CHRONOS
– Ansprache –
Teuflischer Zusammenhang
Du isst, schlingst, nagst, schluckst
immer hungrig, für immer bettelnd
glotzend. Dein Absolutes ist unbegreiflich.
Hier bin ich auf einem Karussell-Ball
selbstgefällig, goldgierig, machtgierig,
versuche, nicht ohne Mühe, dich zu begreifen!
Geschichten, Mythen, Historien denke ich mir aus
um dich zu benennen: ich gebe dir Namen, wende mich an dich
gestalte dein Abbild, dein Spiegelbild, deine Verkörperung
und gestehe, alles bisher von mir Geschriebene
wendet sich an dich:
auf Wasser, Luft, Äther, Erde rudern
deine Sprache lernen
deinem Weg folgen.
Der Weg, sogar wenn
ich dich teile, dich spalte, dich zerreiße
kürze, kappe, schneide, aufschlitze
rede ich mir ein – dich in den Händen zu halten!
ich bringe dich in Bücher ein
gedenke deiner, dieses Gedächtnis gebe ich weiter
es wandert von den einen zu den anderen
ich verschönere, verbessere, vergebens
Zeichen, allerlei Formen
damit du mir irgendwas sagst, trotzdem
habe ich dich nicht!
Aus dem Makedonischen von Elizabeta Lindner
„Das karnevalistische Prinzip der oxymorischen Perzeption der Welt ruft den Effekt der Verblüffung hervor und erzeugt eine spezifische kulturelle Praktik des Unterlaufens traditioneller Werte und des Unterlaufens/Verspottens gewohnter traditioneller Werte.“ Wer mit so einer vertrackten, verschlüsselten, verschwurbelten Formulierung den Reiz des Karnevals zu umschreiben vermag, muss eine gute Dichterin sein…Hat man nicht auch gute Lyrik immer wieder einen „Effekt der Verblüffung“ hervor, wenn man auf Verse und Wortkonstruktionen stößt, die man vorher noch nie gehört hat und die dann übergehen in den eigenen Sprachschatz. Und wenn man sich nicht zufrieden geben will mit Geburtstagskartenlyrik, Festredenreimen und Sonnenuntergangsbeschwörungen dann unterläuft doch jedes Gedicht „traditionelle Werte“ und verspottet mit Freuden das althergebrachte Gute & Schöne & Langweilige.
Von Katica Kjulavkova weiß ich nur wenig. Ihre mazedonische Sprache ist mir vollkommen unverständlich, trotzdem oder gerade deshalb reizt es mich, mehr von ihr zu erfahren. Geboren wurde sie 1951 und sie lehrt heute Literaturwissenschaften an der Universität von Skopje. Es gibt von ihr immerhin bereits 14 Gedichtbände und in einem dieser Bände findet man auch dieses wunderschöne Gedicht:
Ars poetica
„Wenn du es besingst, erwähn es nicht
das Meer, sag Delphin,
Alge sag, sag Blues
oder
über Matrosen, versunkene Berge
Jod und Strömung
über Salz, Taucher, Leuchttürme
über Galeeren, Fossilien, Korallen
über Erosion, Rheuma, Sand
über Rhythmus
über die Gebärmutter
über Schiffbrüche
über die Läden der Fenster, Kristalle und
Abenteuer, die Seekrankheiten, sowie Handel
mit Seide und weisser Kleidung
über Kapitäne, die als letzte sterben
über Prostituierte, die nicht hoffen . . .
Mit nichts vergleich es, ersetz es nicht
– bei so viel Licht und so viel Leben!
– bei so viel Tiefe und solchen Haien!
Sag nicht Meer – es wird dich nur besprühen
ohne Illusionen!
Übersetzt von Ulrike Draesner, erschienen in „Für die mit der Sehnsucht nach dem Meer“. Hamburg, Mare Buchverlage 2008. Foto: Quelle: Homepage.