Ganz langer Atem
– Mo Hayder gilt als ganz besonders „hart“. Das meint aber meistens nur, dass irgendwelcher Ekelkram ausgewalzt wird. So auch hier, in „Atem“. Dazu noch ein mehr als fragwürdiges Cover und wutsch!, soll der Bestseller fertig sein. Henrike Heiland hat sich das Strickmuster genauer angesehen …
Manche Bücher machen es einem nicht einfach. Die deutsche Ausgabe von Mo Hayders „Atem“, zum Beispiel, lockt auf dem Cover mit einem einsamen kleinen Mädchen, das dabei ist, sich im dunklen Wald zu verlaufen, während es in der Geschichte – das lässt uns auch der Klappentext wissen – um den Mord an einer Sechzehnjährigen geht. Die Überlegungen, die zu solchen Entscheidungen führen, mag man sich nicht vorstellen. „Die Aussicht auf tote kleine Mädchen, die im Wald vergewaltigt werden, verkauft besser“? Da fragt man nicht mehr, was als Nächstes der Titel mit dem Buch zu tun haben mag, und der Klappentext – na gut. Der Klappentext ist im Detail nicht so ganz das, um was es im Buch geht, aber wenigstens sind die Namen richtig geschrieben. Vielleicht stolpert man im Nachhinein noch mal über „Sie würde für ihr Kind sterben. Aber würde sie auch dafür töten?“, doch damit bemühte sich schon die englische Hardcover-Originalausgabe um Leser, im Taschenbuch wurde daraus das schwammige, aber irgendwie doch passendere „Even good people do bad things …“. Buchverpackungen, ein endloses Thema, meist ignoriert man sie dann doch, aber diesmal ist das Cover der deutschsprachigen Ausgabe – mit der unterstellten, möglicherweise auch vollkommen falsch interpretierten Absicht dahinter – Grund genug, das Original zu lesen, weshalb diesmal nichts über die Übersetzung gesagt werden kann.
Sally & Zoë
Dafür aber zum Text selbst: Mo Hayder schreibt über zwei Schwestern, Sally und Zoë, die seit ihrer Kindheit nicht mehr wirklich viel miteinander zu tun hatten. Selbstverständlich sind sie sehr unterschiedlich. Sally ein bisschen naiv und gar nicht zufrieden mit ihrem Äußeren, mittlerweile geschieden und nun alleinerziehende Mutter, die wegen nicht vorhandener Ausbildung putzen gehen muss, um die überzogenen Ansprüche ihrer Teenagertochter Millie, die sich mit dem sozialen Abstieg nicht abfinden kann, erfüllen zu können. Zoë dagegen die toughe Polizistin, ungebändigte Haarmähne, Motorrad fahrend, unglaublich clever, Gefühle sind was für Verlierer usw.; die Richtung ist klar. Nachdem sie also seit Jahren, Jahrzehnten eigentlich, in derselben Stadt leben und nicht miteinander sprechen, führt sie der entsetzliche Mord an der Schülerin Lorne Wood wieder zusammen. Aber das dauert ein bisschen. In der Zwischenzeit findet Sally heraus, dass der reiche Kerl, bei dem sie putzt, ein Pornoproduzent ist, ihre Tochter Millie einem Kredithai auf den Leim gegangen ist und das Leben gar nicht leicht ist, wenn man nicht mehr reich verheiratet ist. Zoë ist Teil des Teams, das Lornes Tod untersucht. Sie bekommt eine niedliche Profilerin vor die Nase gesetzt, reagiert in ihrer Eifersucht deutlich über, ermittelt auf eigene Faust in eine ganz andere Richtung und gerät so auch vor die Tür des Pornoproduzenten, wo sie auf ihre Schwester trifft. Nein, das ist noch nicht zu viel verraten, keine Sorge.
Mies & eklig & zahnlos
Eines der Probleme des Buches ist nämlich, dass zwar viel passiert, aber das eigentlich Spannende erst im letzten Drittel geschieht. (Oder Viertel. Oder Fünftel?) Da erleben wir Mo Hayder in Mo Hayder-Laune, und auf der letzten Seite entlässt uns die Autorin mit einem ganz, ganz miesen Gefühl, einem sehr ekligen Beigeschmack in ein offenes Ende. Der Aufwand, sich durch den Rest zu wurschteln, hat sich so gesehen wenigstens gelohnt.
Woran das Buch krankt, sind einmal die psychologisch nicht ganz ausgereiften Frauenfiguren. Viel wird behauptet, wenig kommt dabei rüber. Sallys Naivität und Lebensuntauglichkeit soll Grundlage dafür sein, dass sie im Laufe der Geschichte wächst und stark wird. Das gewollte Konstrukt scheint auf jeder Seite durch. Ebenso bei der Entwicklung, die ihre Schwester zu nehmen hat: von totaler selbstgewählter Einsamkeit hin zu Schwäche zeigen und andere Menschen in ihr Leben lassen. Bei Zoë ist es fast am Schlimmsten, denn die Polizistin tut im Grunde nur so, als würde sie für die Polizei arbeiten. Sie stellt sich gegen das gesamte Team, was ja okay ist, aber sie klinkt sich ganz aus, läuft ständig irgendwo herum und befragt Leute, ohne dass jemand in ihrer Abteilung was davon mitbekommt, informiert keinen, wird nicht informiert, unterschlägt aus fadenscheinigen Gründen (die allerdings etwas über ihre Vergangenheit aussagen und dem Fall die entscheidende Wenden geben sollen) Beweismaterial, und was nicht noch alles. Wäre sie als Privatperson unterwegs – okay. Wäre sie wenigstens vom Dienst suspendiert – ja. Aber so stößt man sich ständig daran, wie unrealistisch hier geplottet wurde.
Und auch im Plot scheint überall der Wille der Autorin durch. Daundda müssen wir hin, also führen wir jetzt noch mal dasunddas ein. So funktioniert Handwerk, natürlich, aber ganz oft knirscht es, weil sich Zufälle häufen, Figuren Dinge tun, die nicht zu ihnen passen, weil eben einiges hingebogen wird. Schade.

Quelle: mohayder.net
Wie bereits erwähnt, geht die Autorin erst sehr zum Schluss dahin, wo es wehtut, während sie vorher vieles, was wehtun müsste, nur in der Distanz abtut. Da werden Videos geschaut, wo man unmittelbar dabei sein müsste, um so aufgerüttelt zu werden, wie es sich bei unangenehmen Themen gehört. Da werden Geschehnisse von Dritten erzählt, sodass sie bei aller Brutalität und Grausamkeit nur noch ein bisschen unangenehm jucken, statt einem mitten ins Gesicht zu schlagen.
Ein bisschen zahnlos, das Ganze. Vieles verschenkt. Also noch mal: Schade.
Henrike Heiland
Mo Hayder: Atem (Hanging Hill, 2011). Deutsch von Rainer Schmidt. München: Goldmann 2012. 480 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Webseite der Autorin. Homepage von Henrike Heiland.