Geschrieben am 7. November 2012 von für Film/Fernsehen, Litmag

Die Viennale 2012

Vermehrt Schönes – ein Hauch von Weltkino

– Die Viennale ist vorbei. Ein Rückblick von Senta Wagner.

Kinointeressiert muss man schon sein: Ende Oktober geht der Teil der Wiener, der Österreicher und der Welt, der es ist, zwei Wochen lang unermüdlich von morgens bis abends ins Kino, zumindest könnte er das. Ein kultureller Ausnahmezustand herrschte allemal in Wien mit rund 96.000 Kinogängern sowie zahlreichen Gästen von überall her.

Es war Viennale-Time und es wurde superlativisch gefeiert. Das jährlich stattfindende Vienna International Film Festival spulte vom 25. Oktober bis 7. November 2012 sein filmisches Programm in speziell charmanten Wiener Innenstadtkinos (von 149 bis 740 Sitzplätzen) ab – in diesem Jahr als Jubiläumsausgabe, nämlich inzwischen zum fünfzigsten Mal. Über das Jahr verteilt gab es bereits zahlreiche kinematografische Veranstaltungen. Das ist Kontinuität auf einem hohen Niveau und bedeutete in 14 Tagen die Vorführung von locker 350 nationalen und internationalen Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen (jeweils in OF mit deutschen oder englischen Untertiteln). Diese wurden begleitet von Tributes (Stargast Michael Caine), Specials (They Wanted To See Something Different) und einer historischen Retrospektive (Fritz Lang). Da war nur die kleine Qual der Wahl. Events um den Event wie Diskussionen und Partys sind für die Festivalmacher seit jeher selbstverständlich. Ein Besuch im Festivalzentrum gehört für viele Cineasten nach/vor dem beglückenden Kinobesuch dazu. Wenn Filmemacher und Filmerinnen live Musik auflegen, bleibt niemand im Kinosessel kleben. Die Künstler zum Anfassen. So liebt es das Publikum auch, wenn Regisseure und Schauspieler bei Filmvorführungen anwesend sind.

Kino Gartenbau

Schweres Vergehen

Die Viennale ist eines der „akzentuiertesten und qualitätsvollsten Filmfestivals im europäischen Zusammenhang“. Überaus lobenswert ist die Chance für Filmer, ihre Filme zu zeigen, die nie in einer „normalen“ Spielstätte irgendwo einen Kinostart erleben werden.

Ihr Erfolgsprinzip unter der Direktion von Hans Hurch (seit 1995) ist ein kombinatorisches: populär sich geben und in die Breite des Publikums ebenso zu gehen wie in die inhaltliche und ästhetische Tiefe der zeitgenössischen Filmkunst und deren politischer Tragfähigkeit. Mal ganz davon abgesehen müssen Festivalleiter leidenschaftliche Wesen sein. Es scheint gelungen zu sein, wenngleich es Genörgel am Programm und Hurch-Kritiker auch zum 50er gibt. Der österreichische Film werde vernachlässigt, heißt es. Himmel, für ein österreichisches Filmspektakel ist das ein schweres Vergehen.

Grenzgänger – ein Kammerspiel um Liebe und Verrat

Unsere Musterbesucherin der Viennale stellt deshalb den regionalen Spielfilm „Grenzgänger“ des 47-jährigen österreichischen Regisseurs und Drehbuchautors Florian Flicker vor, der am 16. November 2012 prompt in die heimischen Kinos kommt (ob auch in Deutschland, weiß sie nicht). Mit umwerfendem Gespür hat sie aus dem Massenangebot (s.o.) ihre Wahl getroffen und das Werk gemeinsam mit 740 Freunden im Gartenbaukino gesehen, wo es in Anwesenheit von Flicker, den Hauptdarstellern und Leuten aus dem Team seine grandiose Premiere feierte.

