Geschrieben am 23. Oktober 2008 von für Bücher, Litmag

Carolin Emcke: Stumme Gewalt

Graues Rauschen

Carolin Emcke möchte in ihrem Buch Stumme Gewalt die Sprachlosigkeit der terroristischen RAF-Täter durchbrechen und unterläuft in ihrem von Selbstgerechtigkeit durchtränkten Text eine Reflexion über die Ursachen des RAF-Terrorismus. Von Jörg Auberg

Vor zehn Jahren verschwand die Terrororganisation RAF mit dem klassischen Satz „Der Rest ist Schweigen“ von der Bühne und tauchte im historischen Dunkel ab. Übrig blieben vom großen Unternehmen des bewaffneten Kampfes sind auf sich selbst zurückgeworfene Soldaten einer restlos gescheiterten Bewegung wie Christian Klar, der im Fernsehinterview mit Günter Gaus drei Jahre später nur die eigene Sprachlosigkeit dokumentieren konnte. Von der „gigantischen Wortproduktionsmaschine RAF“ (wie sie Willi Winkler treffend nannte) blieb letztlich nur das verzweifelt nach Erklärungen und Rechtfertigungen suchende Stammeln eines derealisierten Zeitgenossen zurück, der sich selbst aus dem Begreifen der realen Verhältnisse katapultiert hatte.

Das Schweigen der Mörder

Das Schweigen der RAF, das schon den Verfassungsschutz 1996 verwunderte, ist seither ein durchgängiges Leitmotiv in der journalistischen Aufbereitung der RAF-Geschichte, wobei die Metaphorik mal eisig und mal eisern daherkommt. In jedem Fall soll das Schweigen – im Interesse der Aufklärung – gebrochen werden, um noch ungeklärte Details der Terrorgeschichte aus den letzten dreißig Jahren zu entschlüsseln. In diesem Sinne fordert die Journalistin Carolin Emcke in ihrem Buch Stumme Gewalt eine Durchbrechung der Sprachlosigkeit der terroristischen Täter durch eine Initiative „Freiheit durch Aufklärung“, die den Tätern (seien sie nun inhaftiert oder noch von den Justizbehörden unentdeckt) eine Amnestie in Aussicht stellt, wenn sie ihr Schweigen brächen und in einen kommunikativen Austausch mit der Gesellschaft träten. „Wer behauptet“, lautet ihre Argumentation, „politischen Motiven heraus zu töten, wer sein eigenes Handeln in eine komplexere politische Vision bettet …, der muss den begangenen Mord auch öffentlich erklären, muss sich einem öffentlichen, kontroversen Diskurs stellen.“ Die Problematik dieses Unterfangens liegt in der unterschwelligen Drohung, „Aufklärung“ auch jenseits rechtsstaatlicher Prinzipien zu betreiben und die RAF-Täter notfalls mit Mitteln des Zwangs zum Reden zu bringen („Sie müssen sprechen“). In der Hochzeit der Auseinandersetzung zwischen RAF und bundesrepublikanischem Staat wies Jean Améry darauf hin, dass „Selbstauslöschung, der Freitod durch Verhungern“ ein unveräußerliches Recht sei. Gleiches gilt für das Schweigen, das für Emcke jedoch absolut negativ konnotiert ist: „Die Stille verfestigt sich wie eine Eisschicht“, wird wiederholt in den stakkatoartigen Text aus der „Hamburger Schule“ gestanzt.

Zerrbilder der Geschichte

Zwar annonciert ihr Verlag ihr Buch als „politischen Text“, doch fehlt realiter eine politische und historische Dimension des Phänomens RAF, da Emcke ihre persönliche Betroffenheit zum einzigen Motor ihres „Nachdenkens“ macht: Sie ist das Patenkind Alfred Herrhausens, des einstigen Vorstandssprechers der Deutschen Bank, der im November 1989 von einem RAF-Kommando ermordet wurde. Während Herrhausen im Text lediglich als „mein Freund“ figuriert und vollständig seiner Funktion im bundesrepublikanischen „militärisch-industriellen Komplex“ (der Begriff wurde von Dwight D. Eisenhower und nicht von der RAF geprägt) entkleidet ist, nimmt Emcke terroristische Täter nur als medial vermittelte Zerrbilder wahr. „Jener Christian Klar, der sich mir über öffentliche Bilder und Bericht erschließt, wirkt verschlossen und verhärtet, nichts an dieser Figur lädt ein, sie begreifen zu wollen.“ Während sie RAF-Mitgliedern mit Recht vorwirft, sie hätten sich blind mit einem auf Befehl und Gehorsam gegründeten Kollektiv identifiziert, lässt sie in ihrem eindimensionalen Subjektivismus – trotz der vorgespiegelten Nachdenklichkeit – keinen Zweifel an der eigenen Position: Selbstgerecht verfolgt sie ihr Ansinnen und will die Schuldigen einzig aus persönlichen Motiven zum Sprechen bringen. In ihrem subjektivistischen Rigorismus verliert Emcke das Politische gänzlich aus den Augen: Zwar exhibitioniert sie sich mit ihrer Angst vor dem Zahnarzt, doch vermag sie nicht, die gesellschaftliche Kälte zu reflektieren, in der sich politische Monaden wie Klar entwickelten. „Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage der Linken“, hieß 1994 ein Broschürentitel einer Frankfurter Autonomen-Gruppe. Die Niederlage besteht darin, dass aus einer antiautoritären Revolte ein militaristisches Racket autoritärer Charaktere triumphieren konnte, das mit seinem Rückfall in antisemitische und antiintellektualistische Ressentiments die Linke in eine überkommene Geschichte zurückbombte.

Plumper Manichäismus

Die „Terrorverbände“, schrieb Améry 1974, seien „in ihrem unerbittlichen Manichäismus moralisch ebenso unerträglich wie politisch sinnlos“. Ähnliches ließe sich über Emckes Text sagen. In einem plumpen Manichäismus versucht sie Subjektivität gegen Politik auszuspielen, um sich selbst ins rechte Licht rücken zu können und rühmen zu können, „das abweichende Subjektive zur Sprache zu bringen im Nachdenken über die RAF“. Abweichung und Skepsis werden als Begriffsmarken verhökert, ohne dass eine kritische Reflexion stattfindet. Vielmehr werden die Nacharbeiten für den geistigen Konformismus betrieben. Am Ende gerinnt Emckes überspannte Betroffenheitsmuzak zum grauen Rauschen, das den öffentlichen Raum abdichtet und Aufklärung verhindert.

Jörg Auberg

Carolin Emcke: Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF. S. Fischer, Frankfurt/Main 2008. 190 Seiten. 16,90 EUR.