Geschrieben am 2. Juli 2011 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Movie-Check: „The Fighter“

Movie-Check: „The Fighter“

– Boxerfilme gehen oft in die Falle, aber „The Fighter“ hat was. Findet Dirk Schmidt.

Als Eddie Murphy noch komisch war und sein Talent nicht in unsagbar schlechten Komödien vergeudete, hatte er eine schöne Nummer im Programm, die davon handelte, wie ein Italo-Amerikaner gerade eine Kinovorstellung von Rocky II verlässt. Weil Rocky seinen schwarzen Widersacher schon zum zweiten Mal auf die Bretter geschickt hat, ist der junge Mann zu der Überzeugung gekommen, jeder Italo-Amerikaner könne immer und prinzipiell jeden Schwarzen umhauen. Das geht sehr schief, war damals lustig und entlarvend und spätestens seit Rocky III auch mehr als verdient.

Rocky hier …

Rocky ist vielleicht der eine Pol des zeitgenössischen Boxerfilms. Kitschig, heroisch, mit einem Schuss strukturellem Rassismus und High-Concept. Man kann viel Schlechtes über Rocky sagen, aber immerhin gibt es diese faszinierende Kongruenz zwischen der Figur und dem Mann, der ihn verkörpert. Von der Gestalt, die nachts durch die abgefucktesten Ecken von Philadelphia wandert, kann man nie so genau sagen, ob es sich um den arbeitslosen Schauspieler Sylvester Stallone handelt oder eben Rocky Balboa, den Boxer, der eigentlich alles hinter sich hat.

Raging Bull da …

Eine ähnliche Kongruenz zeichnet auch den Film aus, der bis vor kurzem den anderen Pol besetzte. „Raging Bull“ ist klassisches New Hollywood. Brillant gefilmt, brillant besetzt, genial gespielt und in der allerletzten Konsequenz auch ein Dokument über den psychischen Zustand seiner Protagonisten und seines Regisseurs. Martin Scorsese hat behauptet, der Film habe ihm, als er bereits tief in der Kokain-Sucht versunken war, das Leben gerettet. Robert de Niro liefert eine Leistung ab, die zu seinen klassischen gehört und die Boxsequenzen sind selbst heute noch schwer zu ertragen.

Warum bis vor kurzem? Wegen „Million Dollar Baby“. Dunkler, unheroischer und auswegloser als in Clint Eastwoods Meisterwerk kann man sich einen Sportfilm kaum vorstellen. Dagegen ist Ron Howards  „Cinderella Man“ reinstes MGM, starbesetzt und voller guter Menschen, die alle nur das Beste wollen.

„The Fighter“ fällt auf den ersten Blick in die „Rocky“-Kategorie. Denn der Fighter wird die Genreanforderung Nr.1 erfüllen und am Ende siegen. Aber auf dem Weg dorthin durchlebt er eine bemerkenswerte Entwicklung, die seinen sportlichen Werdegang beinahe zur Nebensache werden lässt. Mickey Ward, wunderbar zurückgenommen verkörpert von Mark Wahlberg, ist im besten „Rocky“-Alter und folgerichtig nur ein paar Kämpfe vom Ende entfernt. Aber wenn er ganz tief in den Abgrund blicken will, braucht er nur seinen Halbbruder und Trainer anzuschauen. Dicky Eklund (Christian Bale) ist der „Stolz von Lowell“, weil er die kleine Industriestadt unweit von Boston vor Jahren mit einem Niederschlag des berühmten Sugar Ray Leonard auf die Landkarte des Boxsports gebracht hat. Vielleicht ist der große Sugar Ray damals auch nur ausgerutscht. Das ist schwer zu sagen. Selbst Dicky weiß es nicht genau und deshalb schaut er sich den Kampf fast täglich noch einmal an. In einem Crackhaus umgeben von seinen Freunden und Leidensgenossen in der Gnadenlosigkeit der Abhängigkeit. Er muss tief an der Pfeife ziehen, um sich noch einmal dem Höhepunkt seines Lebens entgegenzusehnen – immerhin wird er auf Schritt und Tritt von einem Fernsehteam begleitet und erzählt jedem, der es hören will, es handele sich um eine Dokumentation über sein Comeback. Wenn Mickey Ward mal in eine andere Richtung schaut, sieht er seine Managerin und Mutter. Eine prollige Blondine die, von Ehrgeiz zerfressen, nicht wahrhaben will, was ihr Ältester so treibt und ihren Jüngsten zur Not den Wölfen zum Fraß vorwirft: Den Wölfen oder einem 20 Pfund schwereren Ersatzkämpfer, als ein Kampf zu platzen droht. Selten war es so egal, welche Hautfarbe der Mann hat, der den Protagonisten eines Films verprügelt, bis er nicht mehr stehen kann. Denn ganz gleich, was im Ring passiert – hier ist Mickey Ward fast sicherer als außerhalb, wo seine Familie auf ihn wartet.

