Fette, garstige Todesengel
Auch wenn Privatdetektive zunehmend nach Jazz-Musikern benannt werden – hier Charlie Parker – heißt das noch lange nicht, dass sie cool bleiben. Dieser Namensvetter zum Beispiel rauft sich mit der Hölle rum. Kann das gut gehen? Von Hans Richard Brittnacher
Dass Privatdetektive selbst dort noch mit Erfolg ermitteln, wo die Polizei die Waffen gestreckt hat, gehört spätestens seit Hammett und Chandler zum unveräußerlichen mythischen Bestand des Genres – entgegen der eher tristen Realität eines Gewerbes, das vor allem untreuen Ehepartnern und Versicherungsschwindlern nachschnüffelt. Zu seiner Überlegenheit befähigt den Privatdetektiv, wie ihn vor allem die amerikanische Literatur ausgebildet hat, neben physischen Voraussetzungen wie Muskelkraft und intellektuellen wie Kombinationsgabe auch eine soziale Besonderheit: Der Privatdetektiv steht außerhalb des Lebens und der Gesellschaft, ist ein Exzentriker, folgt merkwürdigen Leidenschaften, pflegt ungewöhnliche Freundschaften. Damit ihm nicht wie schon der Polizei durch eine bürgerliche Moral die Hände gebunden sind, er selbst aber weiterhin als Sympathieträger agieren kann, hat er zumeist einen Kumpel, der seine Gegner windelweich prügelt, während er sich Reflexionen über Moral in einer gewalttätigen Gesellschaft leisten kann. Immer aber ist es ein Markenzeichen des private-eye-Romans gewesen, dass in ihm die Gesellschaft als ein Biotop beschrieben wird, das Gewalt ausbrütet. Der schlagfertige Held überführt nicht nur die Bösewichter, er legt auch den Finger auf jene sozialen Verwerfungen, die das Verbrechen erst möglich gemacht haben.
Detektive, Einbrecher, Telepathen
Als neues Schwergewicht im Genre hat sich vor einigen Jahren der Ire John Connolly etabliert, der deutlich mit Blick auf den amerikanischen Markt in mittlerweile fünf spannenden Romanen den Privatdetektiv Charlie Parker als neuen Heldentypus ins Rennen geschickt hat. Mit seinem Namensgeber, dem Bebop-Saxophonisten, dessen Soli sich in fast schwerelosen Phrasierungen verloren, teilt der Held eine tiefe Melancholie. Dazu hat er allen Grund: ein Serienmörder hat ihm Frau und Kind, während er sich in einer Kneipe vollaufen ließ, bestialisch abgeschlachtet. Seitdem irrt Charlie Parker, ein Racheengel der unschuldig Gemordeten, durch die Welt auf der Suche nach finsteren Männern mit Blut an den Händen. Zur Seite steht ihm ein Freundespaar, der schwule Einbrecher Angel und dessen Freund, der modebewusste psychopathische Killer Louis. Jeder neue Roman Connollys bewirbt sich bei dem auf dem amerikanischen Krimimarkt üblichen Ranking der widerlichsten Serienmörder um einen der vorderen Plätze. In seinem neuesten Roman hat Connolly ein besonders unappetitliches Exemplar entworfen, Mister Brightwell, einen fettleibigen Todesengel, der sich an seinen Opfern, während sie ihr Leben aushauchen, sexuell delektiert.
Das Böse, ach ja …
So weit so gut oder vielmehr: so furchtbar. Denn wenn auch die Romane von Connolly spannend sind – das sozialkritische Erbe des hard-boiled-Krimis haben sie spätestens mit diesem Roman gründlich verspielt. Die Bösen bei Connolly sind keine Metapher, sie kommen direkt aus der Hölle oder irgendwelchen Grenzbereichen zwischen Leben und Tod. Um ihnen das Handwerk zu legen, brauchen seine Helden zwar weiterhin Fäuste, Scharfsinn und Kanonen, wichtiger aber noch ist eine besondere telepathische Empfänglichkeit, die Parker besitzt, seit Reverend Faulker, ein weiterer von Connollys garstigen Mördern, ihm in den Schlund gespieen hat. Dieser eklige Initiationsakt verleiht seither seinen Kreuzzügen gegen die Mächte der Finsternis eine gewissermaßen übernatürliche Beglaubigung. Als switching link zwischen der Welt und dem Jenseits soll diesmal er seinen Freunden behilflich sein, eine auf die schiefe Bahn geratene Nichte des Killers Louis ausfindig zu machen. Bald stellt sich heraus, dass sie zu Tode gefoltert wurde, offenbar von Mitgliedern eines fanatischen Geheimbunds, der einen in Silbererz eingeschmolzenen abgefallenen Engel aus seinem Gefängnis in einem tschechischen Kloster freisetzen will. Das können die Helden zwar mit einigen Blessuren, aber zuletzt doch erfolgreich verhindern.
Blieb es in den ersten Romanen noch der Phantasie des Lesers überlassen, in den Mächten der Finsternis nur eine von der gequälten Psyche des Helden ausgebrütete, fiebrige Überzeichnung des Bösen zu sehen, wie es tatsächlich in den Ghettos, im Rotlichtbezirk oder im Drogensumpf gedeiht, lässt Connolly in seinen neueren Romanen keinen Zweifel mehr an der übernatürlichen Herkunft des Bösen. Mehr noch: einer der gefallenen Engel erblickt sogar in Charlie Parker einen der Ihren – und das ist nun wirklich zu viel des Guten. Kriminalromane und phantastische Literatur lassen sich – die Meister der beiden Genres wissen es und lassen es bleiben – nicht problemlos verbinden. Dass Connolly in seinem neuesten Krimi auf die schon von Dan Brown ausgetretenen Pfade mit ihren Geheimbund- und Konspirationsphantasien einschwenkt, entfernt ihn wieder von der private-eye-Tradition, die er in seinen ersten Romanen noch so innovativ angereichert hatte. Wenn die esoterische Beschleunigung des John Connolly im gleichen Tempo voranschreitet, lassen die nächsten Romane Schlimmstes befürchten.
Hans Richard Brittnacher
John Connolly: Der brennende Engel (The Black Angel, 2005). Roman. Deutsch von Georg Schmidt. List 2008. 512 Seiten. 19,90 Euro.