Geschrieben am 6. Februar 2013 von für Bücher, Litmag

Tom Wolfe: Back to Blood

Back to Blood von Tom WolfeStatus und Stereotype

– Tom Wolfe hat seinen neuen Roman „Back to Blood“ in Miami angesiedelt: Hier streiten die etablierten weißen „Anglos“ mit Hispanos, Haitianern und Exilkubanern in einem erbitterten Rat Race um Status und Anerkennung. Von Peter Münder

Die großen Realisten Émile Zola, Sinclair Lewis, Dickens und Balzac hat Tom Wolfe, 81, immer als leuchtende Vorbilder verehrt. Vor allem der in finstersten Kohleschächten für „Germinal“ recherchierende Zola, den ein unter Tage geborenes Grubenpferd faszinierte, das nie das Tageslicht erblickt hatte, war dem US-Propheten eines „New Journalism“ ein enormer Ansporn für akribisches Recherchieren und das abenteuerliche Eintauchen in eine unbequeme Realität gewesen.

Aber die wahren literarischen Stürmer und Dränger, die sich von dieser Welt da draußen inspirieren ließen – sie machten sich leider so extrem rar und mokierten sich in poststrukturalistischer Indifferenz über eine „angebliche Realität“, die vielleicht gar nicht existierte!

Wolfes Klage über die trägen, an der Außenwelt kaum noch interessierten zeitgenössischen Autoren hatte er schon 1989 in seinem im „Harper’s“ Magazin veröffentlichten Manifest veröffentlicht und man hörte es in dieser oder ähnlicher Form wie ein ritualisiertes Mantra in den letzten Jahren immer wieder: Hatte er sich nicht jahrelang im New Yorker Broker- und Anwalts-Milieu herumgetrieben, um für seinen ersten Roman „The Bonfire of the Vanities“ (1988) dem gierigen Zeitgeist, all diesen Zockern und Börsen-Spekulanten, auf die Spur zu kommen?

Und hatte er sich nicht, wie immer im cremefarbenen Anzug (er besitzt davon 32 Stück), mit Schlips und Gamaschen ausstaffiert, in wilde Studenten-Nachtklubs gewagt, um Impressionen für den großen Campus-Roman um die hochbegabte, an einem Elite-College studierende Landpomeranze Charlotte Simmons („I am Charlotte Simmons“, 2004) einzufangen? Und dann wurde er während seiner Recherchen noch von hedonistischen Studenten-Schnöseln verhöhnt!

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Wenn Wolfe nun betont, er wäre bei seiner Feldforschung für den Miami-Roman „Back to Blood“ in all den von ihm besuchten wilden Klubs der einzige Mann gewesen, der eine Krawatte trug, dann ist das wahrlich nichts Neues: Sein schmuckes Outfit ist längst zum Markenzeichen mutiert, das er so demonstrativ trägt wie ein Mercedes seinen Stern am Kühler. Der eitle Wolfe ist schließlich Spezialist für Status-Symbole und hatte darüber einen Essay (im Band „Hooking Up“, 2000) veröffentlicht. Und er outete sich in einem Vortrag (Jefferson Lecture, 2006) sogar als Max-Weber-Kenner: Schon als Student in Yale habe er im Rahmen der „American Studies“ Max Webers Essay über „Klasse, Status und Partei“ gelesen und sei davon elektrisiert gewesen.

Wolfe weiß also auch genau, wie wichtig ein markantes, cremefarbenes Corporate Image für die Identifizierung als „Premium“-Autor ist. Der passionierte Effekthascher geht aber so weit, dass er das Streben nach Status und die Angst vor Statusverlust und Erniedrigung für den wichtigsten Motivator, den entscheidenden Lebensimpuls hält, der mindestens so bedeutend wie Sex oder Geld sein soll. Und er entblödet sich nicht, Tolstois „Anna Karenina“ fast ausschließlich nach eingestreuten Status-Indizien zu beurteilen, was eben den besonderen Stellenwert dieses Romans innerhalb der Weltliteratur ausmache. Auch Tolstoi kannte sich nämlich schon bestens aus in der „Status-Sphäre“ (Tom Wolfe): „Tolstoi präsentiert eine grandiose Symphonie von Status-Fragen, Status-Rivalitäten und Schuldfragen hinsichtlich der Zugehörigkeit innerhalb der herrschenden Klasse“.

