Sind wir gekommen, um zu bleiben? Selbstbefragungen.
… eine Felswand. Das war mein erstes Zusammentreffen mit Österreich. Ich erschrak zutiefst und fand es überhaupt nicht schön.0 Von Senta Wagner
Wohin gekommen? Von Deutschland nach Österreich. Um wo zu bleiben? In Österreich, häufig in der an der Donau gelegenen Zuckerbäcker-Metropole Wien.1 Oh, schöne, protzige Kaiserstadt mit eigenen Geschmacklosigkeiten.2 Heldenplatzstadt.3 Die obige Frage stellen sich möglicherweise tagtäglich 138.000 (Stichtag 01.01.2010) deutsche Zuwanderer, die seit 2009 die größte Ausländergruppe in Österreich darstellen. Falls Sie Österreicher sind, bekommen Sie es bereits mit der Angst zu tun?4
Einlassungen zu ihren Erfahrungen und Erlebnissen liegen aber in der von Eva Steffen herausgegebenen Textsammlung doch nur von 28 Beitragenden vor. Die Einzigartigkeit des gefühlten Deutschseins manifestiert sich in den gewählten Themen: Klassengesellschaft, Kunstsinnigkeit, Wirtshaus, Wein, Phlegma, Arroganz, Titelverliebtheit, Kommunikation usw.5 Und natürlich der Sprache: Ich fühle mich nicht mehr als echter Deutscher, als Österreicher natürlich auch nicht, am Anfang hab ich mir beim Sprechen immer zugehört, hier spricht ein Deutscher, euer großer, großmäuliger, besserwisserischer Bruder, aber das wollen sie gar nicht, bin ich dann draufgekommen, deinen Dialekt kriegst du sowieso nicht weg, du bist nicht du, wenn du dich hier so verbiegst unter Krämpfen.6 Speziell Hundebesitzer müssen begreifen, es gibt Hundenamen und Hundenamen: „Schau da des an, do is an Piefke, der haast sein Hund Piefke.“7
An dem knappen Befund, dass es die gemeinsame Sprache ist, die uns trennt, hat sich bis heute nichts geändert.8 Präpotente Sau, du geschissenes Arschloch!9 Mit den Deutschen wird nicht zimperlich umgegangen. Angekommen in Wien, hatte ich trotz meines selbstverordneten Sprachunterrichts einige Verständigungsschwierigkeiten.10 Man packt nichts in eine Tüte, sondern in ein Sackerl, und wenn man auf einem Stuhl sitzt, sitzt man nicht auf einem solchen, sondern auf einem Sessel. Gemütlicher wird er trotzdem nicht. Schau’ma mal und gern g’schehen! Platzhirschdasein.11 Geschätzt wird dagegen die spezifische Wiener Art mit der Katastrophalität des Lebens umzugehen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.12 Bussi&Baba.
Bussi&Baba
Gäbe es das Wirtshaus nicht, es wäre nicht zum Aushalten. Das Leben, die Leute, Österreich.13 Im Wirtshaus sind alle gleich. Sogar die Piefkes. Wenn sie nicht gerade nach einem Pils verlangen.14 Klingt das nicht versöhnlich in beide Richtungen? Fast. „Du legst die Kekse sofort wieder zurück. Wir sind in Österreich. Da essen wir Mannerschnitten.“15 Und es gibt Geheimnisse: Ich werde es nie begreifen. Aber vielleicht irgendwann abschätzen lernen, wann ein „ja“ oder auch ein „nein“ ein „jein“ ist.16 Gepflegte Frotzelei gehört wohl zum deutsch-österreichischen Umgang und macht sie zu etwas Speziellem.17 In unserem Knödel-Schnitzel-Tafelspitz-Nierndln-Kaiserschmarrn-Paradies.18 Anders formuliert im „Mir-san-mir“-Alphabet: Mir san am Oarsch, mir san die Burg, mir halten Alles in Evidenz, mir san fadisiert, mir san Jänner, mir san Haider, mir san Mozartkugeln, mir san ka Piefke, mir san Schilling, mir san Topfen, XYZ.19
Ein pointiert-amüsantes, wahres und bereicherndes Lektüreschmankerl tief Betroffener, die endlich erhört werden, für ebenfalls Betroffene, Eingeborene in Deutschland und Österreich, für das Kulturverständnis des deutschen Touristen sowieso, von Migranten in allen möglichen Lebenslagen ganz abgesehen. Ich also bin gekommen vor drei Jahren, um definitiv im Moment zu bleiben, weil es sich mit oben gestellter Frage und im intransitiven Wahnsinn („DAS geht sich aus!“)20 so schön leben lässt.
Senta Wagner
0 Jochen Jung; ¹ Rubina Möhring; 2 Katrin Mackowski; 3 Dirk Merbach; 4 Christopher Wurmdobler; 5 Eva Steffen; 6 Tex Rubinowitz; 7 zit. bei Bettina Reiter; 8 wahrscheinlich Karl Kraus; 9 Dirk Stermann; 10 Detlev Eckstein; 11 Katrin Mackowski; 12 Ulrich Körtner; 13 Thomas Askan Vierich; 14 dito; 15 zit. bei Peter Blau; 16 Katja Gnann; 17 Birgit Fenderl; 18 Nicole Spilker; 19 Peter Roos; 20 Bettina Reiter
Eva Steffen (Hg.): Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich. Wien: Czernin Verlag 2009. 163 Seiten.