Geschrieben am 29. September 2004 von für Musikmag

Branford Marsalis Quartet: Eternal

Extrem kreativer Umgang mit Tradition

Marsalis´ voller, warmer Tenorsound kost die Harmonien, abseits von Kitsch und Klischee.

Man muss puristische Veranstaltungen nicht immer nur auf ideologische Implikationen abklopfen. Im Fall von Wynton Marsalis war und ist man schon eher versucht, das zu tun. Aber seit Bruder Branford 1984 mit „Scenes in the City“ debütierte, hatte ich bei ihm seltsamerweise nie ein solches Bedürfnis – auch wenn er noch so sehr unter die technisch perfekten, aber ausdruckslosen young lions gerechnet wurde.

Zwanzig Jahre später, tempus fugit, bin ich immer noch und immer mehr der Meinung, dass Branford Marsalis ein großer Saxophonist ist. „Eternal“, seine neueste Produktion mit dem eingespielten Stamm-Quartett Joey Calderazzo (p), Eric Revis (b) und Jeff „Tain“ Watts (dr) ist Jazz pur. „Gloomy Sunday“ zum Beispiel, eine Komposition, die durch Billie Holiday quasi sakrosankt geworden ist, enthüllt bei Marsalis & Co. plötzlich ganz neue Seiten, die sie aus dem Stück liebevoll herausspielen (und nicht krampfhaft herausbrechen), Marsalis´ voller, warmer Tenorsound kost die Harmonien, abseits von Kitsch und Klischee. Oder „The Ruby and the Pearl“ – ein knapper Einstieg auf dem Sopran, dann definiert Tain Watts die Angelegenheit mit ein paar Takten als „latin“ und im weiteren Verlauf wird eine tief respektvolle Hommage an die frühen Heroen des Sopransaxophons daraus, bonjour Monsieur Bechet.

Branford Marsalis wurzelt ohne Zweifel so tief in der Jazz-Tradition wie sein großer Bruder. Allerdings pflegt er einen extrem kreativen Umgang mit dieser Tradition, die den Gedanken an Musealität gar nicht aufkommen lässt. Belegen lässt sich dieser Unterschied bei kalter Strukturanalyse möglicherweise nicht; hören kann man ihn jede Sekunde. Branford spricht mit seiner Stimme zu uns, sein Saxophon erzählt und hat etwas Substantielles zu erzählen. Natürlich ist auch diese Auffassung von Jazz historisch, und trotzdem trifft der Titel der CD genau den Punkt: „Eternal“.

Thomas Wörtche

Branford Marsalis Quartet: Eternal. Marsalis Music/Rounder11661-3309-2