Geschrieben am 6. Dezember 2008 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Kopfschuss N° 1 von Uta-Maria Heim

Die normative Kraft des Fiktionalen

Ich greife in meine Aktentasche und hole das Buch heraus, um das es hier, bei diesem Pembry, geht. „Das, mein Herr, ist der Krimi, in dem Sie stehen, der Roman, der beschreibt, wie Sie sterben werden, wenn Sie nicht heute schon etwas dagegen tun.“ Pembry starrt ungläubig lächelnd auf das Buch und liest laut: „Thomas Harris. Das Schweigen der Lämmer.   Giwi Margwelaschwili: Officer Pembry

In seinem Meta-Roman Officer Pembry hat Giwi Margwelaschwili Das Schweigen der Lämmer vom Kopf auf die Füße gestellt – Hannibal Lecter ist zu einer realen Person geworden, die das bestialische Vorgehen seines fiktiven Vorbilds kopiert. Officer Pembry, angeheuert von einem gewissen Meinleser von der „prospektiven Kriminalpolizei“ (PKP), soll durch einen genialen Leseakt verhindern, dass das Morden weitergeht: Er soll Lecter „umlesen“.

Giwi Margwelaschwili ist der linguistische Philosoph unter den Krimiautoren. Er beschreibt als „krimibibliologische Parallelität“, wie wir von der erfundenen Welt der Texte programmiert sind: Worte schaffen Fakten. Und der Gebrauch neuer Worte schafft neue Fakten. Was aber passiert, wenn altbekannte Vokabeln einen Bedeutungswandel erfahren? Nehmen wir einmal so einfache Begriffe wie „okay“ oder „hallo“. Bis vor ein paar Jahren hat das bedeutet: „in Ordnung“ und „guten Tag“.

„Okay“ ist das bekannteste Wort der Welt und ungeklärter Herkunft. Damit ist es das größte Urwort überhaupt. „Okay“ war als Zeichen jahrzehntelang universell einsetzbar. Nun ist die verständlichste aller Vokabeln aber durch eine vordergründige Ironisierung sozusagen zugeschmutzt worden. Immer öfter schlagen nassforsche Blondinen mit Pferdeschwanz die Augen auf und kreischen: „Okay!?“ Und „Okay!?“ heißt: „Na gut, wenn du glaubst, du bist soviel schlauer als ich und wenn du meinst, du kannst das jetzt für mich entscheiden, dass das so ist, wie du behauptest, dann piss dich doch ins Knie.“

Noch schlimmer ergeht es dem harmlosen „Hallo“. Die junggebliebene Grußformel kommt aus dem Althochdeutschen und hat sich mit dem Telefon internationalisiert. „Hallo“ existiert sogar im Indonesischen. Nachdem das Wort als wiedererkennbare Chiffre weltweit funktioniert, wird diese globale Übereinkunft von der alten Heimat plötzlich aufgekündigt. Wieder ist es die aggressive blonde Pferdeschwanzträgerin, die empört ausruft: „Hallo!?“ Und „Hallo!?“ heißt: „Das gibt‘s doch nicht. Nicht mit mir, Baby, halt endlich deine blöde Fresse, hier rede ich.“

Bedeutungswandel bringt, wie wir sehen, nicht immer eine semantische Verbesserung. Was folgt daraus im Hinblick auf den Diskurs? Das enthüllen uns die krimi-linguistischen Erkenntnisse von Giwi Margwelaschwili. Es geht dort um die normative Kraft des Fiktionalen: Wir müssen subversive Widerstandsformen entwickeln. Dabei hilft uns Officer Pembry ganz enorm. Man sollte diesen Kriminalroman daher unbedingt immer griffbereit haben. Damit man eine tsunamiartige Aufwallung des Wahnsinns gerade noch rechtzeitig umlesen kann.

Uta-Maria Heim

U-T. Heim,geboren 1963 in Schramberg / Schwarzwald, lebt als Dramaturgin und Schriftstellerin in Baden-Baden und Schorndorf. Sie absolvierte in Freiburg i.Br. und Stuttgart ein geisteswissenschaftliches Studium und arbeitete bis 2006 u. a. in Hamburg und Berlin als freie Autorin und Journalistin. Neben Features, Hörspielen, Lyrik und Erzählungen schrieb sie zahlreiche Kriminalromane. Zuletzt veröffentlichte sie Dreckskind (2006) und Totschweigen (2007), 2008 wurde ihr Debütroman Das Rattenprinzip neu aufgelegt, an den Wespennest (2009) anschließt. 1998 Stipendiatin der ›Villa Massimo‹ in Olevano Romano. 1992 und 1994 erhielt sie den Deutschen Krimi-Preis, 1994 den Förderpreis Literatur des Kunstpreises Berlin, 2000 den Friedrich-Glauser-Preis und 2007 den Krimipreis der Stadt Singen.