Konspiratives römisches Chaos
Leonardo da Vincis Ziehsohn Salai soll in Rom ein seltenes Buch über Kosmologie ausfindig machen und erlebt dabei gefährliche Abenteuer – ein Fest für Verschwörungstheoretiker, serviert von den Paranoia-Profis Monaldi/Sorti. Peter Münder ist begeistert paranoid …
Alle konspirativen Wege führen nach Rom, davon ist jedenfalls das auf historische Krimis (Secretum, Veritas) spezialisierte italienische Autorenpaar Rita Monaldi und Francesco Sorti überzeugt. In ihrem letzten Band Die Zweifel des Salai begleitete Leonardo da Vincis aufmüpfig-respektloser Ziehsohn und Gehilfe den großen Maler und Erfinder nach Rom, wo sie beide – im Jahre 1501 – in eine Verschwörung gegen den Borgia-Papst Alexander VI. verwickelt wurden. Im neuen, sieben Jahre später spielenden Roman wird Salai von Leonardo aus Florenz nach Rom geschickt, um dort ein seltenes Buch über Kosmologie zu besorgen. Der geltungssüchtige Künstler möchte nämlich auch gern mitreden können bei den spannenden Debatten über die Entdeckung Amerikas und die umstrittene Rolle von Columbus, Amerigo Vespucci und anderen Abenteurern. Daher möchte er die im gesuchten Buch enthaltenen Illustrationen kopieren, um so seine vermeintlich enormen Kenntnisse der amerikanischen Topographie unter Beweis zu stellen.
In seinem Bericht über die abenteuerliche Rom-Reise macht der dreiste, aber keineswegs dumme Salai in seinem erfrischenden, rotzfrechen Jargon deutlich, dass er Leonardo für einen Schaumschläger und Angeber hält: „Er liebt es, Berge von Büchern anzuhäufen, dabei kapiert er selbst nicht, was zum Henker da drin geschrieben steht, weil viele sind auf Latein, und obzwar er sich schämt, aber von Latein hat er gar keinen blassen Dunst denn er hat’s nie geschafft, es zu lernen. Ich mach mir immer einen großen Spaß daraus, mir den Stuss anzuhören wo mein Ziehvater seinen Gästen erzählt, um vor ihnen den weisen Mann zu spielen. Leonardo ist eigentlich ignorant wie die Bauern aus Vinci sein Heimatdorf, aber er tut gern wie wenn er was Besseres wär.“
Die Geheimnisse der Kosmographie
Natürlich wird der hemmungslos drauflos schnatternde Salai wieder in gefährliche Abenteuer und Intrigen verwickelt, aber als passionierter Schürzenjäger kann er sich auch in neue Techtelmechtel stürzen. Da die Besitzer des in Straßburg verlegten kostbaren Buches Cosmographiae introductio von Waldseemüller und Ringmann bestens über dubiose biografische Hintergründe von Columbus, Vespucci und anderen Seefahrern informiert sind, kommen Verschwörungstheoretiker wieder voll auf ihre Kosten: Wenn Kolumbus tatsächlich Tempelritter, illegitimer Sohn von Papst Innozenz VIII. und ursprünglich sogar Seeräuber war, welche Rolle spielte dann der Vatikan, der Kolumbus offenbar finanziert hatte? Waren die Templer und obskure schottische Mönchsorden schon lange vor Kolumbus in Amerika gewesen? Wollen Straßburger Gruppierungen, die sich als Revolutionäre der Neuzeit einen Namen machten, ihr Geheimwissen über moderne geografische Erkenntnisse mit rigorosen Machenschaften bewahren? Salai wird jedenfalls von mehreren seltsamen Beobachtern verfolgt, er gerät in kritische Situationen und flüchtet schließlich nach einem Mordfall überstürzt aus Rom. Doch er wird auf der Flucht verhaftet und möchte mit seinem mehrmals korrigierten Protokoll den untersuchenden Kriminalnotar von seiner Unschuld überzeugen. Da Salai aber mit einer geschickten Salami-Taktik die wichtigsten Details nur scheibchenweise absondert, muss ihm mit etlichen Peitschenhieben bei der Wahrheitsfindung nachgeholfen werden. Doch der mit üppiger Ironie gesegnete schlagfertige Schelm Salai erträgt die Bürokraten-Tortur erstaunlich gelassen; hinter seinem naiv anmutenden Gassenjargon verbirgt sich die Pose des ironisch-zynischen Beobachters, der seine Kritiker souverän einlullen und hinters Licht führen kann. Er ist vor allem Schürzenjäger und Gourmet und ist begeistert, wenn er hübsche Mägde sieht „mit einer Haut so weiß wie Sahne und Lippen wie Blut so rot und Brüsten wie zwei Äpfel so rund“, die er auch prompt verführt.
Schwer zu sagen, was man mehr bewundern soll: den lockeren, schlüpfrig- amüsanten, (übrigens großartig übersetzten) Jargon des Erzählers Salai oder den akribisch recherchierten historischen Hintergrund dieses mitreißenden Krimis? Der Nebel diffuser Intrigen und Verschwörungstheorien verdichtet sich zwar zusehends, die Spekulationen über eine geheime Straßburg-Connection oder über den venezianischen „Rat der Zehn“ hören sich immer fantastischer an – doch die Anmerkungen des Autoren-Duos lassen keinen Zweifel an der Echtheit dieser damals heiß diskutierten Thesen und Traktate aufkommen. Keine Frage, das Duo Monaldi/Sorti hat sich mal wieder gesteigert und mit diesem Band einen extrem unterhaltsamen, großen Wurf geliefert.
Peter Münder
Rita Monaldi & Francesco Sorti: Die Entdeckung des Salai. (Il nuovo di Salai, 2009). Roman.
Deutsch von Annette Kopetzki.
München: Kindler Verlag. 318 Seiten. 19,90 Euro.