Geschrieben am 22. August 2012 von für Bücher, Litmag

Chad Harbach: Die Kunst des Feldspiels

Ein literarischer Homerun

– Mit seinem Debüt „Die Kunst des Feldspiels“ legt Chad Harbach einen wunderbaren Baseball- und College-Roman im Stil einer klassischen Great American Novel vor, der das Zeug zum Bestseller besitzt. Von Karsten Herrmann

Chad Harbachs Protagonist ist der junge Henry Skrimshander – ein schmächtiger, unscheinbarer Junge aus der Provinz, der sich als schlummerndes Baseballtalent mit einer magischen Fang- und Wurfhand entpuppt: „Selbst bei Höchstgeschwindigkeit sah er uninteressiert, beinahe gelangweilt aus, wie ein Virtuose, der Tonleitern übt.“ Henrys Gewährsmann ist der legendäre Shortstop Aparicio Rodriguez, dessen zerlesenes und vom Geist des Buddhismus durchwehtes Buch „Die Kunst des Feldspiels“ (!) er stets bei sich trägt. Sein Ziel ist es, zu einem jener wenigen „wahrhaftigen Spieler“ zu werden, die den Weg des Balles zu ihrem eigenen werden lassen.

Entdeckt wird Henry bei einem Freundschaftsspiel von Mike Schwartz, der ihn an das liberale Westish College und dessen Baseballmannschaft, die „Westish Harpooners“, holt. Mike sieht in Henry das überragende und einzigartige Talent, das er selbst nicht ist, und verschreibt sich bedingungslos seiner Förderung. Als Henry eine Erfolgsserie ohne Beispiel gelingt und er schon von den Scouts der großen Clubs ins Visier genommen wird, unterläuft ihm ein fataler Fehlwurf. Wie ein Krebs frisst sich nun der Zweifel in ihn, zersetzt seine ganze Selbstsicherheit und Gelassenheit und lässt seinen genialen Arm zu einem entfremdeten Körperteil werden: „Der Unterschied zwischen möglichem Scheitern und unvermeidlichem Scheitern war dünn wie eine Rasierklinge.“

Chad Harbach (© 2011 Larry D. Moore)

Geschickt verknüpft Chad Harbach Henrys bewegenden Auf- und Abstieg mit dem Leben im Westish College und weiteren Protagonisten: neben Mike Schwartz noch mit seinem schwulen Mitbewohner und Mitspieler Owen Dunne, mit dem intellektuell herausragenden und ebenso charmanten Rektor Affenlight und seiner Tochter Pella, die nach abgebrochenem Studium und gescheiterter Ehe zu ihm zurückgekehrt ist. Diese Personenkonstellation gibt Raum für tiefe Freundschaften, Affären, Fehltritte und eine späte verbotene Liebe, die in der amerikanischen Literatur Seltenheitswert hat.

„Die Kunst des Feldspiels“ ist eine Hommage an den Baseball und an den alten amerikanischen Traum vom Aufstieg aus dem Nichts. Dieser wird hier jedoch immer wieder gebrochen und offenbart seine Untiefen und Abgründe. Nicht der Kampf gegen den Gegner und die ungerechte Welt, sondern der Kampf gegen den eigenen Zweifel, die eigene Angst und Unentschiedenheit steht hier im Vordergrund. Eingeschrieben ist dem Roman dabei auch eine literarisch-philosophische Unterströmung, in der neben Herman Melville und seinem Moby Dick auch Walt Whitmann, Waldo Emerson und Henry David Thoreau tragende Rollen spielen.

Chad Harbach, der gemeinsam mit Keith Gessen, Mark Greif und Benjamin Kunkel die literarische Zeitschrift n+1 herausgibt, erweist sich in seinem Debüt als ein großartiger und schon erstaunlich ausgereifter Erzähler. Souverän entwirft er seine Charaktere und lässt den mehrdimensionalen Plot auf einen dramatischen Endpunkt hinsteuern. Er scheut sich nicht vor Gefühlen oder Pathos, umschifft dabei jedoch immer die Klippen des Klischees. Seine Prosa schnurrt und schwingt unwiderstehlich dahin, schmiegt sich um die Welt und ihre Phänomene, bringt sie zum Leben und Leuchten. So wird bei Chad Harbach selbst die Fluglinie eines Baseballs zum packenden Film in Worten und sein Debütroman letztlich zu einem literarischen Homerun.

Karsten Herrmann

Chad Harbach: Die Kunst des Feldspiels (The Art of Fielding). Aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Johann Christoph Maass. 576 Seiten. Köln: Dumont 2Verlag 2012. 22,90 Euro. Zum Verlag und zur Leseprobe. Zum Literaturmagazin n+1.

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