Geschrieben am 26. April 2004 von für Bücher, Litmag

dbc pierre: Jesus von Texas

„Ärger rockt, verdammt!“

Nach einem Leben, das sich selber schon wie ein Roman liest, legt der Amerikaner dbc pierre mit 42 Jahren ein adrenalinhaltiges Debut zwischen Pulp und Fiction vor, dass nicht nur wegen seiner Auszeichnung mit dem renommierten Booker-Price aufhorchen lässt.

Zwanzig Jahre lang hat dbc pierre – ein Pseudonym für „Dirty but clean Peter“, wie der Klappentext uns verrät – „ein selbst zerstörerisches Leben jenseits aller Legalität“ geführt. Drogen- und spielsüchtig häufte er einen immensen Schuldenberg an, wurde angeschossen, verunglückte schwer mit dem Auto und versuchte sich erfolglos als Filmemacher, Schatzjäger, Schmuggler und Graphiker. Dann zog er sich nach Irland zurück, um sein Roman-Debut in die Tasten zu hämmern.

Katalogleben und Buttercremelügen

In „Jesus von Texas“ erzählt dbc pierre aus der Ich-Perspektive die Geschichte des 17jährigen Vernon Little. Dieser lebt in Martirio, der „Barbecuesaucen-Hauptstadt von Texas“, mit seiner Mutter in einem klebrigen Eintopf aus Katalogleben, Buttercremelügen und „ganz doll viel Liebe“. Nach dem Highschool-Amoklauf seines mexikanischen Freundes Jesus, dem dieser selbst und weitere 16 Menschen zu Opfer fallen, wird Vernon Little als Mittäter verhaftet – naiv an den Sieg der Wahrheit glaubend, verharrt er unberührt in seiner Parallel-Welt aus Kinofilmen, Nikes und Popsongs: „Mann, was für ein Leben ich haben könnte mit der richtigen Hintergrundmusik“.

Vernon Little unternimmt nichts, um sich zu entlasten und lässt auch den Leser lange im leisen Zweifel über seine Rolle bei dem Amoklauf. Nach einem etwas behäbigen und in pubertären Redundanzen kreiselnden Setting nimmt der Roman mit der Flucht von Vernon Little nach Mexiko schließlich richtig Fahrt auf und führt o­n the road zu der euphorischen Erkenntnis: „Merkt ihr, was Ärger für eine irre Ausstrahlung hat? Ärger rockt, verdammt!“ Doch in Acapulco angekommen wird der Antiheld, eine Art postmoderner Holden Caulfield mit leichtem Tarantino-Einschlag, schließlich von seinem unerreichbaren Schwarm Taylor verführt und zugleich verraten.

Postmoderner Holden Caulfield

In einer explosiven Mischung aus Komik, Zynismus und naivem Idealismus führt dpc pierre den Leser tief in den amerikanischen Albtraum, in eine Normalität, die an den Wahnsinn grenzt. Überzeugend imitiert er dabei den cool-obszönen Slang eines amerikanischen Pubertierenden, der seine Leser immer wieder mit einem komplizenhaften „Ihr kennt das ja“ anspricht. Unversöhnlich entlarvt pierre eine nach Rache schreiende Öffentlichkeit und eine pervertierte Medien-Maschinerie, die ebenso begeistert wie skrupellos auf den größten „Prime-Time-Zug seit O.J. Simpson springen“ und Vernon Little nach einem kafkaesken Gerichtsverfahren in die Todeszelle bringen.

Zwischen einer grotesk-perfiden „Big Brother“-Show im Todestrakt und einem ausgeklügelten Racheplan von Vernon Little katapultiert dbc pierre seinen Debut-Roman schließlich zu einem furiosen Finale und lässt den Leser atemlos und zutiefst erschrocken zurück.

Karsten Herrmann

dbc pierre: Jesus von Texas. Aus d. Engl. v. Karsten Kredel. Ausgezeichnet mit dem Booker Prize 2003 und dem Whitbread First Novel Award 2003. Aufbau-Verlag 2004. Gebunden. 384 Seiten. 19,90 Euro.