Geschrieben am 14. März 2009 von für Bücher, Crimemag

Lisa St Aubin de Téran: Deckname Otto

Komödie revolutionärer Irrungen

Aufregender hätte man das Leben eines Rebellen nicht einmal erfinden können. Oswaldo Barreto Miliani, Deckname Otto, war nie weit, wenn die Linken dieser Welt eine Revolution planten. In seiner Heimat Venezuela griff er selbst zum Gewehr. Von Eva Karnofsky

Als sie sechzehn Jahre alt war, lernte die Britin Lisa St Aubin de Terán ihren späteren Ehemann kennen. Der versteckte sich gerade in England, zusammen mit einigen linken Kampfgefährten, die in Venezuela im Dienste der Bewegung eine Bank überfallen hatten, und zu denen auch der Philosophieprofessor Oswaldo Barreto Miliani gehörte. Die Begegnung sollte der Beginn einer langen Freundschaft werden, die jetzt, dreißig Jahre später, literarische Früchte trug. Der Mann, der mit der venezolanischen Guerilla unter dem Decknamen Otto von Niederlage zu Niederlage gezogen war, erzählte Lisa St Aubin de Terán – inzwischen längst erfolgreiche Autorin – die Geschichte seines bewegten Lebens. Sie zeichnete sie auf, und weil sie sich die Freiheit des Ausschmückens und des frechen, ja schamlosen Formulierens nicht nehmen lassen wollte, goss sie sie in einen Roman.

Eine Krebserkrankung war es, die Barreto bewogen hatte, schonungslos und selbstironisch Bilanz zu ziehen. Sein Resümee fällt nicht gerade positiv aus, und es wird Revolutionsverliebten kaum gefallen, wenn er feststellt, „niemand hat das Recht, einen anderen Menschen zu zwingen, sich zu befreien.“ Von Jugend auf hatte „Otto“ es als seine Pflicht als Intellektueller und Revolutionär betrachtet, die Entrechteten, die leben, „um gedemütigt zu werden“, von der Notwenigkeit ihrer Befreiung überzeugen zu müssen.

Einem leuchtenden Vorbild nachzueifern, sei dies ein Mensch oder eine Partei, ist inzwischen nicht mehr sein Weg. In diesem Sinne kritisiert Barreto heute die Allmachtsansprüche des venezolanischen „Befreiers“ Hugo Chávez, regelmäßig nachzulesen in Tal Cual, der Tageszeitung seines ehemaligen Guerilla-Anführers Teodoro Petkoff, mit dessen Frau ihn eine Weile mehr als nur die Gesinnung verband, wie St Aubin de Terán verrät.
Auch Fidel Castro findet heute vor „Ottos“ Augen kaum noch Gnade, obwohl er ihm eine Zeitlang als „Mittelding zwischen Laufbursche und Geheimagent“ gedient hat. Barreto war Fidel aufgefallen, weil dieser es geschafft hatte, dem Führer der kubanischen Revolution stundenlang zuzuhören, ohne dabei einzuschlafen. Sollte dieses Aperçu der Fantasie der Autorin entsprungen sein, so hat sie es gut erfunden. In Kuba erhielt „Otto“ militärischen Schliff, was ihm und seiner Handvoll Compañeros jedoch wenig nützte, als sie durch die venezolanischen Berge zogen. Ihr verzweifelter Kleinstfeldzug brachte nur Entbehrungen, Gefangenschaft oder Tod. Barreto landete – nicht zum ersten Mal – für eine Weile im Gefängnis und wurde gefoltert, auch das nicht zum ersten Mal.

Er liebt das Detail, wenn er seine Weltreisen im Dienste der Kommunistischen Weltbewegung, die ihn auch ein Weilchen nach Tübingen führten, seine Begegnungen mit Che Guevara, Régis Debray, Salvador Allende oder Ben Bella und seine Ehe mit der persischen Revolutionärin Vida beschreibt. Nur über die Folterungen äußert er sich kaum, weil er sie verdrängen will. „Man sollte meinen, das Entscheidende sei der Schmerz. Komischerweise ist es nicht so: es ist die Scham,“ merkt er lediglich an.
Barretos Sicht der jüngsten Geschichte muss man nicht teilen, doch zumindest verdient sie Gehör. Die ausführliche Schilderung der sozialen Verhältnisse in Venezuela und im besonderen seiner Heimatstadt Valera, wo „der Mensch geboren wird, um ausgelacht, erniedrigt und mit Worten massakriert zu werden“, lohnt erst recht die Lektüre.
Viele Namen werden verstümmelt, so wird etwa der salvadorianische Dichter-Rebell Roque Dalton zu Rocce Dalto. Die Übersetzerin aus dem Englischen weiß mit lateinamerikanischer Kultur nicht viel anzufangen, und das Buch wimmelt von Druckfehlern. Dennoch bleibt diese „Komödie der Irrungen“, als die Barreto sein Leben bezeichnet, ein Lesevergnügen.

Eva Karnofsky

Lisa St Aubin de Téran: Deckname Otto. Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen. Insel Verlag 2007.  Gebunden. 572 Seiten. 22,80 Euro.