Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Sonja Hartl zu Maria Lazars „Leben verboten“

Mit gefälschter Identität in Wien

Erstmals ist 2020 der 1932 geschriebene Roman „Leben verboten“ der jüdischen Schriftstellerin Maria Lazar in vollständiger deutschsprachiger Originalfassung erschienen. Einen Auszug daraus haben wir in unserem August-Magazin veröffentlicht.

(c) dvb

„Mein ganzes Leben habe ich mich immer nur benützen lassen, von meiner Frau, der Firma, der Versicherungsgesellschaft, bis sie mir alle miteinander das Leben verboten haben.“ Mit diesem Satz, so überlegt Ernst von Ufermann, könnte er seine Entscheidung verteidigen, seinen Tod vorgetäuscht zu haben. Denn eigentlich wäre er ja in dem Flugzeug gewesen, das 1931 auf dem Weg von Berlin nach Frankfurt abgestürzt ist. Aber am Flughafen Tegel wurde ihm seine Brieftasche gestohlen, deshalb ist er nie an Bord gegangen, sondern hat sich stattdessen auf den Weg zu seiner Geliebten gemacht. Als er kurze Zeit später erfahren hat, dass das Flugzeug abgestürzt ist und alle acht Passagiere verbrannt sind, glaubt er, dass sein Tod und die Lebensversicherung, die seine Ehefrau bekommt, ein Ausweg sein könnten: mit dem Geld könnte seine Firma vor dem Bankrott gerettet werden, außerdem würde es seiner Frau ein gutes Leben ermöglichen. 

Aus dieser Überlegung wird kein selbst gefasster Entschluss, so selbstbestimmt und initiativ lebt Ernst von Ufermann nicht. Vielmehr empfindet er eine Art Zwang, eine Notwendigkeit, nun auch auch tot zu bleiben. Schon kurz nachdem von seinem vermeintlichen Tod erfahren hat, glaubt er, dass er „verbotenerweise“ über die Straßen von Berlin geht, obwohl er „jederzeit hervortreten und sagen (kann): Mein Name ist Ufermann“. Aber er tut es nicht. Stattdessen übernimmt er von einer verdächtigen Zufallsbekanntschaft den Auftrag, ein Paket nach Wien zu bringen, ohne nachzuschauen, was er eigentlich liefert. Dieser Auftrag verschafft ihm vorübergehend eine neue, gefälschte Identität, Geld und einen Daseinszweck. 

Hochhaus Herrengasse in Wien 1932 (cc) Wikimedia Common gemeinfrei

Dieses Leben mit der falschen Identität erlaubt es Ufermann ein anderes Leben zu führen und zugleich zu sehen, wie andere mit seinem Tod umgehen. Für die Autorin Maria Lazar ist es indes die Möglichkeit, in ihrem 1932 geschriebenen und 2020 erstmals vollständig in deutscher Sprache erschienen Roman „Leben verboten“ verschiedenste Milieus und Orte zu schildern. Auf das kalte Berlin folgt das noch kälter wirkende Wien, gesäumt von Bettlern und Arbeitslosen, denen sogar das Bitten um Almosen verboten wurde, und nationalistischen Studenten, die an Universitäten Juden ausschließen wollen. 

„Nein, nein, es gilt nicht ihm, es geht ihn gar nichts an … Die Wege sind vereist, beinahe wäre er jetzt ausgeglitten. Verrecke … Und verschwinde! Du bist ja einer von den viel zu vielen. In allen Nebenstraßen lauern sie. Betteln verboten! Sie füllen die Hörsäle der Universitäten. Denken verboten! Oder sie wollen ganz einfach essen, ohne zu arbeiten, all diese Überflüssigen. Leben verboten … Da steht einer allein in einem Park und weiß: Es geht ihn etwas an.“

Bei genauerem Blick sind beide Städte gar nicht so verschieden, vielmehr bewegt sich Ufermann in Wien nun nicht mehr auf großbürgerlichen Pfaden. Ihm fehlt das Geld, das ihm in Berlin eine behaglich-ignoranten Daseinsweise ermöglicht hat. Er glaubte sehr lange, das Leben ginge ihn nichts an. Doch selbst nachdem er erkannt hat, dass es so nichts ist, bleibt ihm die Rückkehr verwehrt. Für ihn ist es einfach zu spät, sich dem Leben zu stellen. 

Maria Lazar wurde 1895 in Wien geboren, bereits 1933 hat die jüdische Autorin Österreich verlassen und bis 1939 im dänischen Exil gelebt, dann ist sie nach Schweden gegangen. Dort hat sie 1948 nach schwerer Krankheit Suizid begangen. Sie gehörte zu den Autorinnen, die früh auf die Gefahr durch Nationalsozialisten aufmerksam machten und diese historische Hellsichtigkeit spürt man in diesem Roman. Deutlich sind historische Ereignisse eingewebt, die in dem ausführlichen und informativen Nachwort aufgeschlüsselt werden. Vor allem aber besticht ihr Gespür für die verschiedenen Milieus, von denen sie erzählt. Stets spiegelt die Sprache es wider; zudem markiert sie sehr deutlich sowohl die Ignoranz des Großbürgertums als auch die Nöte der Arbeiterschaft und Armen. 

Die Szenenwechsel, bissigen Beobachtungen und schnellen Perspektivwechsel erzeugen eine mitreißende Vielstimmigkeit. Es sind diese Einblicke in die verschiedenen Alltagswirklichkeiten in den Zwischenkriegsjahren, die begeistern: sei es in die Familie einer ehemals angesehenen Schneidersfamilie, in der die Tochter alles versucht, ihren Vater und Bruder über Wasser zu halten. Oder in das Leben der 16-jährigen Tochter von Ufermanns Vermieterin in Wien, die glaubt, in den Untermieter verliebt zu sein und zugleich eine der politisch hellsichtigen Figuren des Romans ist. Bemerkenswert ist zudem der jüdische Professor Frey, der die Kriminalität der Zeit erforscht. Ihm will sich Ufermann mehrfach anvertrauen, aber es kommt nicht dazu. Frey erkennt durchaus, welche Gefahr von der zunehmend nationalistischen Stimmung ausgeht, will jedoch nicht glauben will, dass auch er davon betroffen sein könnte. Und das ist dieser tragischen Momente in diesem beeindruckenden Roman, wenn man ihn mit dem historischen Wissen von heute liest. 

Sonja Hartl

Maria Lazar: Leben verboten. Mit einem Nachwort herausgegeben von Johann Sonnleitner. Verlag Das vergessene Buch, Wien 2020. 380 Seiten, 26 Euro.

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