Geschrieben am 14. Januar 2012 von für Bücher, Crimemag

Parker Bilal: Die dunklen Straßen von Kairo

Kairo noir

– Parker Bilal ist das Pseudonym des britisch-sudanesischen Schriftstellers Jamal Mahjoub. Er wurde 1960 in London geboren, wuchs in der Heimat seines Vaters, in Khartoum im Sudan auf, studierte Geologie in England, verbrachte viele Jahre in Dänemark und lebt heute in Barcelona. Sein historischer Polit-Thriller „Die Stunde der Zeichen“ erzählt die Geschichte des Mahdi-Kriege im Sudan aus afrikanischer Sicht. Sein großes Thema sind die Bedingungen des Zusammenlebens der Menschen europäischer und afrikanischer Kulturen. Dass er sich jetzt der gärenden ägyptischen Gesellschaft via Kriminalroman annimmt, ist nur logisch: „Die dunklen Straßen von Kairo“. Lena Blaudez hat sich davon überzeugt.

Makana, so beginnt das erste Kapitel von Parker Bilals Kriminalroman „Die dunklen Straßen von Kairo“, war eher optimistisch veranlagt. Daher fand er, dass der Tag gut anfing, wenn er beim Aufwachen feststellte, dass er nicht untergegangen war. Makana war Kriminalkommissar im Sudan, konnte nach Folterungen vor den Islamisten fliehen, bei der Flucht kamen aber seine Frau und seine Tochter ums Leben. Jetzt lebt er auf einem maroden Hausboot auf dem Nil im Moloch Kairo. Der feine Humor des sich mehr schlecht als recht durch Detektivarbeit buchstäblich über Wasser haltenden Makanas zieht sich durch die ganze dramatische Geschichte, in die er mit seinem aktuellen Auftrag hineingerät.

Dreem Teem

Ein prominenter Fußballprofi aus dem „Dreem Teem“, der Mannschaft des schwerreichen Saad Hanafi, ist spurlos verschwunden. Makana, Außenseiter in der ägyptischen Gesellschaft, wird von Hanafi beauftragt, ihn aufzuspüren. Hanafi ist Herrscher über ein gigantisches Wirtschaftsimperium, pflegt beste Beziehungen zu Regierungskreisen und hat einen Feind und Konkurrenten aus Jugendtagen: Daud Bullat kommt wie er aus ärmsten Verhältnissen, ist aber nicht wie Hanafi vom Ganoven zum Gangster und Killer und dann zum Wirtschaftsboss mit gemeinnützigem Anstrich geworden, sondern fanatischer Dschihadist. Makana rollt nun langsam und mit oft unschönen Entdeckungen die Hintergründe der nur scheinbar voneinander unabhängig Handelnden auf.

Eine aus den Fugen geratene Gesellschaft

Bilal zeichnet dabei die Entwicklung extremer Charaktere genauso beeindruckend, wie er deren Zwangsläufigkeit in einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft beschreibt. Der Roman spielt in der Ära Mubarak Ende der 90er Jahre, in der Militär, Gier und Korruption auf der einen Seite und Armut und Improvisation auf der anderen Seite herrschten. In Rückblenden wird das Schicksal von Makana und seiner Frau, einer promovierten Biologin und Universitätsdozentin in Karthoum, und damit exemplarisch die Geschichte Sudans unter der Gewalt des entstehenden islamistischen Regimes erzählt. Parker Bilal stellt die Grausamkeit machtbesessener und religiös-fundamentalistischer Kreise präzise dar, aber ohne sie plakativ auszuwalzen. Die Gewalt ist ein verheerender Bestandteil des Lebens in diesen Ländern in dieser Zeit, er zeigt sie beklemmend realistisch.

Ein scheinbar parallel verlaufender Fall eines seit 17 Jahren in Kairo vermissten englischen Mädchens, das bei seinem Verschwinden vier Jahre alt war, zieht den traumatisierten Makana, dessen Tochter bei ihrem Tod genauso alt war, unweigerlich in den Sog der eigenen Vergangenheit. Die Geschichte um das Mädchen, die von Makanas Vergangenheit und die des verschwundenen Fußballidols verweben sich. Der pragmatische Kairoer Kriminalkommissar Okasha und der eifrige Journalist Sami, der hochgefährliche Russe Vronsky und der alte Fälscher mit dem Kramladen auf dem Basar – Bilals Figuren sind alle stark und komplex. Ihre Schicksale sind geprägt von den Machtgefügen, von den Lebensveränderungen in Zeiten der Globalisierung und des Terrors der Geheimpolizei oder der radikalen Islamisten.

Jamal Mahjoub

Vielschichtig

In kleinen, wie nebenher erzählten Szenen macht er die Vielschichtigkeiten dieser Zeit plastisch und verknüpft sie erzählerisch elegant miteinander. Da treiben  deutsche Touristen im Luxusressort am Roten Meer Gymnastik, ohne zu ahnen, was direkt nebenan in der Anlage geschieht, die einem russischen Ex-Elite-Kämpfer in Tschetschenien und Afghanistan mit enormem Kapital und Macht gehört, der unter anderem auch ein sadistischer Killer, aber unantastbar ist, weil er gerade der Regierung bei der Bekämpfung des Terrorismus zupass kommt. Die Handlung gerät solchermaßen nie ins Stocken, im Gegenteil, man wird gepackt und kommt nicht mehr los.

Leichtfüßigkeit und Melancholie, poetische Schilderungen und Witz, Spannung mit einem verblüffenden Dreh am Ende – „Die dunklen Straßen von Kairo“ ist ein exzellenter politischer Roman von großer literarischer Klasse.

Lena Blaudez

Parker Bilal: Die dunklen Straßen von Kairo (The Golden Scales, 2012). Roman. Deutsch von Karolina Fell. Rowohlt Taschenbuch Verlag 2012. 444 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von Lena Blaudez.

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