Geschrieben am 8. Februar 2006 von für Bücher, Litmag

Alexander Stille: Citizen Berlusconi

Gesetze sind teuer – Die Erfolgsstory des Silvio Berlusconi

Für einen italienischen Verleger dürfte es ein großes Wagnis sein, heute noch eine neue Biographie von Silvio Berlusconi auf den Markt zu bringen. In seinem Heimatland wissen Freunde wie Gegner des mailänder Medienunternehmers heute scheinbar alles über dessen Leben, dessen politischen Ansichten, dessen Reichtum.

Seine Dauerpräsenz in allen Fernsehkanälen, die ihm ja auch fast ausnahmslos alle gehören, hat bei Italienern zu einer großen Ermüdung geführt. Und er selbst soll jetzt am Beginn des großen Wahljahres sogar gesagt haben, dass er es leid sei, ständig im Fernsehen aufzutreten. „Das Fernsehen wird vollkommen überschätzt“. Bei manchen seiner öffentlichen Stellungnahmen muß man immer zwei Mal hinhören, weil man gar nicht glauben kann, was er da so Tag für Tag von sich und seinen guten Taten für ‚il bel paese’, das geliebte Italien so von sich gibt. Als in den Medien immer bekannter wurde, dass Vertreter der linken politische Opposition in Korruptionsaffären diverser Banken verwickelt waren, warnte ausgerechnet Berlusconi davor, Politik und wirtschaftliche Interessen miteinander zu verbinden. Nach allen Erfahrungen, die man in Italien inzwischen mit dem Staatsmann Silvio Berlusconi hat, würde niemand mehr ausgerechnet ihn um mehr ‚Glaubwürdigkeit’ bitten.

Niemand aber würde ihm vorwerfen, eine konzeptionslose Politik zu betreiben. Beginnend mit seinem ersten Einstieg in die Politik hat der mailänder Medienunternehmer nur ein klares Ziel verfolgt: seine eigenen Interessen, koste es was es wolle, durchzusetzen. Dass diese Politik aber, zumindest in den Anfangsjahren, von einer Mehrheit der Italiener auch mit ihrem Wahlvotum unterstützt worden ist, bedarf einer differenzierten Untersuchung. In Italien liegen inzwischen bereits Berge von entsprechenden Büchern vor, in denen das Phänomen Berlusconi zu erklären versucht wird. Die vielleicht wichtigsten, auf jeden Fall klügsten Untersuchungen haben aber zwei Autoren englischer bzw. amerikanischer Herkunft vorgelegt. Paul Ginsborg „Berlusconi“ (dt. bei Wagenbach, Berlin, 2005) und aktuell Alexander Stille „Citizen Berlusconi“ (Beck, München 2006).

Während italienische Autoren das Phänomen Berlusconi bevorzugt in ein gewohntes ‚Links-Rechts-Schema’ abhandeln und leidenschaftlich an den abstrusesten Verschwörungstheorien basteln, nähert sich Stille über einen anderen, letztlich auch überzeugenderen Weg den italienischen Verhältnissen. Berühmt wurde der amerikanische Journalist und Historiker mit einer Studie über die Rolle der Mafia in der italienischen Politik. Berlusconi ist für Stille weder ein Faschist noch ein Mafioso. Aber sowohl die Neo-Faschisten wie die sizilianische Mafia sind unverzichtbarer Bestandteil jenes politisch-wirtschaftlichen Systems, dem Berlusconi seinen Aufstieg verdankt. Gleichzeitig hat er geschickt eine nach dem Ende des ‚Kalten Krieges’ in Italien weit verbreitete anti-kommunistische Stimmung für sich zu instrumentalisieren vermocht. Durch seine enge ‚Busenfreundschaft’ mit dem in den achtziger Jahren in Italien sehr einflussreichen Sozialisten Bettino Craxi hatte er es geschafft, sogar die Sympathie von Francois Mitterand und Filipe Gonzales zu gewinnen. Über Helmut Kohl besaß er enge Beziehungen zur deutschen Leo-Kirch-Gruppe.

Atemberaubend ist es bei Stille zu lesen, wie Berlusconi seinen Eintritt in die Tagespolitik geplant hat. Dass er überhaupt keine Ahnung vom Handwerk eines Politikers besaß, war für seine politikmüden Anhänger und Wähler ein großer Vorteil. „Die Linke erklärte ihren Anhängern, Realismus und Verantwortlichkeit seien die Gebote der Gegenwart. sie tat nichts, um die Menschen zum Träumen zu bringen. Berlusconi hingegen versprach den Menschen die Sonne, den Mond und die Sterne.“ Leicht fiel es linken Intellektuelle und Journalisten, diese Märchenwelt des Silvio Berlusconi Tag für Tag zu entlarven – aber seiner Demagogie war keine Aufklärung gewachsen. Legendär und typisch seine Reaktion auf die Angriffe eines linken Politikers gegen sein extrem liberales, letztlich egoistisches Wirtschaftsprogramm: „ Entschuldigung, wie viele internationale Pokale haben Sie gewonnen? Bevor Sie versuchen, gegen mich anzutreten, probieren Sie doch wenigstens, zwei nationale Meisterschaften zu erringen.“

Berlusconi hatte als Unternehmer und Präsident des Fussballklubs AC Mailand Erfolg. In einer politikmüden Gesellschaft zählten diese vorzeigbaren Daten mehr als irgendein durchkalkuliertes Sanierungsprogramm des Staatshaushalts. „Berlusconi konzentrierte sich auf das, was er am besten konnte: sich selbst verkaufen.“ Mit unserem traditionellen Politikverständnis hat das alles nichts mehr zu tun, was uns Alexander Stille hier am Beispiel des Silvio Berlusconi präsentiert. Aber im Zeitalter der Fernsehbilder hat auch diese traditionelle Politik mit ihren schwerfälligen Parteiapparaten, undurchschaubaren Institutionen, langatmigen parlamentarischen Prozessen keine Zukunft mehr.

In seinem letzten Kapitel („Wir alle sind Berlusconi“) verlässt Stille Italien und beschäftigt sich mit vergleichbaren Phänomen in den Vereinigten Staaten unter Georges W. Bush. Sein abschließendes Resumee könnte deprimierender nicht ausfallen. „Politische Figuren wie Silvio Berlusconi mögen kommen und gehen, aber als Modell für eine mögliche Zukunft der Politik hat das Phänomen Berlusconi sicherlich eine weit über die Person hinausgehende Bedeutung und wird uns aller Wahrscheinlichkeit nach noch lange beschäftigen.“

Wenn dieser letzte Satz des Buches zutrifft – und man kann es kaum bezweifeln – dann sind Ängste über die weitere Entwicklung nicht nur Italiens, sondern aller mit diesem Land vergleichbarer demokratischen Gesellschaften wirklich sehr berechtigt.

Carl Wilhelm Macke

Alexander Stille: Citizen Berlusconi. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber. C.H. Beck-Verlag, Muenchen , 2006, 383 S.