Um in dieser obersten Literatur-Liga mitzuspielen, muss man laut Wolfe folglich die Status-Frage in den Griff bekommen: Schuhe, Autos, Klamotten, Schmuck, Häuser mit den richtigen Preisschildchen bekleben und die Figuren auch anhand ihres Akzents klassenmäßig einordnen können. Diese Preis-Fixierung ist offenbar eine ur-amerikanische Marotte: „Hier scheint jedes Blatt an den Büschen mit einem Preisschild versehen zu sein“, hatte schon Bertolt Brecht angewidert registriert, als er sich in Hollywood vorübergehend als Drehbuchautor betätigte und merkte, dass sich im Goldenen Käfig einfach alles um den Dollar drehte. Vor allem die Unterentwicklung dieser Etikettierungsfertigkeiten, das Ignorieren der Status-Frage, hatte Wolfe ja auch in seiner heftigen Fehde mit Norman Mailer und John Updike den beiden Kollegen in den 80er Jahren zum Vorwurf gemacht und sie als dementsprechend inkompetent und realitätsfremd abqualifiziert.

tomwolfeVon langatmig und überdreht …

In „Back to Blood“ beschreibt Wolfe auf den ersten zwanzig (!) Seiten ein klassisches, elitäres WASP-Paar: Edward T. Topping IV. ist Herausgeber des „Miami Herald“, „Mac“, seine Frau, ebenfalls Yale-Absolventin, eine dynamische, ökobewusste Power-Frau. Er ist BMW-Fahrer, sie hat sich ein grünes Öko-Mobil zugelegt, in dem sie auf einem Parkplatz in Miami frustriert ihre Runden dreht, um einen Platz für dieses brandneue, minimalistische, aber 125 000 Dollar teure (Achtung: neuartiges Status-Symbol!) Mitsubishi-„Green Elf“-Hybrid- Öko-Mobil zu finden. Als endlich eine Lücke erspäht ist und „Mac“, die Fahrerin, mit dem Rangiermanöver beginnt, ergattert sich eine dunkelhäutige „Latina“-Neureiche im schneeweißen Ferrari 403-Cabrio (500 PS, 275 000 Dollar) mit qualmenden Reifen diesen Parkplatz. Und schon sind wir mitten drin im Rassen-und Klassen- Krieg: Es hagelt wüste Beschimpfungen, die ach so liberalen Anglos entlarven sich als ebenso dreist und unverschämt wie die farbige neureiche Ferrari-Fahrerin , die nur auf Spanisch fluchen kann und die Aufforderung der erregten Öko-Mobilistin Mac, endlich vernünftiges Englisch zu sprechen („We are in America“) repliziert mit dem Hinweis „No, we are in Miami“.

Mit diesem langatmigen, pseudo-dramatischen und überdrehten Expositionsszenario werden wir auf weitere Konflikte und komische Szenen eingestimmt: Miami mag ja seine hübschen Art-Deco-Ecken haben, es ist aber auch– von wegen Schmelztiegel! – das Basislager für aufstiegsfixierte Status-Strategen, die auf Rassen-und Klassenschranken im satirisch überhöhten „ clash of civilizations“ und den Jahrmarkt der Eitelkeiten keine Rücksicht nehmen.

Seine Figuren verknüpft Wolfe so lässig-elegant wie eh und je zum bunten Reigen: den am Hafen eingesetzten kubanisch-stämmigen Cop Nestor, der so heldenhaft einen kubanischen Flüchtling vom 18 Meter hohen Mast eines Segelschiffs herunterholt und deswegen von seiner Familie und allen Freunden gehasst und verachtet wird: Nun wird der auf dem Wasser gefasste Flüchtling nämlich nach Kuba abgeschoben – Nestor als Kollaborateur der Americanos hat als „Verräter“ Schande über die kubanische Enklave gebracht. Nestors sexy Freundin Magdalena geht plötzlich fremd mit dem auf Pornosucht-Therapie spezialisierten Psychiater Norman, der sich auch als pornosüchtig entpuppt und eine wahnwitzige Sex-Orgie auf mehreren Schiffen lüstern-voyeuristisch auskostet.

