Geschrieben am 1. Februar 2021 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2021

Hazel Rosenstrauch: François Garde „Der gefangene König“

Damals, als es noch echte Männer gab

Es ist Napoleon-Jahr! Vor 200 Jahren starb der einstige Kaiser einsam und machtlos auf St. Helena, sein Reich wurde unter den wieder eingesetzten feudalen Königen und Fürsten aufgeteilt. Es gibt einen Helden, der an der Seite des kleingewachsenen Korsen, der Europa umgepflügt hat, auf allen Schlachtfeldern gekämpft, sich Ruhm, Macht, Titel und ein Königreich erobert hat, und der, wie Bonaparte, alles verlor: Joachim Murat, Sohn eines Gastwirts, großgewachsen, stolz auf seine blauen Augen und die braunen Locken, geschmückt mit einem weißen Federbusch reitet er immer vorneweg beim Feldzug in Ägypten, in Italien, vor Wien, in Mailand, und auch noch in Russland. Ihm hat François Garde ein Denkmal gesetzt, als Doku-Fiction mit viel Kostüm und Männertraum:  Ein Held, der glücklich ist, „sobald er Pulver riecht“. „Seine Kühnheit kannte weder Grenzen noch Vernunft.“ “Die Truppe vergöttert diesen glanzvollen Anführer”, Hochrufe erschallten, Mütter streckten ihm ihre Kinder entgegen. Er sorgte für seine Untergebenen, sie schenkten ihm dafür Dankbarkeit und Gehorsam. Er galoppiert stets an der Spitze der Attacke, ist bei seinen Soldaten beliebt, ein bewundertes Symbol auch noch der Kosaken, die „Huldigungen bezauberten ihn“. 

Murat stieg zum Marschall der Grande Armée auf, außerdem war er mit einer Schwester Napoleons verheiratet. Nach vielen Siegen seines Schwagers und der Verteilung der eroberten Länder unter Familienangehörigen des Kaisers von Frankreich, wurde er König von Neapel, sein Königreich umfasste den halben Stiefel. Als Napoleon nach dem Sieg der Aliierten aus dem Exil auf Elba floh und von der Begeisterung der Franzosen getragen auf Paris zumarschierte, setzte Murat auf das falsche Pferd: Er schloss sich nochmals dem von den Alliierten besiegten Ex-Kaiser an, denn er wollte sein Königreich behalten. Mit einer kleinen Truppe kehrt er in das mittlerweile wieder bourbonische Italien zurück und wird gefangen genommen. Den Tod vor Augen rekapituliert er sein abenteuerliches Leben, seine politischen Prinzipien, das schwierige Verhältnis zum Schwager, der ihn an einer kurzen Leine hielt, „ein Stellvertreter […] ohne jede Entscheidungsbefugnis“. 

An all das erinnert er sich, während er auf seine Hinrichtung wartet. Mit vielen blumigen Adjektiven, pathetischen Schilderungen von Schlachten, teuren Uniformen, Neid weckenden Juwelen der Gattin, Reichtum und Ruhm wird ein echtes Mannsbild beschworen; nebenher werden politische Prinzipien und philosophische Einsichten hinterlegt: Die Nähe zum Volk ist wichtig, um die Ordnung herzustellen ist aber auch „hartes Durchgreifen nötig“, „ein starker Anführer und eine stabile Regierung sind unentbehrlich“. Noch vor dem Erschießungskommando verteidigt er seine Würde, er stirbt mit „wahrhaft königlichen Stolz“. 

Von den politischen Umwälzungen der Zeit erfährt man nicht allzu viel, in Frankreich lernt jedes Schulkind die Jahreszahlen, dort werden die Errungenschaften gefeiert, die sich mit dem Code civil, der Abschaffung feudaler Privilegien, bürgerlicher Rechtsprechung und Bodenreform verbinden, in Deutschland aber ist Napoleon Bonaparte immer noch vor allem der Usurpator. 

Man wird sehen, wie die deutsch-französische Freundschaft mögliche Erinnerungsfeiern aushält, die Blickrichtung ist ja doch recht unterschiedlich. Garde war ein hoher Beamter in französischen Überseegebieten und an Verwaltungsgerichten, und er schreibt für Franzosen. In seinem kurzen Nachwort erfährt man, dass Murats Name wegen einer Gemeindereform von der Landkarte verschwunden ist, aber sein Schatten noch über dem Élysée-Palast schwebt, in dem er seine ruhmreichsten Jahre verlebt hat. Ein paar zusätzliche Erläuterungen für deutsche Leser hätte man von dem renommierten Beck-Verlag schon erwarten können. 

François Garde: Der gefangene König (Roi par effraction, 2019). Aus dem Französischen von Thomas Schultz. C.H. Beck, München 2021. 335 Seiten, 23 Euro.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs.  Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de

Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.Aus jüngerer Zeit: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). CulturMag-Besprechung hier.

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