Geschrieben am 1. September 2012 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

– Bloody Chops: Heute schwingen das Beilchen Kirsten Reimers (KR) über Patrick de Witts „Die Sisters Brothers“, Joachim Feldmann (JF) über Jacques Berndorfs „Die Grenzgängerin“ und Thomas Wörtche (TW) über den Comic „Der Frevel am Altar der Heiligen Klara“ von Valerio Bindi/MP 5.

Ein Hauch von Nichts

(KR) Eli und Charlie sind die berühmt-berüchtigten Sisters-Brüder: Killer im Dienst des sogenannten Kommodore. In seinem Auftrag reiten sie nach Kalifornien, um einen Goldsucher mit dem Namen Hermann Kermit Warm umzubringen, der den Kommodore angeblich bestohlen hat. Unterwegs treffen die beiden Brüder eine Menge seltsamer Menschen und erleben eine Menge seltsamer Dinge.

Erzählt wird die Geschichte von Eli Sisters, dem grüblerischen und meist gutmütigeren der beiden Auftragsmörder. Selbst die groteskesten Dinge berichtet er mit einer naiven, etwas plapperhaften Ernsthaftigkeit, was diesem Neowestern einen ironisch-distanzierten Unterton gibt, wie natürlich überhaupt mit dem Genre Western ironisch umgegangen wird.

Die Reise der beiden Brüder führt mitten hinein ins Herz einer von Gewalt, Alkohol und Gier besoffenen Welt. Es wird eine Menge Geld und Gold gewonnen und verloren, es wird ziemlich viel gesoffen und reichlich gemordet, manches ist eklig. Aber das alles ist keine große Sache, alles passiert eher en passant – abgesehen von dem Moment am Leuchtenden Fluss, der rauschhaftes Glück bedeutet und gleichzeitig den Tod bringt. Und doch bleibt nichts am Ende haften, weder bei den Brüdern noch beim Leser. Vielleicht gerade wegen der verschwatzten Beiläufigkeit von allem und jedem zerrinnt auch der Roman als Ganzes letztendlich im verplapperten Nichts.

Patrick deWitt: Die Sisters-Brothers (The Sisters Brothers, 2011). Roman. Deutsch von Marcus Ingendaay. München: Manhattan 2012.  348 Seiten. 17,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Krise mit Puddingteilchen

(JF) „Eine Vielzahl bürokratischer Hemmnisse“ habe sich über die Jahre beim BND angesammelt, klagte der neue Präsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes Gerhard Schindler kürzlich in einem Interview: „So mussten unsere Residenten im Ausland bis vor Kurzem von jeder Dienstreise einen schriftlichen Antrag stellen. Das ist völlig unpraktikabel, wenn man schnell eine Kontaktperson treffen will.“ (Die Welt. 11.08.2012) Nun gibt es eine Arbeitsgruppe zum Abbau von Bürokratie. Und Schindler hofft auf Besserung.

Von Bürokraten, die tüchtigen BND-Agenten das Leben schwer machen, wimmelt es auch in Jacques Berndorfs neuem Thriller „Die Grenzgängerin“. Die einen wollen den Spionen an ihren Etat, die anderen unterziehen sie nach gefährlichen Einsätzen peinlichen Verhören. Dahinter scheint allerdings System zu stecken. Irgendjemand arbeitet gegen die Abteilung des altgedienten Spionagechefs Krause. Dabei kann dieser innere Probleme momentan gar nicht gebrauchen. Bei einem Einsatz in Tripolis ist sein Top-Agent Karl Müller abhanden gekommen. Noch bevor er einen weiteren Mann in das Krisengebiet – das Gaddafi-Regime steht kurz vor dem Sturz – schicken kann, macht sich Müllers Kollegin und Geliebte Svenja Takamoto auf nach Libyen. Dass gleichzeitig von einer mysteriösen Frau berichtet wird, die mit 1000 Kilo Sprengstoff unterwegs nach Deutschland sein soll, macht die Lage nicht übersichtlicher. Zumindest für die Beteiligten.

Wir Leser können uns glücklicherweise auf den Erzählroutinier Berndorf verlassen, der den komplexen Stoff in einen süffigen Spionagethriller verwandelt. Souverän steuert er uns durch einen überraschungsreichen Plot, sorgt hinreichend für Spannungsmomente und befriedigt auch unser Identifikationsbedürfnis. Takamoto und Müller zeigen sich beinahe jeder Gefahrensituation gewachsen, während Krause und sein erlesener Mitarbeiterstab – darunter der im zeitgenössischen Thriller mittlerweile unentbehrliche Computer- und Internetfex – für den entsprechenden Rückhalt sorgen. Berndorf mag es eben, das zeigte sich bereits in seinen Eifel-Krimis, familiär. Krisensitzungen mit Puddingteilchen inklusive.

Das ist ebenso gekonnt wie beruhigend. Dass der BND den Autor bei seinen Recherchen bereitwillig unterstützt hat, glaubt man gerne. Um die Sicherheit der Republik müssen wir uns jedenfall vorerst keine Sorgen machen.

Jacques Berndorf: Die Grenzgängerin. Roman. München: Heyne 2012. 396 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Autarke Bilder

(TW) Schwul sein in Männerbünden wie dem DFB oder der Camorra ist definitiv verpönt. Wie radikal dieses „Gibt’s hier nicht“ bei der Camorra durchgesetzt wird, erzählen der Szenarist Valerio Bindi und die Grafikerin Maria Pia Cinque alias MP5.

Intereressant ist dabei weniger die Geschichte, die vom starken Thema überwölbt wird, und keine allzu großen Drehungen erlaubt: Dass der nette Giovanni für seinen Vater Don Antonio Farnesini, erst genannt Don Antonio Acqua Sporca (nach dem Erwebszweig der Familie: Dreckwasser), später nach dem Verlust eines Auges Acqua Storta (Schielwasser), niedere Camorra-Dienste verrichtet, schützt weder ihn noch seinen Lover Salvatore vor der „Moral“ der eigenen Familie. Klar, das nimmt kein gutes Ende …

Aber bis es so weit ist, dürfen wir die Dominanz der Grafik bewundern, irgendwo zwischen Frans Masereel, José Antonio Muñoz und Marjane Satrapi. Großflächige holzschnittige, sorgfältig komponierte Schwarz-Weiß-Panels, die besonders bei Nachtszenen eine elegante Eiseskälte ausstrahlen, die jede Versöhnlichkeit abtötet. Scharfkantige Konturen, nur hin und wieder ornamental aufgebrochen und gleich wieder geschlossen. Fest gerahmt auch die sehr sinnvoll dezenten Sexszenen; formale Varianten höchstens einmal bei Rückblenden und Erinnerungen, aber auch da bleiben die Figuren und ihre Handlungen schon fast brutal von schwarzen Linien umschlossen.

Wenn man so etwas unbedingt Graphic Novel nennen möchte, haben wir ein Muster dafür, dass die Grafik die narration dominieren, dadurch die Intention der Geschichte (resp. deren Verfasser) zwar verstärken, aber gleichzeitig von der narration abgelöste, autarke Bilder schaffen kann.  Comic at it’s best.

Valerio Bindi & MP5 nach einer Romanvorlage von L.R. Carrino: Der Frevel am Altar der Heiligen Klara. (Acqua Storta, 2010) Comic. Deutsch von Resel Rebiersch. München: Schreiber & Leser 2012. 182 Seiten. 18,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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