Dass die narrativen Modelle einiger aktueller Fernsehserien (übrigens nicht nur amerikanischer Herkunft, wie ausgerechnet das kleine Dänemark zuletzt mit „Kommissarin Lund“ und „Gefährliche Seilschaften“ bewiesen hat) zu den spannendsten gegenwärtigen Erzählformen gehören, hat sich inzwischen rumgesprochen. Christian Schöller begrüßt den Start der 5.Staffel der amerikanischen Ausnahmeserie „Mad Men“ mit einem Blick in das Buch zur Serie („Die ganze Welt von Mad Men“) – und schaut sich den zwiespältigen Hauptdarsteller etwas genauer an.
Was würde Don Draper tun?
Wenn kommenden Sonntag die neue Staffel von „Mad Men” beginnt, bin ich wieder dabei. Das hat im Wesentlichen einen Grund: Don Draper.
An „Mad Men” mag ich das Setting: Freute mich gemeinsam mit Jane über den ersten Kopierer, lachte gemeinsam mit Pete, wenn der wieder mal etwas „swell” fand und staunte über die 25-jährige Werbetexterin Peggy, die noch nie gekifft hatte. Ich liebe die Geschichten: Mächtige Männer in mächtigen Firmen, mächtige Männer in nicht mehr ganz so mächtigen Firmen, mächtige Männer in Hotelbetten.
Doch was mich wirklich begeistert und zum Immer-Wieder-Einschalten bringt, ist das Leben eines Mannes: Ich bin fasziniert von Don Draper. Ich behaupte: Wir alle sind es. Und wenn der Abspann vorbei ist, wir aus der Wohnung gehen und in den Bus einsteigen, fragen wir uns, neidvoll auf‘s eigene Leben gewandt: Was würde Don Draper jetzt tun?
Draper erwähnt gegenüber Langzeit-Bekanntschaft und passionierter Opern-Statistin Bethany van Nuys mal, dass er „die ganze Zeit” arbeite. Doch so genau wir auch darauf achten, uns kommt das nie wie Arbeit vor. Das ist nicht nur der dramaturgischen Verknappung geschuldet, die uns das Beobachten von endlosen Bleistift-Spitz-Routinen erspart. Dahinter steckt eher der trügerische Gedanke, dass Don Draper selbst beim Bleistiftspitzen noch interessant zu beobachten wäre.
Wir sehen Draper in Kundenmeetings, beim Mittagessen mit Kollegen und auf Dienstreisen. Wir sehen jemanden, der frühmorgens aufwacht, ins Büro geht, lange arbeitet und abends nach Hause kommt. Während Tony Soprano aus dem Hinterzimmer eines Striplokals den nächsten Mord befiehlt, hält Don Draper in seinem Büro gerade ein Nickerchen und während Larry David 5000 Dollar für eine Massage bezahlt, arbeitet Don Draper an der nächsten Werbekampagne.
Trotzdem ist es gerade das äußerlich unspektakuläre Leben eines Angestellten, auf das wir mit Verzückung blicken. Woher kommt also diese Anziehung, wenn der Mann doch nichts anders macht als wir? Hintergrund-Bücher wie „Die ganze Welt von Mad Men” bereiten uns so viel Freude, weil wir meinen, das Draper-Enigma mit dem perfekten Old-Fashioned-Rezept dechiffrieren zu können. Tatsächlich tauschen wir bloß das Warum? gegen ein Wie? ein (was nicht heißt, dass wir die zauberhaften Illustrationen und launige Trvia nicht trotzdem genießen) und kommen dem Grund der Draper-Faszination kein Stück näher.
Fest steht: Draper könnte sein wie wir, denn die Konturen unseres Lebens sind in seinem angelegt. Aber er ist es nicht, uns erscheint er als mehr. „People tell you who they are but we ignore it because we want them to be who we want them to be”, schreibt er einmal in seinen kleinen Spiralblock („The Summer Man”). Ist das die Antwort?
Draper ist egoistisch, grob und kaltherzig. Das wissen wir. Aber wer würde den Mann denn schon so charakterisieren wollen? Die Entscheidung, in ihm jemanden zu sehen, der zwar sicher nicht perfekt ist, aber daran arbeitet, ein besserer Mensch zu werden, haben wir schon früh getroffen. Einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Drapers Handeln hält diese Idee aber nicht stand.
Draper schreibt: „We’re flawed because we want so much more.” Dieser Satz ist exemplarisch für Drapers Verhalten in der Welt. Seine Analyse der menschlichen Verfasstheit klingt so stark, weil sie reflexionslos ist. Sie bleibt auf viertel Weg stehen und geht nicht die gesellschaftlichen Bedingungen dafür an, die etwa ein privates oder berufliches Scheitern sofort zum individuellen Totalversagen transformieren und dem ersten Schritt im Streben nach mehr unweigerlich die Angst vor dem Scheitern einschreiben.
Weil Draper fest daran glaubt, was er da schreibt, ist ihm auch immer jeder verdächtig, der nicht in allem zuerst den möglichen Mehrwert sucht: „Sie betrügen nicht aus Trieb, sondern aus Prinzip: noch sich selber werten sie als Profit, den sie keinem anderen gönnen.” (Adorno, „Minima Moralia“). So verlobt er sich mit Megan nicht, weil er sie liebt, sondern weil er sich selbst liebt, wenn sie bei ihm ist. Das erkennt Megan, deutet es aber falsch: Entgegen ihrem Dafürhalten ist sich Don Draper selbst der einzige Grund, ein besserer Mensch zu werden. Der Gedanke liegt nahe, dass er deshalb die Empfehlung von Bert Cooper, doch mal Ayn Rand zu lesen, gar nicht gebraucht hätte.
Deshalb kann man sich Draper auch prima in den Nullerjahren mit iPhone vorstellen. Seine Figur ist im Kapitalismus zeitlos und seine Philosophie so allgegenwärtig wie menschenfeindlich. Dass aus seinen Handlungen gelegentlich etwas Gutes für andere resultiert, darf gerne unter Kollateralschaden subsumiert werden. Wenn in den besten Fällen die Entlastung anderer aus seinem Verhaltens folgt, kann man sicher sein, dass es nur die eigene Entlastung am Weg dorthin war, die er angestrebt hat.
So wie die Versprechungen des Kapitalismus ebenso auf den ersten Blick zum Greifen nahe wie tatsächlich ewig uneinlösbar bleiben, geht auch das Wesen des Objekts unserer Faszination nicht in dem auf, was es zu sein scheint: Draper ist und bleibt, was er ist – ein Werbetexter, der noch sein eigenes Leben so zum Glitzern bringt, dass wir vergessen wollen, für welches Produkt wir uns da eigentlich wirklich gerade begeistern. Niemals zuvor ist Neoliberalismus so stilsicher aufgetreten.
Vielleicht rücken Bücher wie „Die ganze Welt von Mad Men” deshalb dann doch wieder einiges gerade. Wer will schon wissen, was Don Draper tun würde, sobald man durchschaut hat, was ihn antreibt? Wer will schon sein wie er, wenn man auch einfach nur so tun kann?
Christian Schöller
Dyna Moe: Die ganze Welt von Mad Men (Mad Men, The Illustrated World, 2010). Eichborn Verlag 2011. Deutsche Übersetzung von Waltraud Götting. Mit Abbildungen. 96 Seiten. 14,95 Euro.