Frühwerke
Folgen Sie auch heute wieder Carlo Schäfer in seine Krimischmiede, in der er auf dem Wahnsinn der Welt herumhämmert, auf dass die Funken sprühen. Das passiert mit schöner Regelmäßigkeit alle 14 Tage … Heute bekommen wir einen erschütternden Einblick in eine seiner früheren Schaffensperioden.
Neue Serie: Frühwerke, die niemand verlegen wollte! Dabei sind die Frühwerke gar nicht so schlecht! Zumindest nicht alle! Ein Beispiel? Aber gern:
I. Aus meinem Roman: „Captain DJ“:
»[…] In der Dusche befühle ich hasserfüllt meinen abgelebten Körper. Nein, die große Party ist das nicht, dieses Leben. Es ist mir egal. Ich bin Radiocop, kein Job für Menschen mit Gefühlen.
Jetzt klingelt das Telefon. Entweder einer meiner Partner hat seine Schmutzwäsche in meinem Auto vergessen, oder der Urlaub findet mal wieder ein rasches Ende. -RRRiiiiing- Oder die Zeugen Jehovas brauchen einen Irren für die Bahnhofstür.
Ich nehme ab und bin eine halbe Stunde später in der Zentrale.
Schmand ist eine Art Boss von mir. Zumindest ist er für mich zuständig und weisungsberechtigt, wenn ich in der Zentrale bin. Draußen, im Einsatz, ist jeder von uns auf sich gestellt. Wir sind die Radiocops und haben einen mächtigen Feind: Die MUSIKANTEN mit ihrem Gott SILBERSTAHL. Keiner darf von unserer Arbeit wissen, aber wenn es uns nicht gäbe, hätte man auf der ganzen Welt Seppelhosen an.
Ich hole tief Luft und betrete das Büro. Auf dem Boden liegen tote Fliegen. Die Wände sind getüncht, da des Herrn Duft Tapeten löst. Einziger Schmuck ist ein Poster von Mutter Theresa, der Schmand in einer einsamen aber sicherlich doch fröhlichen Stunde eine rektal eingefügte Karotte hingepinselt hat.
Schmand wischt sich Schleim vom Kinn und streicht ihn hinters Ohr:
„DJ, du siehst blass aus, –brüps– soll ich dich ohrfeigen?“
„Warst du mit ’nem Geier essen?“
„Sei nett, DJ, ich hab ein Magenleiden. Wie war’s in Sydney mein Junge? Du sollst ja kräftig aufgemischt haben –ö– …“
„Ich denke, wir haben da eine Zeit lang Ruhe, SILBERSTAHLs Leute haben kein Schlupfloch mehr, die müssen wieder mit Blockflöten anfangen.“
Schmands Körper wird von einer Zuckung beschäftigt, er erbricht etwas Rotbraunes. Nicht viel, aber so heftig, dass er es nicht ganz abfangen kann und ein Teil der ekligen Masse in einen aufgeschlagen Aktenordner tropft.
Schmand schließt den Ordner und führt völlig gefasst unser gutes Gespräch weiter:
„Wir sind da nicht so sicher, SILBERSTAHL trifft sich anscheinend zurzeit mit dem WALZERKÖNIG und teilt den ozeanischen Markt auf, als ob nichts geschehen wäre …“
„Hör mal, wir haben dreizehn unterirdische Jodelschulen plattgemacht, 61 krachlederne Hosen vernichtet, eine hat Zenit sogar gegessen …“
„Ruhig, Junge, nicht so empfindlich oder –grchüps– ich atme in deine Richtung. War kein Vorwurf, wirklich nicht, ihr Jungs seid da ganz auf euch gestellt, vollkommen allein, da ist es natürlich auch möglich …“
Ich hasse Schmand. Ich hasse ihn, weil er stinkt. Ich hasse ihn, weil mein Leben stinkt. Ich hasse ihn, um nicht einzuschlafen.
