Das Geheime und die Gesellschaft
– In diesem Sommer geht die Schirn in Frankfurt dem Geheimnis auf den Grund. Statt jedoch die Mysterien geheimer Vereinigungen aufzudecken, werden hier Mythen und Mechanismen sichtbar gemacht, die konspirative Organisationen kennzeichnen. Welche Funktion hat das Geheime in Kunst und Gesellschaft? Ein Rundgang durch die Ausstellung „Geheimgesellschaften. Wissen Wagen Wollen Schweigen“ von Kerstin Schoof.
Wer den Trakt der „Geheimgesellschaften“ in der Schirn betritt, begibt sich selbst in mystische und oft unheimliche Gesellschaft. Umgeben von Zeichnungen, Videos, Plastiken oder Installationen, die die Symbolik geheimer Brüderschaften aufnehmen, werden Assoziationen an die Illuminaten und die Mafia geweckt, an Geisterbeschwörung und maskierte Prozessionen. Aber die hier versammelten künstlerischen Arbeiten rufen nicht nur bekannte Bilder ab, sondern erzeugen auch eine Rätselhaftigkeit, die dazu führt, genauer hinschauen zu wollen, die ausgestellten Werke über ihr geheimes Wissen zu befragen – funktioniert zeitgenössische Kunst also wie eine Geheimgesellschaft, wie die Kuratoren Cristina Ricupero und Alexis Vaillant behaupten?
Der Okkultist Eliphas Lévi hat die Struktur von Geheimgesellschaften im 19. Jahrhundert mit den Schlagworten „Wissen, Wagen, Wollen, Schweigen“ charakterisiert. Die in der Schirn zusammengestellten Arbeiten beschäftigen sich mit den verschiedenartigen Facetten dieser Prinzipien – mit der Verheißung auf Erleuchtung bis hin zur Ekstase, die Einweihung und geheimes Wissen bedeuten, ebenso wie mit der Kehrseite des Geheimen: streng hierarchischen Organisationen, obskuren Meistern und dem Druck des Schweigegebots. „Geheimgesellschaften“ will hierbei nicht die Geheimnisse konkreter historischer Geheimbünde lüften, sondern ihre Funktionsweisen und Mechanismen sichtbar machen.
Zwischen erhaben und lächerlich
Für den Besucher wird so die gesamte Bandbreite der Faszination und des Abstoßenden von Geheimgesellschaften erlebbar: Rätselhafte Rituale wie in Kenneth Angers „Invocation Of My Demon Brother“ können jederzeit in billigen Hokuspokus kippen, geheimes Wissen erscheint plötzlich als paranoider Realitätsverlust, ein erst mystisch wirkendes Exponat wie Julian Göthes tiefschwarze Skulptur „Die nächste Begegnung wollen wir dem Zufall überlassen“ verliert bei näherem Hinsehen jeden Zauber – und gewinnt ihn beim späteren Vorbeigehen doch wieder zurück. Einige Künstler nähern sich diesem Changieren zwischen Erhabenem und Lächerlichem ironisch: etwa Donghee Koo, die in ihrem Video „Overloaded Echo“ eine okkulte Zusammenkunft zeigt, deren Teilnehmer im Bürokostüm verspätet am Séancentisch eintreffen, verstohlen gähnen und schließlich das rituelle Geschehen mit der Handykamera filmen. Oder Susanne Treister, die in ihrer Serie „Hexen2039“ kunstvolle Stammbäume erstellt und historische Verwandtschaften bedeutender Persönlichkeiten, Institutionen, Orte und magischer Objekte nachzeichnet, unter die sich neben den üblichen esoterischen Verdächtigen wie Helena Blavatsky und Aleister Crowley auch Uri Geller, der Zauberer von Oz und mit wiederkehrender Regelmäßigkeit E-Bay mischen.
Im Geheimen operierende Organisationen heute: Al-Quaida, Mafia und CIA
Doch die Ausstellung der Schirn thematisiert Geheimgesellschaften nicht nur als sagenumwobene, okkulte Vereinigungen der Vergangenheit, sondern auch in ihrer modernen Ausprägung als politische Organisationen oder organisiertes Verbrechen: als Geheimdienste, Mafia oder Terrorzellen. So verarbeitet Jenny Holzer in ihren Ölgemälden „Water Board Zubaydah“ und „Certified Interrogators“ Auszüge aus CIA-Akten zur Folter von Gefangenen. Im Rahmen eines später zurückgezogenen Werkauftrags des niederländischen Nachrichtendienstes traf sich die amerikanische Multimedia-Künstlerin Jill Magid über mehrere Jahre hinweg mit Geheimagenten des AIVD, die sie in ihrer Arbeit „18 Spies“ charakterisiert. „I Can Burn Your Face“ leuchtet in einem Neonschriftzug über deren Persönlichkeitsprofilen – die Drohung, das Gesicht eines Agenten zu „verbrennen“ und seine sorgsam konstruierte Identität aufzudecken. Tobias Zielony schafft mit seinem Film „Le Vele di Scampia“ ein eindrucksvoll dramatisiertes, irreal anmutendes Porträt der gleichnamigen futuristischen Wohnsiedlung in Neapel, eines von der Mafia beherrschten Betonkomplexes, der das Lebensgefühl ständiger Bedrohung bereits architektonisch zu verkörpern scheint.
Die Ausstellung als materialisiertes Geheimnis
Die Schirn hat ebenfalls eigens den Künstler Fabian Marti beauftragt, den Fragestellungen der „Geheimgesellschaften“ durch eine ausgefeilte Gestaltung der Ausstellungsräume Form und Ausdruck zu verleihen. Die verwinkelte Anordnung der über hundert Exponate, die mehrere Werke eines Künstlers nicht gemeinsam gruppiert, sondern an ganz unterschiedlichen Orten auftauchen lässt und manche Arbeiten fast zu verstecken scheint, produziert so ständig Mehrdeutigkeiten und lässt immer neue Verbindungen zwischen Künstlern und Themenfeldern erahnen. „Notwendigerweise“ – so die Website – „wird es einen gewissen Grad an Verdunkelung geben“. Auch der Audio-Guide sorgt hier nicht für Klarheit: Statt Erläuterungen zu einzelnen Ausstellungsstücken zu liefern, ergänzt er die „Geheimgesellschaften“ durch einen spannenden, mehr als einstündigen Audio-Essay, der die Geschichte und Hintergründe konspirativer Gemeinschaften beleuchtet und auch auf der Website der Schirn kostenlos abgerufen werden kann. Audio-Essay
Eine gewisse Verwandtschaft zwischen Kunst und Geheimgesellschaften erscheint nach Ausstellungsbesuch jedenfalls sehr plausibel. Diese Frage wird nicht zuletzt im Katalog vertieft, der u. a. Überlegungen zum „Verstummen der Rockmusik“ in der experimentellen Elektronik der 1990er Jahre und in zeitgenössischen künstlerischen Klangproduktionen anstellt – und die Exponate der „Geheimgesellschaften“ noch einmal etwas übersichtlicher präsentiert …
Kerstin Schoof
(Fotos: Norbert Miguletz, Schirn Kunsthalle Frankfurt)
„Geheimgesellschaften. Wissen Wagen Wollen Schweigen“ ist noch bis zum 25.09.2011, täglich außer montags 10 – 19 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 22 Uhr in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main, Tel 069.29 98 82-0 zu sehen. Zur Webseite der Ausstellung. Interview mit den Kuratoren: „Man betritt eine völlig andere Welt”. Katalog 29,80 Euro. Im Buchhandel 34 Euro.