Das reine Vergnügen
Originalität und Innovation sind nicht unbedingt und immer Qualitätskriterien. Hin und wieder geht es auch ohne – wie Criminal 1: Feigling von Ed Brubaker und Sean Phillips zeigt. Ein schöner Comic, gelesen von Thomas Wörtche.
Nichts, aber auch gar nichts Originelles bietet die Zusammenarbeit des Szenaristen Ed Brubaker mit dem Zeichner Sean Phillips. Eine Gangstergeschichte aus dem Geiste Donald Westlakes oder Garry Dishers, in der alle alle aufs Kreuz legen wollen und die meisten am Ende tot sind. Fluchtwegespezialist Leo, der „immer davonkommt“, weil er vermeintlich ein Feigling ist, muss sich auf einen schrägen Deal mit korrupten Cops und falschen Freunden einlassen. Aber Leo liebt es nur deshalb, sich offensiv aus allem Ärger herauszuhalten und deswegen eben als Feigling zu gelten, weil er tief drinnen sooo furchtbar mies und böse sein kann, dass er das selber auf gar keinen Fall will. Aber wenn man ihn dazu zwingt …
Auch sonst ist alles da, was den Gangsterroman/-film/-comic-Freund entzückt. Eine toughe Frau, die dann wegkommt, weil der Held noch tougher da stehen muss, ein paar sehr robuste Action-Szenen, was fürs Herz (Leo pflegt einen alten Herrn – Junkie plus Alzheimer und als dementer Greis immer noch fröhlich hinter den Mädels her …) und eine verwickelte Historie der Hauptfigur, nebst Vor- und Nebengeschichten, die in diesem ersten Band der Serie eher angetextet, denn ausgeführt werden. Dafür sind dann die nächsten Folgen (vier weitere gibt es, soviel ich weiß) zuständig. Wie gesagt: Nichts Neues unter der Sonne.
„Gangster, hart, aber mit Herz“
Und das ist in diesem Fall gut so. Denn Eisner-Award Gewinner Brubaker (für Criminal 1 gabs noch einen Eisner für die „beste neue Serie“) und der Brite Phillips konzentrieren sich darauf, die Variationen des Themas „Gangster, hart, aber mit Herz“ liebevoll durchzuspielen. Vor allem die Chuzpe, die Geschichte wie an der Schnur gezogen pfeilgerade durchlaufen zu lassen, ohne irgendwo krampfhaft originell sein zu lassen, ist überzeugend. Kein Twist, kein mieser Trick kommt für die Leser überraschend und für die Figuren im Grunde auch nicht. Schweinebacken sind alle, außer dem Helden und den Seinen. Die klaren, kühlen, jeweils leicht verfremdenden Farben und der manchmal fast überstrenge Bildaufbau – vulgo: die Stilisierung des ganzen Strips – reichen aus, um das total Artifizielle der Geschichte klarzustellen. Dazu kommen natürlich, je nach Kenntnisstand oder Assoziationswille des pp. Publikums, jede Menge Anspielungen auf Bild-, Literatur-, und Filmgeschichte der Populären Kulturen. Der immer wieder auftauchende, als running gag mitlaufende Zeitungscomic mit den Abenteuern von „Frank Kafka, Privatdetektiv“ wäre so gesehen eigentlich gar nicht nötig gewesen, auch wenn er ein nettes Surplus bietet.
Auf jeden Fall ist Criminal 1 das reine Vergnügen, wenn man gerade mal ein wenig der hochambitionierten, allzu ehrgeizigen kriminalliterarischen „Kunschtproduktion“ in allen Darreichungsformen überdrüssig ist. Auch das total Normale, das glücklich Unoriginelle kann grandios gemacht sein und insofern einen erhöhten Unterhaltungswert haben. Sogar auf Niveau.
Thomas Wörtche
Ed Brubaker/Sean Phillips: Criminal 1: Feigling (Criminal 1, 2007). Comic. Dt. von Claudia Fliege. Panini Comics 2008. 130 Seiten. 14,95 Euro.