Die Marx Brothers der Eigentumsdelikte
Donald E. Westlake ist zurzeit vor allem in seiner Persona als Richard Stark präsent. Das ist aber schade, denn Westlakes Dortmunder-Romane sind schlichtweg großartig. Und vor allem komisch. Weil es den letzten Dortmunder-Roman auf Deutsch nicht gibt, hat ihn Michael Wuliger eben auf Englisch gelesen.
John Dortmunder ist wieder da! Als Donald Westlake im Dezember 2008 starb, hinterließ der dreifache Edgar-Gewinner und Grand Master der Mystery Writers of America zwei große distinkte Trauergemeinden. Die einen beklagten den Autor Dutzender hard-boiled-Thriller, darunter die Kultserie um den soziopathischen, gewalttätigen Räuber Parker, die Westlake unter dem Pseudonym Richard Stark verfasst hatte. Die anderen trauerten um den Meister des absurd-komischen Krimis, den Schöpfer von John Dortmunder und seiner erratischen Einbrecherbande.
Dortmunder und seine Kollegen sind die Marx Brothers der Eigentumsdelikte. Im Hinterzimmer ihrer Stammkneipe OJ’s Bar&Grill an der Amsterdam Avenue in Manhattan hecken sie regelmäßig Raubzüge aus, deren hochkomplexe Planung an den Tücken der Realität regelmäßig fast scheitern. Fast. Im letzten Moment kriegen die sympathischen Loser immer noch so gerade die Kurve und die Beute. Wobei es sich nie um Riesensore handelt. Dortmunder, sein Freund Andy, Tiny, das Muskelpaket, Murch, der Fluchtfahrer und der 18-jährige Judson, genannt Kid, sind kriminelle Kleinunternehmer, die mit ihren „Jobs“, wie sie es nennen, einen lower-middle-class-Lebensunterhalt bestreiten. Zu mehr reicht es nicht. Um über die Runden zu kommen, fährt Murchs Mutter Taxi, Kid ist Bürokraft bei einer Trickbetrügerin, Dortmunders Lebensgefährtin May muss als Supermarktkassiererin dazuverdienen. Verbrechen lohnt sich nur bedingt.
Dokusoap: Verbrecher bei der Arbeit
Dreizehn Dortmunder-Romane hat Donald Westlake zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Der vierzehnte, Get Real, den er noch vor seinem Tod fertig geschrieben hatte, ist im Juli dieses Jahres posthum erschienen. Diesmal haben Dortmunder und Konsorten es mit der Medienwelt zu tun. Ein Fernsehproduzent will sie für seine nächste Dokusoap anheuern. Bestatter, Dominas und Schönheitschirurgen hat er schon durch. Verbrecher bei der Arbeit gefilmt, wäre etwas Neues. Die Bande lässt sich auf den Vorschlag notgedrungen ein. Die Zeiten sind schlecht. Im sicherheitsmanischen Amerika nach 9/11, in dem Videokameras und Abhöranlagen jede öffentlich und private Bewegung aufzeichnen und per Handy jeder ständig geortet werden kann, ist es schwer geworden, sein Geld auf unehrliche Weise zu verdienen. Der Produzent bietet immerhin für die Mitarbeit 20.000 $ pro Kopf plus Tagesgagen. Was für die Gang natürlich nicht der Hauptanreiz ist. Denn: „Geld aus Gehalt ist nicht dasselbe wie Geld aus Diebstahl“ lässt Westlake Dortmunder seine Grundphilosophie erläutern. „Geld aus Diebstahl ist sauberer. Es gehört einem nicht, weil man dafür Zeit und Arbeit eingetauscht hat. Es gehört einem, weil man es sich genommen hat.“
Nehmen will sich die Bande Schwarzgeld, das der Mutterkonzern der Fernsehfirma auf dem Produktionsgelände gebunkert hat. Das klappt schließlich auch, trotz zahlreicher situationskomischer Verwicklungen, unter anderem mit einem deutschen Regisseur, der sich als Geldkurier ein bisschen was dazu verdient, weil die Erlöse seiner – von der Kritik gelobten, vom Publikum verschmähten – Filme nicht reichen. (Wim, bist Du das?)
Am Ende sind die Diebe jeder um 32, 490 $ aus dem Einbruch reicher. Dazu kommen pro Nase noch legale 10.000 $ Ausfallhonorar von der TV-Firma. Denn die Dokusoap wurde abgesetzt. Dortmunder und Co werden keine Reality-TV-Stars. Dabei hatten sie gerade angefangen, an der Vorstellung gefallen zu finden. Aber im US-Fernsehen darf Verbrechen nicht glorifiziert werden.
Das wird die Gang, wenn das Geld aus diesem Job in ein paar Monaten alle ist, natürlich nicht von ihrem nächsten beknackten Coup abhalten. Nur werden wir von dem leider nichts mehr erfahren. Get real war definitiv der letzte Dortmunder-Roman. Bye, John, Andy, Tiny, Murch and Kid. Take care of yourself. It was great knowing you.
Michael Wuliger
Donald E. Westlake: Get Real. Roman. Quercus, London, August 2009. 278 Pages. 11,99 Pfund Sterling.
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