Hollywood & Liebe

Für den Film wiederum ist diese schrecklich nette Familienkonstellation ein einsamer Glücksfall. Mickey Ward ist nicht nur der Kleinste, das Nesthäkchen und die letzte Chance der Sippe – nein, zwischen ihm und Dicky stehen auch noch 6 (!) Schwestern und Halbschwestern, von denen keine einer geregelten Tätigkeit nachzugehen scheint und jede eine Schwäche für Schreidialoge hat. Mitten im Film ist Mickey ganz unten.

Zu Hilfe kommt ihm … Hollywood … die Liebe. Diesmal in Gestalt einer Ex-Alkoholikerin, die als Barfrau arbeitet und von Amy Adams mit glaubwürdiger Verve gegeben wird. Seine neue Liebe ist wie ein neues Leben und befreit ihn aus den Familienfesseln. Endlich hat Mickey den Mut, seiner Mutter zu sagen, dass er einen neuen Manager braucht und seinem Bruder, dass er sich zum Teufel scheren soll.

Kurz darauf wird Dicky Eklund bei einem dilettantischen Betrugsversuch hochgenommen. Das Filmteam hat inzwischen seine Dreharbeiten abgeschlossen und bald stellt sich heraus, dass der Film nicht vom Boxen handelt, sondern von Crack. Den (von HBO produzierten und preisgekrönten) Dokumentarfilm „High on Crack Street: Lost lives in Lowell“ schaut Dicky sich bereits im Knast an. Er sieht sich selbst und begreift plötzlich, was aus ihm geworden ist. Am nächsten Tag beginnt er mit dem kalten Entzug und jetzt scheint der Film von neuem zu beginnen. Dicky Eklund nimmt den Kampf auf und wir werden Zeuge eines großen Fights. Was Christian Bale in dieser Rolle abliefert, ist aller Ehren wert. Wer sich die Mühe macht und in „High on Crack Street (…)“ reinschaut, wird erkennen, mit welcher unglaublichen Intensität Bale sich die Figur des Dicky Eklund zu eigen gemacht hat. Großartig. Beinahe ebensolche Bewunderung kann man Amy Fischer und Melissa Leo zollen.

Leo, die Mickey Wards durchgeknallte Mutter spielt, hat ihren Oscar mindestens so verdient wie Christian Bale.

Der wahre Fighter

Zum Schluss kämpft Mickey Ward seinen großen Kampf. Aber seit er Mutter und Bruder auf Distanz hält, hat er ohnehin bereits gewonnen, bevor er den Ring betritt. Der wahre Fighter jedoch ist Dicky Eklund, der sich zurück ins Leben und an die Ringseite kämpft, um seinem kleinen Bruder endlich eine Hilfe zu sein und ihm die entscheidenden Tipps zu geben. Hollywood? Ja, aber at it’s best.

Dirk Schmidt

Offizielle Webseite zum Film, Wikipedia Artikel zu „High on Crack Street …“. Lust auf Training mit dem „Fighter“?

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