Zwischen zwei Kulturen und allen Stühlen
– Endlich ein neuer Calvino-Roman von CrimeMag-Kolumnist Christopher G. Moore auf deutsch – Bangkok Noir vom Feinsten. Susanna Mende hat ihn gelesen.
Untreue, wie Anthropologen festgestellt haben, kommt in allen von ihnen untersuchten Gesellschaften vor und wird bzw. wurde, je nach gesellschaftlichem System, mehr oder weniger schwer geahndet. Sie ist außerdem eines der ältesten Motive für Schmerz, Leid, Hass und Rache zwischen den Geschlechtern und scheint auch in einem mehr ab- als aufgeklärten Zeitalter mit hohen Scheidungsraten und einem längst löchrig gewordenen Moralkodex noch immer hohe Sprengkraft zu besitzen, gehören doch Verrat und Vertrauensmissbrauch zu den erschütterndsten zwischenmenschlichen Erfahrungen.
Zu einem der Grundsätze des seit vielen Jahren in Bangkok lebenden amerikanischen Ex-Anwalts und Privatdetektivs Vincent Calvino gehört, keine Aufträge misstrauischer Ehefrauen anzunehmen, um ihren fremdgehenden Gatten hinterherzuschnüffeln. Doch ist das nicht der einzige Grundsatz, gegen den Calvino im Laufe seiner aktuellen Ermittlungen verstoßen wird, weil die Umstände es erfordern.
Gattinnen und Anwälte
Bevor der Schlamassel richtig beginnt, hat Calvino bereits verschiedene Probleme. Wobei das Reißen in der Schulter noch das kleinste ist. Als sein aktueller Auftraggeber, ein renommierter, in Bangkok ansässiger amerikanischer Anwalt, der ihm für seine Ermittlungen in Sachen Medikamentenfälschung einen dicken Scheck versprochen hat, plötzlich auf der Herrentoilette eines Hotels verstirbt, muss Calvino feststellen, dass dieser gar nicht im Auftrag seiner Kanzlei gehandelt, sondern ihn als Privatperson engagiert hat, was es ihm nun erschwert, an sein Geld zu kommen. Stutzig macht ihn dabei vor allem, dass andere Kanzleimitglieder von der Angelegenheit zu wissen scheinen, ihm jedoch dringend nahelegen, weitere Ermittlungen einzustellen.
Darüber hinaus bereitet Calvino der Tod eines Massagemädchens im Club One Hand Clapping unter seinem Büro Kopfzerbrechen, das angeblich Selbstmord begangen hat. Und er muss sich mit den Gattinnen mehrerer in Bangkok ansässiger amerikanischer Geschäftsleute und Anwälte befassen (darunter die seines verstorbenen Auftraggebers), die sich mit Kochkursen in einem Nobellokal von der Langeweile ihres, wie der Autor es nennt, „Komparsinnen-Daseins“ ablenken, während ihre Männer woanders die Hauptrolle spielen.
Als Calvino seine Ermittlungen in Sachen Medikamentenfälschung – selbstverständlich – fortsetzt, bittet ihn ganz unverhofft der einflussreiche chinesischstämmige Geschäftsmann Weerawat um seine Dienste.
Politik und Polizei
Was auf den ersten Blick recht harmlos beginnt, wird für Calvino erst zu einem Alptraum und dann zu einer Frage auf Leben und Tod, vor allem als auch sein Freund und Vertrauter Colonel Pratt in die Sache hineingezogen wird und nicht mehr seine schützende Hand über Calvino halten kann, um ihn vor einem größtenteils korrupten Polizeiapparat zu schützen. Viel zu spät erkennt Calvino, dass er in eine geschickt gestellte Falle getappt ist, und die Strippenzieher so weit oben in der gesellschaftlichen Hierarchie angesiedelt sind, dass sie sich bereits in der Sphäre der „Untouchables“ bewegen.
Mit dem Rücken zur Wand erkennt Calvino, dass es eine Illusion war, zu glauben, die thailändische Gesellschaft und ihre Mechanismen zu kennen, oder die Denk- und Empfindungsweise der Thais verstanden zu haben, und dass er kurz davor steht, von dieser Hybris zu Fall gebracht zu werden. Doch von den wenigen Dingen, die er sicher zu wissen glaubt, macht er sich in der Not eine zunutze, um das Blatt noch einmal zu seinen Gunsten zu wenden.
Moore wäre allerdings nicht der exzellente Thailand-Kenner und erfahren im Umgang mit verschiedenen Kulturen, wenn er seinem Helden Calvino gestatten würde, sich in typisch westlicher Survival-Manier an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Es ist wieder einmal ein Zusammenspiel verschiedener Kräfte, wo Gesichtswahrung und Bakschisch eine genauso große Rolle spielen wie Wahrheitsfindung und die unbedingte Loyalität zwischen Freunden, und wo es an Dummheit grenzen würde, zu glauben, dass ein Justizsystem Recht spricht, wodurch Selbstjustiz auf einmal eine gewisse Plausibilität erlangt.
Die Stadt Bangkok allerdings, die Calvino zu einem neuen Zuhause geworden ist, aus dem er, wie er zum Schluss erkennen muss, auch nicht mehr weg will, hat Moore erneut in seiner atemberaubend plastischen, authentischen und facettenreichen Weise eingefangen. Neben der glitzernden und lärmenden Stadt führt er den Leser dabei an Orte, die, wie er in einem Interview mit Lars Schafft von der Krimicouch sagt, „der Reiskocher für Betrügereien, Kriminalität und die grundsätzlichen Sorgen und das allgemeine Elend der armen Leute“ sind. Diesen Mix beherrscht keiner so wie er!
Susanna Mende
Christopher G. Moore: Der Untreue-Index. (The Risk of Infidelity-Index, 2007). Roman. Deutsch von Peter Friedrich. Zürich: Unionsverlag metro 2011. 375 Seiten. 16,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von C.G.Moore