Die Welt im Dschugdschurgebirge
Heinrich Steinfest ist und bleibt ein Solitär. Wir raten noch einmal und nachdrücklich von Nachahmung und Klonierung ab. Wir haben schließlich das Original und einen neuen Roman. Frank Rumpel hat ihn freudig gelesen …
Schnöde Durchschnittskost war von Heinrich Steinfest noch nie zu erwarten. Dafür ist der Stuttgarter Autor zu sehr an philosophischen Fragen interessiert, die in den letzten Romanen zu immer phantastischeren Geschichten führten. Der Autor freilich war und ist bemüht, diese phantastischen Elemente als gerade mal ungewöhnlich zu verkaufen, als kleinen Makel in unserer Wahrnehmung, die uns bisher diesen Teil der Wirklichkeit ausgeblendet haben mochte. Man kann auch sagen: Steinfest traut sich was. Nicht zu wundern braucht sich also, wer bei ihm auf einen Außerirdischen trifft, der in einem Reihenhäuschen wohnt oder auf eine antike, steinerne Maschine, die in einer Höhle unter dem Stuttgarter Schlossgarten schläft.
Fliegenpilze
Wem das schon zu viel des Guten ist, braucht vermutlich nicht weiter zu lesen, denn in Steinfests neuem Roman „Die Haischwimmerin“ gibt es eine unterirdische Verbrecherrepublik, die einen Fliegenpilzkult betreibt und einen ebenso unterirdischen Wald ihr Eigen nennt, einen sprechenden Baum, den dicksten, ehemaligen Detektiv der Welt, der im Dschugdschurgebirge als Heiliger verehrt wird und um den Pistolenkugeln einen Bogen fliegen, eine taubstumme Suppenköchin, die in Notsituationen prächtig schießen und noch besser aus den Matrix-Filmen zitieren kann oder einen Professor, der Telefone baut, deren Kabel in Brotlaiben verschwinden. „Wenn man“, überlegt die Protagonistin an einer Stelle, „Verrücktheit ansieht als eine lockere Schraube in einem uhrwerkartigen Gehirn, fragt sich, wer hier eigentlich verrückt ist. Der, der uns denkt?“ So viel also ist klar: Der, der da denkt, hat einen Heidenspaß dabei.
Mal wieder Haie
Vier Jahre ist es her, dass Heinrich Steinfest „Die feine Nase der Lilli Steinbeck“ veröffentlichte, eine Geschichte um eine meinungsstarke Polizistin, die größten Wert auf elegante Kleidung legt und sich keinen Deut um ihre auffällige „Klingonennase“ schert. Sie ist Spezialistin für Entführungsfälle, quittierte aber den Polizeidienst und begab sich für einen Auftrag nach Russisch-Fernost. Diesen Faden nimmt Steinfest in seinem aktuellen Roman auf, der zwar längst nicht sein bester, aber immer noch ein guter ist, reicht jedoch zunächst einmal die Geschichte von Lillis Nase nach. Er erzählt von der jungen Lilli Steinbeck, die sich verliebt und um ein Haar eine Familie gegründet hätte, die bei einem Unfall fast gestorben wäre und als Andenken eine verunstaltete Nase behielt. Ihre Karriere bei der Polizei wollte sie deshalb aber keinesfalls aufgeben. „Sie sagte, sie habe nicht die Tierwelt der Ozeane studiert, um dann ein Aquarium zu betreuen, sondern natürlich, um neben den Haien zu schwimmen.“

Heinrich Steinfest
Straight

Heinrich Steinfest
Ihr damaliger Freund, der sich inzwischen einen Namen als Baumpfleger gemacht hat, reist Jahre später im Auftrag einer deutschen Pharmafirma nach Russisch-Fernost, um dort eine bisher unbekannte Unterart der dahurischen Lärche zu finden und einen dieser pharmakologisch vielversprechenden Bäume nach Deutschland zu schaffen. Als Führer im wilden Sibirien dient ihm ein Junge namens Spirou und eine taubstumme Suppenköchin. Sie landen schließlich an einem unterirdischen Ort namens Toad’s Bread, wo Lilli Steinbeck gerade dabei ist, die Mordserie an ein paar jungen Frauen aufzuklären. Denn Toad’s Bread ist zwar eine Verbrecherrepublik, aber Mord ist verboten.
Das klingt ziemlich abgedreht und ist es auch und doch hat Steinfest selten so geradlinig und stringent erzählt wie hier. Da gibt es keine Abschweifungen, keine Exkurse und nur wenige seiner sonst so üppig verteilten sprachlichen Vergleiche. Die freilich sitzen. Nur bei ihm lacht einer in einer Weise, „als sei dieses Lachen lange Zeit in einem stark verdreckten Zahnputzbecher eingesperrt gewesen. Ein bakteriologisches Lachen.“
In der Handlung liefert Steinfest suggestive Bilder, wie er sie sonst nur malt, surreale Einblicke in eine nur allzu bekannte Welt. Steinfest treibt hier vieles auf die Spitze und schafft es spielend, noch der phantastischsten Szenerie Alltäglichkeit zu verpassen, sie zu erden, anzubinden und klar zu machen, dass er am Ende ja doch nur vom Leben und von der Welt erzählt. Auf seine Art, versteht sich, auf eine spielerische, immer wieder zügellose, charmant brachiale Art, die geprägt ist von einem wendigen Humor, einem Hang zur bissigen Groteske und jeder Menge philosophischen Hintersinns. Ein Glück, dass Heinrich Steinfest derart produktiv ist.
Frank Rumpel
Heinrich Steinfest: Die Haischwimmerin. Roman. München: Piper Verlag 2011. 351 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch