Geschrieben am 3. September 2011 von für Bücher, Crimemag

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini

Grisham im Westentaschenformat

– Ferdinand von Schirach ist nach zwei schmalen Bändchen, die Fälle aus dem Leben eines Strafrechtlers aufbereiten, zu einem der dicksten Bestseller unserer Tage geworden. Preisgekrönt, verfilmt, in alle Welt übersetzt. Thomas Wörtche hat sich den ersten Roman des Hype-Autors number one angeschaut.

Das Beste an Ferdinand von Schirachs Romanerstling „Der Fall Collini“ ist, dass das Buch nicht richtig schlecht ist.

Allerdings ist der Roman auch nicht besonders gut: Ein schmaler Roman über einen jungen Anwalt in Berlin, der als Pflichtverteidiger seinen ersten Mandaten bekommt. Der hatte anscheinend ohne Motiv im Hotel Adlon einen berühmten Industriellen erschossen und ihm dann mit den Füßen der Kopf zu Brei getreten. Der Mörder, Collini, ein älterer, völlig unauffälliger italienischer Gastarbeiter, schweigt beharrlich über sein Motiv. Ergeben lässt er sich  festnehmen, er bestreitet die Tat keine Sekunde.

Der Zufall will es jedoch, dass das Opfer ein guter alter Familienfreund unseres Junganwaltes war, für den er fast väterliche Gefühle hegte. Das ist der moralische Konflikt des Romans: Soll er den Mörder seines alten Freundes verteidigen, kann man das von ihm verlangen? Sein Anwalts-Ethos gewinnt, die Handlung des Buches muss weitergehen. Der Anwalt übernimmt die Verteidigung und es gelingt ihm, durch hartnäckiges Recherchieren, unter Zurückweisung erheblicher Bestechungsgelder ein Motiv für die Bluttat zu finden, das – wenig überraschend – weit in der Vergangenheit, nämlich im Italien der letzten Jahre des 2. Weltkrieges liegt. Stichworte: Partisanenkampf, Vergeltung, Kriegsverbrechen, Exkulpation der Täter in der Bundesrepublik Deutschland, die Rolle der Justiz bei der Nichtverfolgung der Täter, die personelle Kontinuität der Eliten. Möglich, dass hier Ferdinand von Schirachs eigene Familiengeschichte – sein Großvater war der Nazi-Paladin Baldur von Schirach, der „Reichsjugendführer“ – mitschwingt.

In der entscheidenden Gerichtsverhandlung aber obsiegt die Gerechtigkeit, der Rechtsstaat triumphiert, der junge Anwalt bezahlt mit emotionalen Verlusten.

Prosa: unauffällig

Das hört sich alles ein wenig nach Grisham im Westentaschenformat an und damit liegt man auch nicht ganz falsch. Immerhin ist Schirachs Roman schlank und kompakt, er mäandert nicht durch Nebenhandlungen und ergeht sich nicht üppigen Intrigen und Gegenintrigen. Die Prosa ist unauffällig. Sie besteht in der Regel aus anständigen deutschen Sätzen, ohne große künstlerische Formung, was angenehm kühl wirkt. Kleinere Anfälle von selbstverliebter Didaxe (wenn Schirach etwa die Haupthalle des Moabiter Gerichts nicht nur beschreibt, sondern das Beschriebene gleich auslegt: „Angeklagte und Zeugen sollen sich klein fühlen, sie sollen die Macht der Justiz fürchten.“) kann man verzeihen, obwohl gerade sie den  entscheidenden Unterschied zu einem wirklich erstklassigen Schriftsteller ausmachen.

Bleibt nur die Frage, warum von Schirach mit seinen bisher zwei Sammlungen von Kriminalgeschichten, die sich stilistisch und intellektuell nicht sehr von diesem Roman-Erstling unterscheiden, einen derart rasenden Erfolg im Feuilleton und beim Publikum hatte, warum seine Bücher in 30 Sprachen übersetzt sind und warum man ihm ausgerechnet den Kleist-Preis verliehen hat.

Hype: unerklärlich

„Der Fall Collini“ bietet keine überzeugende Erklärung für den Hype an. Dass der Anwalt Schirach kompetent über Verfahren, juristische Standards und andere handwerkliche Dinge erzählen kann, das setzen wir voraus. Dass das Publikum ihm dies als besonders „authentisch“ abzukaufen bereit ist, ist gleichfalls okay. „Authentizität“ steht zur Zeit hoch im Kurs, wie man in jeder Reality-Trash-Show im Fernsehen beobachten kann. Dazu kommt, dass Schirach als „Promianwalt“ (Schabowski, Juretzko, Klaus-Kinski-Erben) mediennotorisch ist, zudem ein charmanter Plauderer, der bella figura in jeder Öffentlichkeit machen kann. Das darf man ihm nicht vorwerfen, das kann den Hype nur ein wenig plausibler machen.

Aber wenn man sich fragt, was sein Alleinstellungsmerkmal zum Beispiel gegenüber Thomas Hettches True-Crime-Roman „Der Fall Arbogast“ (um nur ein Beispiel zu nennen), sein könnte, und wo genau sich Schirach von seinen Kollegen und Kolleginnen unterscheidet, die sich durchaus auf Niveau mit dem boomenden Genre des kriminalliterarischen Sachbuchs, mit true crime befassen, dann bleibt man letztendlich ratlos. Dabei ist  „Der Fall Collini“, wie gesagt, kein schlechter kleiner Roman.

Thomas Wörtche

Eine gekürzte Fassung dieses Textes finden Sie auch hier.

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini. Roman. München/Zürich: Piper 2011. 195 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.

Tags :