„Worauf willst du hinaus?“
„Naja, wenn ihr drei einen Monat in Sydney die Haie gekrault habt, können wir das schließlich nicht überprüfen …“
„Hör zu: Mein Team und ich, wir halten jetzt schon seit Jahren die Stellung. Wir haben uns durch die Pariser Kloaken gekämpft, in London haben sie mir durchs Ohrläppchen geschossen und meinem Partner Aldi Quecksilber ins Badewasser gekippt.“
Die Erinnerung treibt mir Tränen unter die Achsel. „In Rom haben SILBERSTAHL’s Leute uns in Frauenkleidern ausgesetzt und in Dresden hatte unser dritter Mann ein kleines Treffen mit acht jungen Glatzköpfen und seine einzige Waffe war eine Spritzpistole voll Essig …“
„Zenit ist ein harter Bursche …“
„Radiocops sind harte Burschen. Um die Welt vor den MUSIKANTEN zu bewahren, nehmen sie alles auf sich. Aber es gibt auch für uns den Punkt, wo wir verzweifeln. Wenn man nach Hause kommt und grade mal zwei Stubenfliegen zärtlich winken. Man ist so einsam, dass man sich über Prospekte für Heizdecken freut. Und weil es nicht genügt, dass wir so populär sind wie die Prellball-Nationalmannschaft, weniger Freunde haben als ein Leprakranker mit Schulden und so viel verdienen wie jemand, der sich auf den Handel mit leeren Feuerlöschern spezialisiert hat, gibt es ja noch unseren zuständigen Abteilungsleiter, der unsere Arbeit einzuschätzen weiß, uns Lob und Anerkennung spendet …“
„Junge, ich hab’s doch nicht böse gemeint, ich liebe euch kleinen Schnüffler, ehrlich, wie meine Söhne, von denen hat jeder seine Zeitung zum Zudecken … DJ, ich muss euch leider euren Urlaub vermiesen …“
„Wann geht’s los?“
„In –üüüüü– drei Stunden.“
„Wohin?“
„New York City. SILBERSTAHLs Leute haben zwei Schuhplattler in die örtlichen Rapcharts gebracht, ’n alter Freund von dir scheint drin zu stecken, soll ein ausgeschlafener Witwer sein, schwer wie ’n Traktor. Hat letzte Woche leider jemand Schreckliches zu Besuch gehabt.“
Dirty Groove, auf ihn hätte ich meine Prostata gewettet. „Na, dann werd ich mal mein Team zusammentrommeln …“
„DJ, Herzchen, längst passiert, wir warten alle nur noch auf dich … Ach ja, die Sache in Taiwan neulich hat den Oberen gefallen, du bist jetzt Captain.“
„Und was heißt das?“
„Du hast Anrecht auf eine Portokasse und kriegst dafür kein Weihnachtsgeld … komm, wer will von dir schon ein Geschenk …“
„Schmand …?“
„Ja, Süßer?“
„Wer ist unser Boss?“
„Keine Antwort DJ, das weißt du … Mach’s gut, du Lauser, werd an dich denken –rüäch-. –kötzel, kötzel-“
Mein kleiner finnischer Kampfgenosse Zenit hat den Flug großenteils verschlossen vor sich hin hinbrütend verbracht. Als wir auf unser Gepäck warten, fragt er schließlich:
„DJ, was ändert sich eigentlich, wenn du jetzt Captain bist?“
„So, wie ich das verstanden habe, gar nichts.“
„Ein Beruf, an dem man zerbrechen kann“, sagt Aldi traurig.
Leider redet er immer, als sei er auf der Abendschule, aber man gewöhnt sich daran. Schlimmer ist, dass er sich für einen verkappten Dichter hält, denn seine Poesie ist grausig. Aber er ist ein ausgezeichneter Radiocop, wie auch Zenit in gewisser Hinsicht, wir sind Partner. Mein Team, meine Familie, meine einzigen Freunde. Es stimmt schon, das mit dem Zerbrechen.