„Grenzgänger“ läuft als freie Adaption des Bühnenstücks „Der Weibsteufel“ (1914) von Karl Schönherr und, tatsächlich, mit dem ewigen und zutiefst menschlichen Drama Frau/Mann hat man es zu tun. Dafür hätte es Schönherr eigentlich gar nicht so gebraucht. Die anziehende, natürliche Schönheit Jana (umwerfend Andrea Wenzl), ihr wortkarger, umtriebiger Mann Hans (Andreas Lust) und der leicht täppische, die „Wahlverwandtschaften“ lesende Präsenzdiener Ronnie (Stefan Pohl, beide stark) agieren in stiller, intensiver Weise in dieser melodramatischen Eifersuchtsgeschichte. Flicker setzt auf Dialogarmut und Reduktion, es sprechen die Gestik und Mimik der Protagonisten und neben der trefflichen Musik (Eva Jantschitsch), die leise Ironie einflicht, auch die sensationell schönen Bilder der Landschaft. Die Donau-March-Auen an der Ostgrenze Österreichs werden zur vierten Hauptdarstellerin gekürt. Wo nicht gesprochen wird, flüstert immer noch die Prärie, rauscht die March oder stürzen Regenschauer hernieder. Die Personen starren oft in sie hinein, als ob die Natur ihnen das Denken abnehmen würde. Die Geschichte wirkt authentisch von der Dialektrede der Figuren, ihrer Mentalität bis hin zum Lokalkolorit. In manchen Momenten gleitet sie ins Archaische.

Jana, Hans und Ronnie

So blicken die Zuschauer fasziniert auf eine Schaubühne, in dessen Beengtheit die drei physisch und emotional aneinandergeraten. Zwischendurch wird gelacht, warum nicht. Es ist Schillingzeit, und der Osten liegt noch hinter dem Eisernen Vorhang. Das Grenzland zur heutigen Slowakei ist unbehaustes Niemandsland. Hans und Jana leben dort vom Fischfang und der Schlepperei. Das legale und ehrenwerte Aushängeschild ist eine kleine Gastwirtschaft für Wanderer. Die Fische und die Illegalen landen in einem Aufwasch bei Jana in der Küche und werden dort „weiterverarbeitet“ bzw. versteckt. Janas Rohheit beim Ausnehmen des Fangs wird von der Geschmeidigkeit ihres freien Rückens überblendet. Mehr Haut ist kaum jemals zu sehen. Die Frau ist ebenso Magd wie Objekt der Begierde. Dennoch bleibt Jana als Figur am rätselhaftesten, ihre weibsteuflische Rolle passt nicht richtig zu ihr. Ihre Zugehörigkeit als Ausländerin zur Welt von Hans erscheint flüchtig, nicht greifbar. Am Schluss des Filmes wird sie diese mit ihrem Fortgang beenden.

Hans will man drankriegen, weshalb regelmäßig sein Besitz von Grenzpatrouillen auf den Kopf gestellt wird. Ronnie ist der Neue aus Wien in Sachen Grenzraumüberwachung. Täglich kreuzt er fadenscheinig bei Jana auf. Der Befehl seines Vorgesetzten lautet auf Ranmachen an Jana und Ausspionieren. Die Idylle erscheint längst im Lichtschein von Gewalt und Verbrechen, es brodelt.

Hans, auch nicht doof, setzt Jana auf Ronnie („eine Mata Hari“) an, um zu seinem Vorteil zu kommen. Sie wird ihren Mann dafür verachten (siehe „Die Verachtung“ von Jean-Luc Godard), der ringt mit seiner Eifersucht. Die Dreiecksgeschichte wäre nun auch perfekt, und sie endet böse. Die Frage danach, wer begeht zuerst Verrat und wessen Würde wird zuerst verletzt, hat Florian Flicker am meisten interessiert, ohne gleich „einen Dampfkessel zum Explodieren zu bringen“.

„Grenzgänger“ ist in seiner Schlichtheit ein großer Film. Grenzen verlieren immer mehr an Bedeutung, das Spiel zwischen Frau und Mann endet nie.

Die Viennale kommt bestimmt nächstes Jahr wieder. Sie sind eingeladen.

Senta Wagner

Zur Homepage der Viennale.

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