„Weegee, The Famous“
Arthur Fellig (1899-1968) gehört zu den wichtigen Bilder-Machern des 20. Jahrhunderts. Von Thomas Wörtche
Seine Fotos aus den 1930er-, 1940er- und 1950er-Jahren sind hervorragende, prägnante Dokumente des täglichen und nächtlichen Lebens in New York City, berühmt und bekannt auf der ganzen Welt. Sein unsentimentaler, aber sympathisierender Blick auf Stripperinnen, Obdachlose, Liebespaare, Zirkusgänger, Zirkusartisten, Menschen im Kino, Menschen auf der Strasse, bar flies, Musikhörer und andere ganz normale „kleine Leute“ – schwarz, weiß, asiatisch oder vielfach gemischt, Felligs Perspektive kannte da keine Unterschiede – machten seine Fotos identifizierbar. Die Reportage-Arbeiten für diverse Zeitungen, besonders für das eher nach links tendierende (und insofern nicht unbedingt dem mainstream angehörende) Magazin PM, trugen seine einzigartige Handschrift: Felligs Fotos waren deutlich Fotos von Weegee, gar „Weegee, The Famous“, wie er sich selbst nannte: Unverkennbar durch einen bestimmten Blick, einen gewissen Touch, durch eine schwer beschreibbare Magie.
Richtig weltberühmt aber machten ihn seine in den beiden Bänden „Naked City“ (1945) und „Weegee´s People“ (1946) versammelten Fotos von Katastrophen: – von Hausbränden, von Unfällen, von in Panik totgetrampelten Menschen -, von Schicksalen – von Verbrechensopfern, Zeugen, Angehörigen, Kriminellen, Verwahrlosten, Diskriminierten -, und natürlich von „crime scenes“ – von zerschossenen Körpern, zermatschten Gesichtern, Blut und verdrehten Gliedern. Diese Bilder, die entstehen konnten, weil Weegee ständig vor oder gleichzeitig mit der Polizei und Feuerwehr an den Tatorten war (er hörte den Polizeifunk ständig mit) und weil er keine Berührungsängste mit den „letzten Dingen“, mit Blut und Gekröse kannte, zelebrierten oft das grausige, komische Detail – wie das Schild von „The Spot Bar & Grill“ vor dem „on the spot“, also an Ort und Stelle, ein bluttriefender Leichnam liegt. Und damit zelebriert er natürlich unser aller Voyeurismus, unsere Angstlust vor Mord und Gewalt, unsere sabbernde Neugier und Bedürfnis nach Sensation. Weegee war bewusst und klug genug, diese niederen Instinkte und Affekte wiederum in seinen vielen Fotos von Schaulustigen und Augenzeugen der diversen Katastrophen zu thematisieren, ganz im Sinne der romantischen Poetik, Poesie (in diesem Fall: grausige) und Theorie (in diesem Fall: makabre) der Poesie gleichzeitig zu sein. Diese selbstreflexiven Qualitäten sind es, die Weegees Arbeiten konzeptuell aus denen von unzähligen anderen Sensationsfotografien herausheben.
Und Weegee natürlich im doppelten Wortsinn zum Bilder-Macher qualifizieren: Weegee hat uns die Bilder davon gemacht, unsere Vorstellungen davon maßgeblich geprägt, wie die Atmosphäre, der Gestus, die Färbung und Tönung von nächtlicher Großstadt aussieht, speziell von urbaner Gewalt und ihren Orten und Situationen – weil seine Tableaux, seine vielsinnigen Inszenierungen (die eben keinem so naiven Konzept von Authentizität folgen, wie er selbst und ein paar seiner Adepten uns glauben machen wollen) direkt in die kollektive Bildersprache über Urbanität eingegangen sind: Via Film und Comic, via Literatur sowieso und via dem Plattencover von John Zorns „Naked City“, dieser grandios-schrägen Kompilation gewalttätiger Musik.
Das „International Center of Photography“ in New York hat unbekannte und allerdings erklecklich viele bekannte Fotos zu dem Band „Unknown Weegee“ versammelt. „Unbekannt“ dabei sind allerdings nur die Bilder, die erstmals veröffentlicht selbst guten Weegee-Kennern noch nicht vertraut sind. Eine „unbekannte“ Seite, eine „unbekannte“ Akzentuierung sucht man vergebens. Aber die Brillanz der Reproduktion der Bilder und die Freude, mehr Weegee-Material zu haben, stimmt mich an diesem Punkt extrem mild.
Anyway, Weegee gehört zu den Großen des 20. Jahrhunderts.
Thomas Wörtche
Unknown Weegee. Essays by Luc Sante, Cynthia Young, Paul Strand, and Ralph Steiner. Steidl Verlag 2006. 149 S. 25 ¤. ISBN ISBN: 3-86521-312-X