Geschrieben am 16. März 2011 von für Bücher, Litmag

Tino Hanekamp: So was von da

So was von geil

– Wenn der Macher eines Hamburger Kult-Musikclubs einen Roman schreibt, in dessen Zentrum ein Hamburger Club-Betreiber steht, und wenn zudem der Roman mit viel Medienrummel auf den Markt geworfen wird, dann ist Skepsis angesagt. Ein Werbezitat von Udo Lindenberg lässt auch nicht wirklich Literatur zwischen den Buchdeckeln vermuten. Doch im Fall von Tino Hanekamp sollte man alle Vorbehalte über Bord werfen und sich hineinstürzen in das Partygetümmel eines Debüts, das an Rasanz seinesgleichen sucht. Der Erstling des Monats, vorgestellt von Frank Schorneck.

Tino Hanekamp, 1979 in Wippra /Sachsen-Anhalt geboren, gründete vor ein paar Jahren mit einem Freund den Musikclub Weltbühne, der jedoch abgerissen wurde. Als Mitbegründer, Miteigentümer und Programmdirektor des Uebel & Gefährlich, das mehrfach zum besten deutschen Musikclub gekürt wurde, ist er nicht nur am Puls der Musikszene, sondern auch St. Pauli-Kenner. Das Uebel & Gefährlich ist dann auch unverkennbar Vorbild des Ladens, den Hanekamps Protagonist Oskar Wrobel betreibt. Während der reale Club in einem Luftschutzbunker residiert, liegt die Romanlocation in einem ehemaligen Krankenhaus. Der Lastenaufzug, in dem ein Fahrstuhlführer Gedichte rezitiert, ist beiden Clubs gemein, und der Hamburger Konzert- und Partygänger wird sicherlich noch manches mehr wiedererkennen. Doch die realitätsnahen Szeneschilderungen sind nur ein kleines Sahnehäubchen auf einem rundum gelungenen Roman, der die Ereignisse eines einzigen Tages schildert: Es ist Silvestermorgen und Oskar Wrobel hat ein Problem: Am Abend steigt die große Abschiedsparty des Clubs, den er gemeinsam mit einem Partner betreibt. Das Gebäude wird abgerissen und obwohl der Schuppen eine absolute In-Adresse geworden ist, stehen die beiden Betreiber, gerade mal Anfang 20, vor dem finanziellen Ruin. Da trifft es sich wirklich nicht gut, dass ausgerechnet jetzt der zwielichtige Kiezkalle bei Oskar vorbeischaut, um als Gegenleistung für einen früheren Gefallen 10.000 Euro von Oskar einzufordern, zahlbar am Neujahrsmorgen. Nun hat Oskar noch ein weiteres Problem.

Der weitere Verlauf des Tages gestaltet sich alles andere als reibungslos. Ähnlich wie Jake und Elwood Blues ihre Band zusammenbringen, macht sich Oskar auf, einige für ihn und für den Abend wichtige Personen einzusammeln. Sein Freund Andreas „Rocky“ Rockmann, der mit seiner urplötzlich durchgestarteten Band bei der Party spielen soll, kommt mit dem Erfolg nicht klar und zeigt Anzeichen von einem Burnout. Die Situation wird nicht einfacher, wenn man weiß, dass Rockys Vater, ein ehemaliger Rockstar, todkrank ist und die Mutter als Hamburger Innensenatorin für die linke kreative Szene die Inkarnation des Bösen darstellt und zudem bemüht ist, jegliche schlechte Presse zu vermeiden. Der bullige und wortkarge, aber kreuzgute russische Türsteher Leo hat ein Auge auf die sprunghafte Nina geworfen, die nach Phasen als Musikerin, Cafébetreiberin, Radiomoderatorin oder als Flüchtlingshelferin gerade destruktiv eine Phase als Malerin beendet und für eine äußerst eigenwillige Gestaltung des Dancefloors sorgt.

