Geschrieben am 7. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check I: David Osborn – Jagdzeit

Kein Bourbon am Tötungstag

– David Osborns hammerharter Thriller „Open Season“  von 1974 ist jetzt bei Pendragon in einer Neuausgabe mit einem Nachwort von Frank Göhre erschienen. Ein Klassiker-Check von Peter Münder.

Die drei Kumpel Ken, Greg und Art kennen sich schon seit ihrer wilden College-Zeit und nach noch wilderen, brutaleren Kriegserfahrungen in Vietnam;  jetzt sind sie arriviert, haben gut dotierte Jobs, sind im Rotary Club, verheiratet mit Kindern – der Inbegriff gut situierter suburban Middle-class-Typen. Doch einmal im Jahr brechen sie aus ihrem bürgerlichen Ghetto aus und gehen auf die Jagd, oben an der Seenplatte, nicht weit von der kanadischen Grenze. Obwohl sie gnadenlos Hirsche, Biber, Kojoten, Kaninchen und Vögel abballern, geht es ihnen aber vor allem um den ultimativen, viel geileren Kick: Sie kidnappen willkürlich Paare, verschleppen sie in ihre entlegene Jagdhütte, um sie dort gefangen zu nehmen, sie zu vergewaltigen und sie dann nach einer Hetzjagd umzubringen.

Hammerhart

Diesen makabren, hammerharten und enorm spannenden Thriller hatte David Osborn 1974 als „Open Season“ veröffentlicht. Er wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt und im Stern 1975 als Fortsetzungskrimi veröffentlicht. Die Filmversion nach Osborns eigenem Drehbuch wurde als britisch-spanisch-italienische Koproduktion in New Mexico mit Peter Fonda  realisiert, wie Frank Göhre in seinem ebenso spannenden wie informativen Nachwort anmerkt. Wenn es Osborn nur um den Thrill eines „Mad Max“- Rachefeldzugs gegangen wäre, dann wäre die Resonanz wohl auch noch beachtlich gewesen. Ich glaube aber, dass sein scharfer, analytischer Blick tiefer geht und sich auf die höllischen Nebenwirkungen einer fatalen Männer-Kumpanei fokussiert, wie man sie bei diesen immer wieder beschworenen Soldaten-Bruderschaften erlebt: Man darf den Kameraden nicht im Stich lassen – also macht man alles mit. Auch die übelsten, aggressivsten, mörderisch-pathologischen Exzesse, bei denen dann etliche Opfer auf der Strecke bleiben. Das Trio Infernale Ken, Greg und Art besäuft sich, vergewaltigt Frauen, bringt gekidnappte Paare um – dies alles eben als konforme Gruppe. Und nach eisernen Regeln wie etwa: Kein Bourbon am Tötungstag!  Niemand wagt es, sich aus dieser fatalen Gruppendynamik auszuklinken, weil er erpressbar ist, aber auch zu schwach. Offenbar muss das schwächelnde Ego immer von den anderen mit bestätigenden Anerkennungsdosierungen gekitzelt und verwöhnt werden. So hat Ken etwa in einem kurzen Flash die Vision, mit der gefangenen Nancy, die alle drei gerade eine Nacht lang vergewaltigt hatten, durchzubrennen: Warum nicht alles hinschmeißen, die nörgelnde Frau, die Kinder vergessen und mit dieser patenten Nancy durchbrennen, geht es ihm durch den Kopf. Und prompt schaltet sich seine Selbstzensur-Instanz  dazwischen: Was würden die Kumpel machen? Würden ihre Machenschaften nicht sofort auffliegen, weil die beiden ihn denunzieren würden?

David Osborn

Gnadenlos

Osborn entwickelt nicht nur eine atemberaubende Dramaturgie, die eher unauffällig und unspektakulär den Jäger einblendet, der das mörderische Trio gnadenlos und mit einer roboterhaften Perfektion verfolgt. Er lotet auch die Untiefen aus, die den Ausbruch aus dem Bürger-Ghetto so verheißungsvoll aufflackern lassen: Piss off, Du geheuchelter Biedermeier-Charme, Schluss mit den ritualisierten, dümmlichen Nachbar-Meetings und dem gelegentlichen Frauentausch. Stattdessen wird der Sprung in den Exzess gewagt, bei dem dann eben alles riskiert wird. „Er war einfach ein Tier, das nicht dachte“, heißt es an einer Stelle – so direkt und ohne Zuckerguss verabreicht Osborn seine kritischen Dosen an Zivilisationskritik, die den Leser trotz des rasanten Plots vorübergehend zur Reflexion veranlassen. Das ist vielleicht das genuin Klassisch-Meisterhafte bei Osborne: die Spannung erhöhen, den narrativen Turbolader zum Glühen bringen und dabei noch den Bohrer ansetzen, um tiefer zu bohren und in Dimensionen vorzustoßen, in denen er die Schwachstellen eines maroden Gesellschaftssystems ausmachen kann.

Wie Osborn die dramaturgische Klammer zwischen Prolog und dem dramatischen Ende konstruiert, die Psychogramme der Protagonisten umreißt und den rasanten Plot zuspitzt, das ist einfach mitreißend – „Jagdzeit“ ist ein fabelhafter Pageturner (auch wegen der gelungenen Übersetzung), den man einfach an einem Stück durchliest – eine ziemliche Rarität in diesen Tagen.

Faszinierende Details aus der Vita dieses inzwischen 88-jährigen, putzmunteren Autors liefert Frank Göhre: Osborn wuchs in New York auf, wurde Kampfpilot mit Einsätzen im Südpazifik, war PR-Mann an Theatern und Pressechef eines Produzenten von Werbefilmen. Dann wurde er vom Kommunistenjäger McCarthy wegen unamerikanischer Umtriebe unter Beschuss genommen – er hatte unorthodoxe Radioprogramme für Afro-Amerikaner produziert – und siedelte nach Frankreich um. Und hier begann erst seine echte, erfolgreiche Autorenkarriere mit „Glass Tower“ 1971 und  „Open Season“. Zuletzt hat er übrigens – Dan Brown lässt grüßen – den  Roman „The Last Pope“ geschrieben, in dem es um Intrigen und Machtkämpfe im Vatikan geht. Eine fabelhafte Wiederentdeckung, diese „Jagdzeit“!

Peter Münder

David Osborn: Jagdzeit (Open Season, 1974). Roman. Deutsch von Marcel Keller. Mit einem Nachwort von Frank Göhre. Bielefeld: Pendragon Verlag. 274 Seiten. 10,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch