Matthias Penzel zur aktuellen Copyright-Debatte
– Ok, uns wird geraten, vor einem Multi-Konzern wie Google misstrauisch zu sein, auch weil die Zeiten früher besser waren, als Konzerne wie EMI/Thorn, Bertelsmann, Sony, Time-Warner et al. dafür sorgten, dass Musik viel abwechslungsreicher war als heute … wo es anscheinend nur noch Schlager und Rock gibt. // Klingt so, als würde sich hier einer mit dem Fernsehen auf dem Laufenden halten. Nicht sehr wild, nicht sehr indie … und auch nicht Rock&Roll. Matthias Penzel über Sven Regeners öffentlichen Wutanfall und die Reaktionen darauf.
Aus dem Feuilleton sind die großen Debatten ja nicht wirklich verschwunden, aber die ganz großen Streitgespräche – zu Kommunismus oder Mauerfall –, wo dann einst wochenlang die Elite der Dichter und Denker diskutierten, wo Schriftsteller wie von der Kanzel über Realpolitik laut nachdachten: sind rar geworden. Das ist seltsam, wo ja nun in der vernetzten, globalisierten Welt immer mehr vermeintliche Sicherheiten ins Wackeln geraten. Es ist aber nicht nur seltsam, es ist auch verständlich: die alten Männer der alten Bundesrepublik haben sich aus dem Alltag zurückgezogen, zu fremd sind ihnen viele der neuen Konstellationen, vielleicht sind ihre Ansichten auch den Lesern zu egal.
Feuilleton und Kultur sind ja nicht mehr, was sie mal waren. „Harry Potter“ und die Beats von Pop bewegen letzten Endes doch viel mehr Leute als Lenz’ „Deutschstunde“ oder Grass‘ „Blechtrommel“. Wenn also heute jemand zu aktuellen Problemen auf die Pauke haut, ist das prinzipiell zu begrüßen. Man kann ja die Probleme nicht nur den selbst-ernannten Fachleuten und deren Interessen übergeben und überlassen. Die Welt des Informations-Overkills, die vernetzte Flut an Informationen – dabei nicht unbedingt Wissen – ist zwar ziemlich kompliziert, aber deshalb nicht nur Expertensache (sprich: Problem oder geschäftliche Herausforderung für Konzerne und Lobbies). Ja, komisches Dilemma: Informationen sind nur noch Datenströme, zwischen den Datenbergen das Digi-Tal … und viel Konfusion. Kaum zu fassen.
Grundsätzlich ist es also begrüßenswert, wenn ein Öffentlich-rechtlicher Sender (auch deren Berechtigung wird ja wieder gern hinterfragt) wie der Bayerische Rundfunk in der Sendung Zündfunk einen bekannten Popmusiker, der besonders als Autor berühmt geworden ist, zu Urheberrecht befragt. Ich weiß nicht, zu welcher Zeit Sven Regener befragt wurde, ob er gerade hellwach oder ein wenig launisch war, ich kenne auch Sven Regener nicht, weiß von seiner Musik und seinen Büchern kaum mehr als von Lenz oder Grass.
„Eigentlich wollte Zündfunk-Autor Erich Renz von Sven Regener nur ein kurzes Statement zum Thema Urheberrecht. Daraus ist dann ein Instant-Pamphlet geworden, das ein extremes Echo im Netz wie in den traditionellen Medien gefunden hat“, heißt es auf der Website des BR, irgendwie kurios aber wiederholt dargestellt als so eine Frage, zu der man „eigentlich“ „nur“ „kurz“ was senden wollte. Und er hat sich also – wunderschön – aufgeregt. Es geht – daher wunderschön – ja um mehr als den bekannten, durch Bücher berühmt gewordenen Popstar, es geht um Kultur, wem sie gehört, wie sie auf die Welt kommt, wer dafür bezahlt usw.
Dank Internet kann sich jeder die Gedanken, den erregenden Aufreger von Sven Regener ziehen oder runterladen oder anhören. Ohne eine müde Mark – oder einen Euro – dafür zu bezahlen: natürlich nicht. Denn jeder, der sich das nun auf Mausklick anhört, hat dafür bezahlt, einen PC mit Lautsprecher, Modem, Internetzugang usw. Aber immerhin, die Gedanken sind ja frei, das heißt Meinungen können und dürfen sich relativ grenzenlos ausbreiten und vervielfältigt, nachgeplappert oder hinterfragt und neu interpretiert wiedergegeben werden. Auch das ist Kultur.
Auch Dank Internet, ebenso mithilfe der Suchmaschine, die die Unmengen an Information clever für uns durchsucht, kann man schnell und leicht – falls man die komplette Debatte verpasst hat – in Offenen Briefen und Kommentaren entdecken, dass viele User zwischen Urheberrecht und Verwertungsrecht unterscheiden – beides im Gegensatz zum amerikanischen Copyright –, dass sie auch besser Bescheid wissen, wie wenig indie die Band von Regener tatsächlich ist, und viele Musiker können auch ein Lied davon singen, dass Plattenfirmen und GEMA nicht nur im Sinne von Musikern oder Komponisten (Urhebern) agieren.
Schon am folgenden Tag hat sich im Diskussionsforum des Börsenvereins des Buchhandels jemand amüsiert, wie Regener sagte, „jede Mark, die wir verdienen, bekommen wir von Leuten, die sagen: ‚Ja, dieses Lied ist mir 99 Cent wert’. Das ist die Idee, die Rock’n’Roll groß gemacht hat.“ Dass darüber vor allem eine Firma – ein Computerhersteller – lacht, während Plattenfirmen (Majors wie Indies) weniger Prozente an Bands abgaben – trotz wesentlich größeren Gewinnmargen bei CDs einen kleinen Betrag, wird auch erwähnt, ebenso dass Plattenfirmen das Internet – wie nach ihnen die Buchbranche – zunächst verschlafen haben und dass YouTube an Künstler zahlt (nur nicht in Deutschland, weil im Clinch mit der GEMA) wissen manche besser als Regener. Ziemlich dämlich ist natürlich, jeden Internet- oder YouTube-Benutzer zu beschuldigen, er sei einem Piraten gleich ein Dieb, der immer nur alles für lau will. Als gerippt und gebrannt wurde, rechneten sowohl die Verkäufer von Musik-CDs als auch die Verkäufer von Software vor, wie viele Milliarden ihnen flöten gingen – dabei konnte niemand auf dieselbe CD sowohl ein Album als auch ein Softwareprogramm, gegebenenfalls eigene Daten brennen. Aber okay, das war ja nur eine vor Jahren verbreitete, kaum reflektierte „Information“.
Unabhängig, was man von Regener oder auch der Piratenpartei hält, scheint auch beachtenswert, dass – zumindest Teile der Piratenpartei – nicht das Urheberrecht kippen, sondern ändern will.
Bei allen Kommentaren, die mir untergekommen sind, zum Wert von Musik, dem immer schon dummen Mythos von wegen Majors versus Indie, Recht und Gerechtigkeit, fiel mir aber vor allem eins unangenehm auf:
Wenn es, wie Regener behauptet, keine aufregende neue Musik gibt, dann liegt das bestimmt nicht an den geschrumpften Budgets der Plattenfirmen. Neu, das weiß eigentlich jeder, der danach fingert, ist relativ. Und: Pete Townshend wusste ganz genau, was er meinte, wenn er sagte: „The Kids are allright“. Wem das Neue missfällt, der ist eben zu alt. Fair enough, kein Verbrechen – aber ein Trottel, der das nicht (ein)sieht.
An Green Day war wenig neu, an ihrer Vorlage, den – ärmeren – Ramones auch nicht, auch nicht an den Beach Boys oder Eddie Cochran oder Chuck Berry, Robert Johnson et al. Und als sie das machten, was andere vorher gemacht oder gedacht haben, als sie mit Instrumenten und Aufnahmegeräten, meinetwegen wie Hip-Hop-Musiker mit Plattenspieler und Witz, war es trotzdem neu. Schon alleine deshalb, weil es andere vor den Kopf gestoßen hat. Waren sie kreativ? Waren sie genialisch, von der Muse geküsst und wie der Schöpfer?
Umso näher man solchen Menschen, bei denen diese Frage legitim ist, rückt, desto eher begegnet man da einer Bescheidenheit, die Regener vollkommen fremd zu sein scheint. Zu sagen, dank der Industrie, dank der Verwerter und Vervielfacher, kurz: wegen Geld habe man sich kreativ betätigt – das ist der Punkt in Regeners Argumentationskette, der von niemandem hinterfragt wurde.
Sehr seltsam. Selbstverständlich lebt auch ‚der Kreative‘ nicht vom Applaus alleine, oder gar von seinen Gedankenblitzen oder – wie Franz Kafka oder Vincent van Gogh – davon, dass er seiner Zeit voraus ist. Das ist doch eigentlich der viel spannendere, für mich ein wesentlicher Punkt: Wenn das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit beliebig wird, omnipräsent, eine Kommodität, wenn Musik im Fußballstadion und in Einkaufszentren dröhnt, wenn man nicht wegen, sondern zu Musik in Geschäfte schlappt, wenn die Kreativindustrie untergeht: was passiert dann mit den Kreativen? Wem gehört eigentlich das, was sie erschaffen, wobei sie sich ja auch bedienen, ja, schöpfen aus dem, was schon da war?
Auch diese Idee – der Gedanke, dass nur der Schöpfer etwas Neues kreiert – ist übrigens nicht neu, die habe ich aus einem Buch geklaut (Kathy Acker: „A Few Notes on Two of My Books“ in The Review of Contemporary Fiction 9.3, 1989).
Matthias Penzel