„Unsere Welt ist trostlos.“
Ein Interview mit dem amerikanischen Autor James Sallis, dessen neuer Roman „Der Killer stirbt“ schon bald Furore machen wird, wenn uns nicht alles täuscht. Eine Rezension folgt in einer der nächsten CrimeMag-Ausgaben.
Von Joachim Feldmann
„Der Killer stirbt“ ist eine der ungewöhnlichsten Kriminalromane, die ich seit langem gelesen habe. Es wird nicht nur die Geschichte eines sterbenskranken Auftragsmörders erzählt, der seinen letzten Job zu erledigen hat, sondern wir treffen auch auf einen Jungen im Teenageralter, der, von beiden Eltern verlassen, sich mit dem An- und Verkauf von Antiquitäten im Internet durchschlägt. Und dies sind mal gerade die beiden dominierenden Geschichten, es gibt noch viel mehr. Woher hatten Sie die Idee zu solch einem unorthodoxen Kriminalroman?
Dieses Buch ist auch einer der ungewöhnlichsten Krimis, die ich in letzter Zeit gelesen habe, und während ich an dem Manuskript arbeitete, habe ich mich immer gefragt, ob es überhaupt funktionieren würde, ob meine Leser mit so einem seltsamen Buch etwas anfangen könnten. Woher kam die Idee? Es war der Roman selbst, der sich vor mir entfaltete. Alle meine Bücher entwickeln sich sozusagen organisch, ich habe keinen Plan oder so etwas im Kopf. Ursprünglich wollte ich schlicht von einem Auftragskiller erzählen, der unter einer tödlichen Krankheit leidet. Dann, auf Seite 12 oder so, taucht da mit einem Mal der Junge auf, der dieselben Träume hat wie der Killer. Hey, das ist interessant. Dann möchte auch der Polizist, dessen Frau ebenfalls nicht mehr lange zu leben hat, seinen Platz auf der Bühne … Als Autor folge ich den Spuren und Hinweisen, die mir der Text gibt. Und vielleicht führen sie mich nicht in die Irre, sondern im Gegenteil: Ich komme so nach Hause.
Der Killer und der Junge Jimmie sind, wie Sie schon sagten, miteinander verbunden, aber sie treffen sich nie. Wie würden Sie ihre Beziehung beschreiben?
Am Anfang war da natürlich die Idee, dass alle drei, der Killer, der Polizist und der Junge aufeinander treffen würden. Das gehört sich doch so, oder? Aber als ich weiterschrieb, kam mir die Idee, dass es, erstens, viel interessanter wäre, wenn sie einander nicht begegneten und, zweitens, dass dieser Umstand viel besser zum Thema des Buches passen würde. Da geht es nämlich darum, wie isoliert viele Menschen sind und wie hart es ist, Gemeinschaft zu finden.
Das Internet spielt in dem Buch eine zentrale Rolle. Sind Sie von den schier unendlichen Möglichkeiten dieses Mediums fasziniert?
Ich bin nicht nur von den Möglichkeiten des weltweiten Netzes fasziniert, sondern auch davon, wie Unternehmen und Regierungen versuchen, es zu domestizieren, zu zähmen. Aber was mich in Zusammenhang mit dem Buch besonders interessiert hat, ist die Art und Weise, wie es uns die Illusion vermittelt, wir stünden mit anderen in Verbindung, obwohl es uns doch tatsächlich viel einsamer macht.
Der Killer hat keinen Namen, nennt sich aber selbst „Christian“. Ist das eine religiöse Anspielung?
Nicht direkt. Der Grund für die Namenswahl wird in einer der vielen Hintergrundgeschichten, die es in dem Roman zu lesen gibt, genannt. Natürlich hat der Name ein gewisses kulturelles Gewicht. Schließlich stirbt da jemand langsam und allein, der sich selbst „Christian“ nennt. Ein Mann, der tötet, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Der Killer ist ein Vietnam-Veteran, er war im Gefängnis –wir erfahren nicht warum –, wo er aus Rache drei andere Strafgefangene umbringt, dann beginnt er mit seiner Karriere als Auftragsmörder. Warum geben Sie nicht mehr über Ihre Hauptfigur preis?
Ich wollte die Gegenwart der Geschichte nicht mit zu vielen Rückblicken belasten. Es sollte nur so viel sein, dass man die Widersprüche meiner Figur versteht. Außerdem sollte er natürlich in gewissem Sinne mysteriös bleiben, eine mythische Figur sogar. Wir haben ja auch Freunde, von denen wir nur sehr wenig wissen. Ich wollte diese Realität, nicht diejenige, an die wir durch Romane gewöhnt sind, in denen alles ausgesprochen wird und alles einen Sinn ergibt.
Einige der Geschichten, die in „Der Killer stirbt“ erzählt werden, wirken auf merkwürdige Weise unvollständig. Die zwei Ermittler diskutieren ihre Fälle und wir können nur vermuten, worum es geht. Handelt es sich hier um quasi „naturalistische“ Einsprengsel in einem Roman mit vielen fantastischen Elementen?
Mehr als alles andere sind dies Versuche, die „wirkliche“ Wirklichkeit zu imitieren. Literarische Fiktionen erzählen ja nicht nur Geschichten, sie vermitteln auch Erfahrungen. Und nur wenige unserer Erfahrungen sind linear, vollständig und für andere nachvollziehbar.
Die Welt, die Ihr Roman beschreibt, erscheint ziemlich trostlos. Alter, Krankheit, Einsamkeit bestimmen das Leben der Figuren. Dennoch gibt es am Ende offenbar eine Art Happy End für den Jungen Jimmie. Würden Sie diese Lesart teilen?
Unsere Welt ist trostlos. Jemand, der etwas anderes denkt, bekommt nicht mit, was passiert. Während wir uns unterhalten, gibt es Kriege in der halben Welt, Staaten bringen ihre Bürger um, und drüben in Los Angeles verblutet ein vierjähriges Kind, das zufällig Opfer einer Schießerei wurde. Wir alle, Sie und ich, müssen sterben, daran geht kein Weg vorbei. Und dennoch gibt es Sonnenaufgänge, wir genießen unseren Kaffee am Morgen und ein Glas Wein am Abend, es gibt wunderbare Musik, all die Freuden des Alltags. Der Killer stirbt, jawohl, aber am Ende ist er nicht allein. Die Frau des Polizisten stirbt, aber das bringt ihn dazu, sich zu öffnen. All unsere Schwächen machen uns menschlich und die Opfer, die wir bringen, um so mehr. Genau darin sind die drei Figuren verbunden, sie finden menschliche Gemeinschaft.
Vielen Dank für das Gespräch!
James Sallis: Der Killer stirbt. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeld. Roman, 256 Seiten. Liebeskind 2011, 18,90 Euro
Verlagsinformationen zum Buch mit Leseprobe
The James Sallis Web Pages