Besatzung fühlt sich im Grunde mehreren Resonanzkatastrophen ausgesetzt: ein zerstörter Heimatplanet; die Resonanz mit Mima führt in deren Autodestruktion; und keine Resonanz mit Raum und Zeit; Mimarobe erlebt stellvertretend eine zunehmende, unaufhaltsame Unverfügbarkeit ihrer Welt, was sich am härtesten im Suizid ihrer Lebenspartnerin manifestiert.[2]

Wenn es irgendwo Sinn und Ziele gegeben haben sollte, dann räumt der Film diese wie Requisiten von seiner Schaubühne. Aber da gibt es noch einen retardierenden Hoffnungsschimmer, nachdem die Mannschaft ein kleines, unbemanntes Schiff, eine Sonde?, in weiter Ferne entdeckt hat. Für viele Monate keimt Hoffnung auf. Von der Erde, mit neuem Brennstoff? An Bord verbracht, erweist sich dieses Ding unzugänglich, unverfügbar. Es kann nicht geöffnet und verstanden werden. Der Erzählstrang läuft ins Leere. Das Raumschiff vermüllt im Laufe der Jahre, die Besatzung schrumpft.
Am Schluss brechen Erzählzeit und Erzählte Zeit noch drastischer auseinander: „Jahr 5.981.407 Lyra Konstellation“[3](Kurz davor noch „Jahr 24 Sarkophag“). Die Zuschauerin/der Zuschauer sieht Licht einer Sonne, um das die letzten Menschen so sehr gefleht haben, durch einen leeren Gang scheinen, in dem Müll und anderes schweben … und ein menschlicher Kieferknochen (?). Die Aniara fliegt auf einen Planeten zu – so wunderschön wie die Erde, bevor sie von den Menschen vernichtet wurde. Was vom Menschen bleibt? Sein archäologisches Artefakt, das Raumschiff. Es hat unvorstellbare Zeit und unermessliche Räume durchquert, die doch nur ein Nichts sind im Vergleich zur Ausdehnung des Universums. Unsere Technik vermag zwar die Raumzeit zu durchqueren, aber nicht wir.


Wie fühlte ich mich bei diesem Film? Nur ein Beobachter? Wer erzählt? Wenn es keine Menschen mehr gibt? Wer erzählt wem? Natürlich war auch bei der ‚Schöpfung‘ niemand dabei, aber wir erzählen davon, religiös und-oder wissenschaftlich. Aniara konfrontiert mich gnadenlos mit der verlorenen, verletzlichen Schönheit unseres Planeten. Aber weit entfernt, moralisierend aufzutreten. Der Film zeigt nur. Bedeutungslosigkeit. Ein unendlicher Ozean aus Nacht, in dem die Inseln des Lichts unerreichbar weit auseinander liegen. Und doch irgendwie erhaben und wunderschön. Aber das All(es) scheint nur mit Sex, Religion, Alkohol und Vergnügungsmeilen kompensatorisch aushaltbar. Und Geheimnisse da draußen (ja, ich klinge jetzt beinahe wie Akte X), die sich uns verweigern, die uns anschweigen, so wie es ein Computer im Neolithikum tun würde.
Epilog
Heute morgen, 15.4.20, im Radio gehört, die Abholzung des Amazonas erreiche ein Rekordniveau …
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Texte bei uns auf CulturMag hier.

[1] Nach Vorlage des Nobelpreisträgers H. Martinson.
[2] Zu Resonanz, Resonanzkatastrophe und Unverfügbarkeit vgl. H. Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 6. Aufl., Berlin 2017.
[3] Alle direkten und indirekten Verweise entnommen aus der DVD: Aniara © 2019 EuroVideo.