Der Kunstkenner Wolfe hat sich beim Eintauchen ins bunte Treiben Miamis natürlich auch die Art Basel angesehen und dazu einen wunderbaren Krimiplot um den russischen Oligarchen und Kunst-Mäzen Korolyev zusammengestrickt. Der stiftet dem Museum wertvolle Bilder bekannter russischer Künstler – aber sind die auch echt? Arbeitet der auf Statusmaximierung und Anerkennung als Mäzen erpichte Oligarch vielleicht mit einem Fälscher zusammen? Hier läuft Wolfe zur Höchstform auf, denn er entlarvt die auf Geld, Status, Prominenz und Medienpräsenz fixierte neureiche Gesellschaft und schildert eine grenzenlose Schaumschlägerei und Hochstapelei in einem locker-satirischen Jargon, der einen rasanten Spannungsbogen aufbaut und dabei die kritische Urteilsfähigkeit des Lesers nicht unterschätzt.

… bis zu saukomisch und unterhaltsam

Schwach und allzu redundant ist Wolfe immer dann, wenn er seine Detailversessenheit – wie beim Parkplatz-Szenario der ersten Seiten – beweisen will: Schließlich taucht er ja immer noch als rarer, exotischer Super-Realist gründlich ein in diese Wunderwelt des Realismus!

Wenn er demonstrieren will, wie Nestors kubanische Familie lebt, wo der Vater den Lieferwagen parkt, wie man mit einem gegrillten Schwein eine echte kubanische Party durchzieht, wie sauer alle kubanischen Nachbarn auf den Nestbeschmutzer Nestor sind, dann tut Wolfe dies aus der Froschperspektive, die alle wichtigen Details mehrmals erfasst und dann auch mehrmals, quasi mit großen erstaunten Kinderaugen, vor uns ausbreitet. Die große maritime Sex-Orgie, bei der ein riesiges Segel als Projektionsfläche für Pornofilme eingesetzt wird, ist zwar ein großes, saukomisches, dekadent-hemmungsloses Hedonisten-Spektakel.

Aber die zwischen ekstatischem Voyeurismus und distanzierter Soziologen-Attitüde schwankende Perspektive ähnelt auch der aus „Charlotte Simmons“: Auch da vermittelte Tom Wolfe den Eindruck, als lüsterner Partygänger möglichst keinen Orgasmus verpassen zu wollen. Doch er gerierte sich dabei gern wie ein gestrenger Sittenwächter aus dem Vatikan, der diesem perfiden Treiben nicht seinen Segen erteilen konnte.

Großartiges Entertainment mit brisantem Enthüllungseffekt liefert Tom Wolfe aber auch: Wenn er aus dem Konflikt unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen seinen Honig saugt und die selbstverliebten, Power-fixierten Würdenträger, Establishment-Chargen oder Prominente des Medienzirkus als drittklassige Schauspieler vorführt, die von ihren Rollenspielchen völlig überfordert sind. Dann erreicht der Sprachzauberer Wolfe wieder magische Momente seiner frühen Reportagen wie etwa „The Kandy- Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby“ (1963), „Radical Chic“ oder „The last American Hero“, in denen bombastische Exklamationskaskaden, präzise Charakterbilder und euphorische Superlative zu einem berauschenden, faszinierenden Mix verwirbelt waren.

Dieser fabelhaft-phantasievolle Autobastler- Kunst- und Design-Jargon, der da so wunderbar authentisch eingefangen war, flackert auch hier noch streckenweise auf und kann sogar noch, wie der Reportagen-Klappentext damals behauptete, die „Schubkraft einer Weltraumrakete“ entwickeln. So kann sich der satirische Hyper-Realist und Status-Spezialist Tom Wolfe auf seinem etablierten Platz in der schreibenden Premium-Liga auch noch fünfzig Jahre nach diesen brillanten Reportagen gut behaupten.

Wir ziehen respektvoll den Hut, auch wenn der schon etwas speckig und nicht mehr cremefarben ist!

Peter Münder

[aartikel]3896674897:left[/aartikel]Tom Wolfe: Back to Blood (Back to Blood, 2012). Übersetzt von Wolfgang Müller. Blessing Verlag 2013. 768 Seiten. 24,99 Euro.
Tom Wolfe (edt.): The New Journalism. Picador 1975. 430 Seiten.
Nathaniel Rich: Things you never thought possible. In: New York Review of Books, 22/11/2012 (Rezension „Back to Blood“). Im Netz hier.
Verlagsinformationen zum Buch und Autoreninfo. Zur Homepage von Tom Wolfe. Fotos: Tom Wolfe im Weißen Haus: Wiki Commons/Susan Sterner. Portätfoto: Mark Seliger/tomwolfe.com.

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