Zenit trägt alle drei Koffer:
„Haben wir schon ein Hotel?“
„Radiocops wohnen im Lizzard.“
„Ist das gut?“
„Beschissen, aber garantiert seppelfrei.“
Unter solch wichtigen Reden wühlen wir uns durch die Gepäckhalle. Mir macht ein alter, schlechtvernarbter Bruch der Harnröhre zu schaffen, ein Zeichen für nichts. Es tut einfach weh.
„Wissen Sie noch, Kapitän, das letzte Mal, als wir hier waren? Der Auftrag in Long Island …“
„Weiße Häuser, vornehme Leute, strahlend blauer Himmel, wohlerzogene Kinder, endlose Strände und fünf heimliche HERZBUBENclubs.“
„Das muss lange her sein, vor meiner Zeit … Wie alt bin ich eigentlich?“
Ich schätze Zenit auf vier, aber behalte es für mich.
Noch ahnt man nicht die Stadt, man fühlt sich wie in einer Raumstation mit antiseptischen Zombies, die lichtjahrelang Rolltreppe fahren, aber ich weiß Bescheid: Wir kommen nicht irgendwo an. New York, Melting Pot, drei Morde pro Sekunde, fünf Massaker am Tag, mehr weißes Pulver als Schnee in Davos. Wahnsinn, Blut und Niedergang. Ich freue mich.
„Taxi! Lizzard Hotel, South Bronx.“
Der Fahrer bewegt sich etwas ungelenk, als er unsere Koffer verlädt, aber ich muss mich ja nicht verlieben. Erst mal ins Hotel, eventuell ein Nickerchen und dann mal schauen, ob wir ein klein wenig was bewirken können. Halb so wild, den Urlaub hole ich nach, vielleicht ist es ja dann nicht mehr so heiß, vielleicht vergrößert sich inzwischen meine Wohnung …
„Kapitän, der Lenker dieses Fahrzeugs fährt falsch …“
„Ja, eben, hier ist doch Linksverkehr!!“
Ich ignoriere Zenits dümmlichen Irrtum: „Verdammt, du hast recht, Aldi, da geht’s nach Brooklyn.“
„Sehen Sie nur, die Tätowierung in seinem Genick …“
Ein blutendes Edelweiß, das Zeichen von SILBERSTAHL, eine Falle – aber einer gegen drei?
„Ey, du Straßenkasper, halt sofort an …“, schreit Zenit und durchwühlt seine Reisetasche nach irgendeinem Knüppel. Es riecht zunehmend seltsam, ich schaue Aldi an:
„Zenits Lebertran?“
„Betäubungsgas!“
Unsere Knarren sind im doppelten Boden meines Koffers und der ist im Kofferraum, das ist prima. Ich verliere wütend das Bewusstsein. Ich sehe noch, wie Aldis Kopf nach vorne fällt und Zenit dem Fahrer seinen Waschbeutel übers Gesicht zieht. Dann wird es schwarz um mich.
„Wo sind wir … mein Kopf …?“
„Im Hotel.“
„Zenit, du verdammter Finne, wie hast du das gemacht?“
„Ich hab’ nicht mehr geatmet und hab’ dann dem Idioten den Kopf abgebissen … war nicht schwer …“
Aldi liegt im Bett nebenan. Der Kleine muss uns beide und das Gepäck getragen haben. Viel erstaunlicher ist, dass er die Meldeformalitäten an der Rezeption bewältigt hat. Außerdem hat er uns ausgezogen und zugedeckt – und er hat einem Menschen den Kopf abgebissen. […]«
Herrschaften, das ist Jahre her! Wenn das nicht visionär war, dann ist dieser Link gar nicht existent!
Sehe leider gerade, dass er tatsächlich nicht richtig existent ist.
Auch egal.
In diesem Sinne.
Carlo Schäfer