Reise ans Ende der Nacht
Seien Sie gewarnt: „Die Stimme der Dunkelheit“ ist eine Reise ans Ende der Nacht, eine schwarze Ausgeburt radikaler Verzweiflung und Verneinung, eine schonungslose Bestandsaufnahme des zur „Ressource“ degradierten Menschen im 21. Jahrhundert – es ist ein Buch, das sich tief in die Erinnerung brennt.
Der namenlose Ich-Erzähler von Asko Sahlbergs Debüt ist aus Finnland in eine anonyme schwedische Großstadt gezogen, um hier den alten Bindungen und der „Sklaverei der Zeit zu entkommen.“ Unabhängig von Tages- und Nachtabläufen streift der misanthropische Mitdreißiger ruhelos durch sein Innerstes und die Straßen dieser fremden Stadt – dieser „gut organisierten Müllkippe“, auf der sich „Menschenabfall, Menschenmüll“ stapelt.
Sahlbergs Prosa ist von einer geradezu kristallinen Härte und von ganz außergewöhnlicher Strahlkraft. Kühl konstatierend entkleidet sein Protagonist mit seinen (Selbst-) Beobachtungen die „blanke, jämmerliche Illusion Mensch“. Er sieht Gesichter, aus denen die Verzweiflung herausbricht, Menschen, die auf einen Haufen widerstreitender, unerfüllter Triebe und Gefühle reduziert sind: „verlorene und heimatlos dahintreibende Bedürfnisse, zurückgehaltene Wut und erstickte Lust, maßlose Sehnsucht und den nie versiegenden Furor der Gier.“
In heroischer Melancholie leidet der Ich-Erzähler in seinem Innersten an diesem defizitären Menschsein. „Kraftlose Wut“ befällt ihn, sobald er daran denken muss, „dass ich einer von uns bin“. In der Tat ist er alles andere als ein selbstgerechter Weltenhasser, sondern ist uns sympathisch nahe: Er hört Klassik und Jazz, liest Gedichte, kocht, staubsaugt geflissentlich sein Apartment und arbeitet zwischenzeitlich schwarz auf dem Bau.
Und nach und nach bröckelt seine sichere, aristokratische Beobachter-Position und er wird in den Sog der Vergangenheit und der Gegenwart hineingezogen: Er lässt seine neu hinzu gezogene Nachbarin Karen, die von einem Immobilien-Hai ausgehalten wird, an sich heran, knüpft Kontakt zu der todunglücklichen finnischen Immigrantin Anne und steht einem jungen Schwarzen bei, der von tumben Neonazi gequält wird. In einem Taumel des Unausweichlichen spitzen sich die Ereignisse zu und münden in einer erschütternden Explosion der Gewalt: „Mir fällt es schwer, hinter meinen Taten noch einen Willen zu erkennen.“
Der 1964 geborene Finne Asko Sahlberg hat mit „Die Stimme der Dunkelheit“ ein souverän komponiertes Debüt vorgelegt, das durch seine verzweifelte Wucht von der ersten bis zur letzten Seite fesselt – ein „Page-Turner“ mit existentiellem Tiefgang! Sein Ich-Erzähler ist ein wütender (Sinn-) Sucher im Weltformat und, hier klingt im Off die Philosophie Friedrich Nietzsches an, der „Kontinent, den ich suchte, war in mir.“ Bei aller Destruktion und Verzweiflung ist dieser Roman so auch ein entschiedenes Plädoyer für die unausgeschöpften Möglichkeiten des Menschen und Menschlichen – fern aller Fremdbestimmung und Selbstentfremdung.
Karsten Herrmann
Asko Sahlberg: Die Stimme der Dunkelheit. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Luchterhand 2003, Gebunden, 253 Seiten, 20 Euro, ISBN 3-630-87135-6