Und im Hinterkopf von Oskar spukt zudem seine große Liebe herum, die ihn vor Jahren verlassen hat, die sein Unterbewusstsein jedoch nicht loslässt: Mathilda, Mathilda, Mathilda …

Mit dem Betreten des Clubs holt Oskar die Arbeit ein. Emsiges Treiben herrscht hier und dennoch gewinnt man nicht den Eindruck, dass hier in Kürze eine Party steigen kann. Wechselgeld fehlt ebenso wie Schnaps oder schlicht Eiswürfel. Mit einem Einkaufszettel für die nächsten 90 Minuten macht sich Oskar auf den Weg über die Reeperbahn. Sein Weg führt ihn zu St. Pauli-Originalen oder auch zur Kiez-Tanke, die selbst Nicht-Hamburgern aus diversen Print- und TV-Reportagen bekannt sein dürfte. Dabei kann er seine Liste keineswegs zielstrebig abarbeiten. Kiezkalle macht ihn mit Kontrollanrufen auf dem Handy nervös, Rocky braucht seine Hilfe, um seinen Vater aus der Familienvilla zu „befreien“, und zu allem Überfluss hat Mathilda ihr Kommen angekündigt.

„Herr Lehmann“ auf Speed

Tino Hanekamp

Hanekamp versteht es, das Tempo seines Romans allmählich zu steigern, die Schraube der aufkommenden Hektik und Eskalation stetig weiterzudrehen – „Herr Lehmann“ auf Speed. Die Party beginnt, die ersten Bands spielen, die Stimmung steigt mit dem Alkohol- und Drogenkonsum, im Licht der totenkopfförmigen Discokugel blitzen einzelne Szenen auf, die zusammen ein Panoptikum dieses Silvesterabends bilden. Spaß und Schmerz liegen plötzlich nah beieinander, in dem immer hektischeren Lärm und Gedränge steht hinter der Kulisse des Lachens auch der Tod, der nicht auf der Gästeliste stand.

„So was von da“ spielt klug mit den Erwartungshaltungen seiner Leser. Sein lockerer Tonfall, seine auf den ersten Blick durchaus klischeehaft erscheinenden Figuren, sein Witz und sein Tempo täuschen zunächst einen gutgelaunten Partyroman vor, doch das Schicksal hält üble Überraschungen bereit. Wer da so ausgelassen feiert, als gäbe es kein Morgen, wird unter Umständen schon bald das Ende seiner Tage erleben. Für das Universum dieser Partylocation nimmt der Abend apokalyptische Züge an, als der Gig von Rockys Band aus dem Ruder läuft und Wände eingetreten werden. In dieses Bild passt auch der polnische Arzt, der nur mit einem Tanga und Teufelshörnern bekleidet und mit roter Farbe beschmiert, die Tanzfläche unsicher macht. Auf seinen nicht ganz 300 Seiten bietet der Roman eine ganze Fülle an Personen, die einem ans Herz wachsen, Spannung, Tragik und politische Polemik, verpackt in Wortwitz und Situationskomik – wundervoll die Stelle, als aus dem dunkel gekleideten Antifa-„Begrüßungskommitee“ der Wunsch geäußert wird, die angekündigten Nazis sollten nur recht bald kommen, mit der Begründung „Mein Babysitter bleibt nur bis fünf“. Auch der schwarze Block hat so seine ganz spießigen Probleme.

In den Roman eingestreut gibt es ein paar Spielereien mit dem Schriftbild. So verringert sich die Schriftgröße, wenn Oskar jemanden redend stehen lässt, oder ein Absatz bildet eine Welle, die über das Geschehen hinwegschwappt. Ein wenig manieriert ist das schon, aber verzeihlich. Harmoniebedürftige Leser dürften das Buch hingegen für sein Ende hassen. Dieses ist so gewagt, so unverschämt, so schlichtweg genial wie kein anderes Romanende, das ich in letzter Zeit gelesen habe.

Frank Schorneck

Tino Hanekamp: So was von da. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011. 288 Seiten. 14,95 Euro. Hanekamp liest auf zehnseiten.de. Eine Leseprobe von „So was von da“ finden Sie hier.