Erinnerungen, ach
– Hans Zengelers zweiter Band der Bloch-Trilogie ist gerade im VAT Verlag André Thiele erschienen. Anne Kuhlmeyer hat sich berauschen lassen.
Josef Bloch und seine Alter-Egos sind in einem absolut zuverlässig und perfekt: im Scheitern. Das ist das, was er wirklich im Griff hat, der Josef. Dabei ist es nicht so, dass er nicht ständig auf der Suche nach Anerkennung und Ruhm wäre. Aber wenn es damit nichts wird, dann eben nicht, kann er sich mit bitterer Selbstironie eingestehen. Da ist man doch mit dem Scheitern besser dran. Das gelingt immer.
Die Selbstironie als Überlebensmodus hat er erst lernen müssen, im Gegenüber mit Nichtehefrau Ira, seinem bodenständigen Korrektiv. So richtet Josef sein Leben ein. Oder besser: Er erinnert sich daran, während Ira für einige Zeit die kranke Schwester hütet und Josef, dem „Rentner mit Grundsicherungsanspruch“, sich selbst und seinen Zeitgeistern überlässt. Denn kaum ist Ira aus dem Haus, fällt eine alte Geschichte über ihn her und zerrt ins Vergangene.
Prof. Dr. Clara Luzia Walden, eine Literaturwissenschaftlerin ansässig in Australien und Millionärsgattin, erscheint zu einem Kongress. Josef ist ihr Fahrer. Nach einer Scheidung, zahlreichen Gelegenheitsarbeiten und einem Ausflug in die Schriftstellerei, der – was sonst? – scheiterte, ergattert er einen Job als Chauffeur. Er holt also Clara am Flughafen ab und verliebt sich noch bevor er ein „Guten Tag“ herausbringen kann. Natürlich ist das eine ganz und gar unmögliche Liebe – der mittellose, tagträumerische Josef und die wohlsituierte Frau Literaturprofessorin. Nun ist Josef zwar von Selbstzweifeln geplagt bis zur Idee vom Brückensprung, aber ein Feigling ist er, entgegen seiner Behauptung, nicht. Er schiebt der Unerreichbaren eine schriftliche Liebeserklärung zu. Und Frau Professor, die sich gänzlich unprofessoral gibt, macht Nägel mit Köpfen.
„Josef schwebt“
Hinein in eine rauschende Liebesgeschichte und in die suspekte Welt der Literatur-Produzierer, -Beurteiler, -Kenner, -Semikenner, -Konsumenten, -Bewunderer (man könnte glatt meinen, der Autor mache sich über den Literaturbetrieb lustig), kurz, in eine Welt, der er gern angehörte, um irgendwo zugehörig zu sein. Denn wie viele Berufe und Rollen er auch probiert, nichts scheint zu passen und er muss zu seinem Scheitern zurückkehren.
Genau darum dreht es sich in dem Roman: Wer, zum Henker, ist denn dieses Ich, das da dauernd mit mir redet? Und: Sag mir, wie ich für dich sein soll, damit ich weiß, wer respektive dass ich bin. Damit beleuchtet der Autor sehr genau eine spezielle Persönlichkeitsstruktur ohne ein einziges erklärendes Wort. Die Scham über die eigene Existenz, der Trotz gegen eine versagende Gewissensinstanz – alles in Szene und Handlung. Immerhin: Josef Bloch ist zwar ganz schön schräg drauf, aber nicht blöd. Er lernt. Er lernt Freiheit im, mit und durch ein Gegenüber, der einzigen Möglichkeit, wie sie überhaupt zu erlernen ist.
Die Suche nach dem Selbst ist in der Literatur ja nun nicht ganz was Neues (Henry Miller fällt mir ein, Philip Roth auf andere Weise, und viele mehr). Sie wird in diesem Roman so zwingend notwendig, so existenziell erforderlich dargestellt, dass man heulen könnte vor Lachen oder umgekehrt.
Josef und Claras erste Liebesnacht zum Beispiel, geschrieben als Szenen eines Dramas samt Regieanweisungen, ist zum Schreien komisch. Oder etwa die Gedankennotizen, die sich Josef regelmäßig macht, Fragestellungen, um herauszufinden, wie man zu sein hat, damit man es endlich zu etwas bringt und „richtig“ ist. Kleines Zitat: „Literarischer Erfolg schien also auch attraktiv zu machen (Notiz: Untersuchungen anstellen über die Frage, ob literarischer Erfolg eines häßlichen Mannes die Frauen darüber hinwegsehen läßt bzw. ob Literatur sexy ist).“
Nun, diese Frage wird nicht weiter verfolgt, vielmehr reist Clara irgendwann ab und Josef ist pleite, einsam, tief erschüttert und völlig vernagelt. Er steht auf der Straße mit nichts als dem Leben, das er bezweifelt. Und da ist plötzlich Ira …
Hans Zengeler erzählt in einem sicheren, unspektakulären, makellosen Stil, der es mir unmöglich macht, zwischendrin einen Kaffee zu kochen. Er zieht mich hinein in Josefs Suche und Josefs Kopf, dass mir nichts übrig bleibt, als sein Unglück, seine Größenphantasien, sein Berauschtsein, seinen Schmerz zu teilen. So, genau so, sollte ein Roman sein!
Anne Kuhlmeyer
Hans Zengeler: Die größte Liebe aller Zeiten
. Roman. Mainz: VAT Verlag André Thiele 2013. 200 Seiten. Gebunden inklusive eBook. 19,90 Euro. Zur Homepage des Autors. Verlagsinformationen zum Buch. Eine Leseprobe gibts hier.