Horror, Horror!
Ein schöner Bildband und zwei kluge Textsammlungen zum Thema. Thomas Wörtche hat ein wenig geschwelgt.
„Horror ist das Gegenwärtige, die Vergegenwärtigung. Die Tatsache, der man ins Auge sehen muss … Horror ist die Wanze, die dir aus dem Ohr kriecht. Horror sind die Nazis an der Macht.“ Und Amstetten ist Horror und Winnenden und Roland Koch und das, was mir gestern Abend ein devianter Gastronom als Essen verkaufen wollte auch – und alles und jedes ist der reine Horror, ich sage Euch, und dann ist die Metapher ausgeleiert und sind Objekt- und Metasprache endgültig vermatscht.
Macht aber nix, weil solche pseudointellektuellen Einleitungen wie die oben zitierte, anscheinend zum Buchtypus des Horrror-Film-tea-table-books dazugehören, wie die Fliegen zum Aas. Insofern wollen wir uns auch gar nicht um die eher putzigen Schein-Theoriebildungen kümmern, die uns der schöne Bildband Horror Cinema von Jonathan Penner, Steven Jay Schneider und Herausgeber Paul Duncan anbietet. Irgendwie hat man sowieso das Gefühl, dass auch die Buch-Macher eher Spaß an den prächtig-ekligen Bildern hatten als an schlaugemeierten Texten. Wir verstehen das.
190 Seiten Hochglanz-Fotos von Alien bis Shining also, eine opulente Bilderorgie aus Gewalt, Verwesung, Sex und Tod, die man sich, folgt man unserem Bundespräsidenten, eigentlich gar nicht ansehen darf, ohne die Selbstachtung zu verlieren. Vampire, Zombies, Werwölfe, gemischte Monster (wenn auch wenige Gängselgeister und Klopfsauger according to Piet Klocke) und kreischende Frauen auf eher seltenen Fotos, Film-Stills und Werkstattschnappschüssen.
Rares Material in Hülle und Fülle und apartes dazu: Vincent Price etwa, der ein PR-Tänzchen mit einem Skelett wagt, und rotdominierte, bluttriefende Seiten à la Dark Society. Die verbindenden Texte sind dann am besten, wenn sie einfach die Geschichte der einzelnen Horror-Motivtypen von Homer bis Shakespeare et al und ihren diversen filmischen Realisation nacherzählen und nette, kleine Anekdoten und Fakten bieten. Man kann das Buch, wenn man will, auch als Geschichte der Spezialeffekte lesen – von rührend bis würgbäää! –, als Chronologie von gesellschaftlichen Neurosen (aber Vorsicht: Horrorfilme sind nur bedingt Speichermedien für die Psychopathologie der westlichen Zivilisation) oder auch als die Geschichte der Dialektik von kommerziellem und off-off-Kino. Die Schauwerte sind auf jeden Fall bemerkenswert und beantworten die Frage, ob die Welt dringend noch einen Bildband mit vielen, vielen bunten Leichen und mit axtschwingenden Frauen drin braucht, mit einem klaren: Ja!
Viele kluge Einzelthesen
Um die Theoriebildung zum Thema Horror, Monster und andere kleine Schleimer kümmern sich zwei schöne Sammelbändchen: On Rules and Monsters, herausgegeben von Benjamin Moldenhauer, Christoph Spehr und Jörg Windszus präsentiert „Essays zu Horror, Film und Gesellschaft“, und Thomas Ballhausen denkt in Delirium und Ekstase. Die Aktualität des Monströsen in diversen Essays über unser Thema nach. Konsens herrscht bei beiden Bänden sicher über die Basis von Horrorfilm und andere Manifestationen des Monströsen, die davon ausgehen, dass Gewalt ein konstitutives Element von Gesellschaft ist. Auch, dass die „Peripherie“ (resp. mehrere Peripherien, darunter natürlich und gerade auch die des guten Geschmacks) in die Zentren rückt, dass die Grenzen des Zeigbaren sich nicht nur tricktechnisch verschoben haben, dass die Deformation der Körper eine hohe Signifikanz hat und dass das verzweifelte Ankämpfen gegen die Kontingenz vermittels Sinnstiftungs-Konstrukten im Horror-Milieu noch konsequenter verweigert wird, als dies in der Kriminalliteratur getan werden sollte. Allerdings gehen beide Bände seltsamerweise nicht (oder nur marginal und leider nicht sehr kenntnisreich) auf die Nachbarschaften, Parallelen und Analogien zur Kriminalliteratur ein. Zu anderen Formen schon: zu Comic, Science Fiction und anderen poetischen Konzepten. Und, im Falle von On Rules … schaut man auch nach Afrika und, manga-notwendigerweise, nach Japan, wo die Gewaltintensität traditionell sowieso erheblich dichter und höher ist. Hier die vielen klugen Einzelthesen beider Theorie-Bände zu referieren, wäre müßig, sie verlangen nach eigener Lektüre, zu der hiermit lautstark aufgerufen sei.
Eine Warnung noch zum guten Ende: Beide Bände enthalten Fremdworte und Sätze, die nicht nur aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestehen. Beide vermeiden schwachsinnige Pseudobegriffe wie „Humorkrimi“ und ähnlichen Unfug. So etwas aber gilt, wie wir immer öfter lesen müssen, als elitär und arrogant und irgendwie antipatico. Deswegen gibt es hier auch kein Mokieren über eventuellen Jargon-Overkill, auch wenn das manchmal im Eifer des Gefechts passieren kann. Die Beiträger haben sich Gedanken gemacht, das wird man dann auch von Lesern bitte verlangen dürfen. Sonst herrscht bald der intellektuelle Horror.
Thomas Wörtche
Jonathan Penner/Steven Jay Schneider/ Paul Duncan (Hg): Horror Cinema. Keine Übersetzernennung. Hongkong, Köln, London etc: Taschen 2008. 192 Seiten. 19,90 Euro.
Moldenhauer/Spehr/Windszus (Hg.): on Rules and Monsters. Essays zu Horrer, Film und Gesellschaft. Hamburg: Ariadne Verlag 2008. 190 Seiten. 9,90 Euro.
Thomas Ballhausen: Delirium und Ekstase. Die Aktualität des Monströsen. Wien: Milena Verlag 2008. 167 Seiten. 16,50 Euro.