Liebe ist unerschütterlich
– Das Erstlingswerk des Argentiniers Eduardo Sacheri ist in dessen Heimat bereits 2005 erschienen. Gemeinsam mit dem Regisseur Juan José Campanella schrieb der Autor dann seinen Roman zu einem Filmdrehbuch um und im März 2010 wurde „In ihren Augen“ mit dem Oscar für den besten ausländischen Film bedacht. Wahrscheinlich, weil Fußball sich gut verkauft, hat Sacheris deutscher Verlag zunächst zwei Fußballbücher aus seiner Feder auf den Markt gebracht und „In ihren Augen“ erst jetzt ins Deutsche übertragen. Der Roman, findet zumindest Eva Karnofsky, zählt zu den literarischen Highlights dieses Herbstes.
Sacheris Protagonist, der Justizbeamte Benjamín Chaparro, wurde gerade pensioniert und nun arbeitet er an einem Roman. Dem Leser sowie einem allwissenden Erzähler, der ihn immer wieder unterbricht und kommentiert, erlaubt er, seine literarischen Bemühungen zu begleiten.
Der ehemalige Justizbeamte will mit dem Schreiben auch der Richterin Irene imponieren, in die er schon als junger Mann verliebt war und der er nie seine Zuneigung gestanden hat. Dabei glaubt er manchmal, in ihren Augen – daher der Titel von Sacheris Roman – so etwas wie Erwartung zu sehen. Mit den Recherchen für sein Buch kann der Pensionär jedenfalls seine Besuche im Justizpalast rechtfertigen, die es ihm ermöglichen, seine heimliche Liebe Irene zu sehen. Das Buch, das er schreibt, handelt vom Mord an einer jungen Frau im Mai 1968 und von deren untröstlichem Witwer Ricardo Morales, und der pensionierte Romanschreiber muss gelegentlich etwas über den Fall im Archiv nachschlagen.
Der Mord an Morales’ junger Frau hat ihn fast sein gesamtes Berufsleben hindurch beschäftigt. Benjamín Chaparro erreichte damals, dass Isidoro Gómez, der Vergewaltiger und Mörder von Morales’ Frau, über zwei Jahre nach der Tat doch noch gefasst wurde. Der Justizbeamte nimmt es ernst mit der Gerechtigkeit, aber er hatte damals auch Mitleid mit dem gebrochenen jungen Witwer, und so sorgte er mit vielen Tricks dafür, dass der Fall nicht von dem gleichgültigen Richter zu den Akten gelegt wurde. Der Mörder kam für kurze Zeit ins Gefängnis, doch nach Beginn der argentinischen Militärdiktatur 1974 wurde er wieder freigelassen. Der Geheimdienst brauchte kaltblütige Mörder wie ihn, damit sie mit der Opposition aufräumten. Chaparro dagegen wurde mit dem Tod bedroht und floh in die Provinz.
Versagende Systeme
Der Roman hält dann – das Land ist inzwischen zur Demokratie zurückgekehrt – für den Leser eine höchst überraschende, bestürzende Wende in dem Mordfall bereit. Eduardo Sacheri zeigt, wozu ein Rechtssystem, das wie das argentinische nicht funktioniert, verzweifelte Menschen treiben kann.
Liebe ist unerschütterlich, und Gleiches gilt für Anstand und Aufrichtigkeit, auch das vermittelt der Roman. Er kommt dabei aber nie betulich daher. „In ihren Augen“ ist gekonnt konstruiert und spannend und flott geschrieben. Das Buch besticht durch stimmige Charaktere, lebhafte Dialoge und durch Humor, wenn es um Chaparros unerklärte Liebe zu der Richterin Irene geht. Die Verfilmung wurde mit einem Oscar ausgezeichnet, die nun auf Deutsch nachgereichte Romanvorlage ist ein literarischer Genuss.
Eva Karnofsky
Eduardo Sacheri: In ihren Augen (La pregunta de sus ojos, 2005). Roman. Deutsch von Matthias Strobel. Berlin: Bloomsbury Verlag 2012. 332 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.