Geschrieben am 20. Februar 2013 von für Litmag

Miniatur: Anne Kuhlmeyer: Rollenspiele

Anne_KuhlmayerRollenspiele

– Eine Alltags-Story von Anne Kuhlmeyer.

Es ist sechs Uhr morgens, Birgit sammelt vor dem Haus die Dachpfannen ein, die der Sturm heruntergerissen hat. Sie wohnt jetzt oben. Hoffentlich regnet es nicht rein. Ich trete zu ihr, bin noch im Bademantel und schaue hoch. Mein Oberstübchen ist in Ordnung. Gott sei Dank.

„Willst’e ’n Roten?“
Birgit ist meine Nachbarin und wir trinken auch schon mal ’n Roten zusammen. Nur nicht morgens um sechs. Bis jetzt nicht.

„Ich muss gleich …“ Zur Arbeit, wollte ich sagen, doch sie ist schneller.

„Ja, da hab ich’s besser, seit Rainer tot is.“ Sie kehrt ein bisschen flotter, obwohl sie nicht mehr zur Arbeit muss und die Kinder aus dem Haus sind, dass nicht mehr ihr gehört.

Rainer hing voriges Jahr in der Garage. Wir haben gar nicht gemerkt, dass es ihm nicht so gut ging. Er war ein großer, starker Mann. Außerdem hatte er seit Monaten krank gefeiert, auf Burn-out. Er sah auch gar nicht krank aus. Birgit konnte dann die Hypothek nicht mehr zahlen.

Stattdessen zahlt das Amt die Miete, sie macht den Garten, passt auf die Kinder von den Leuten auf, die das Haus gekauft haben. (Sie darf ja nicht dazuverdienen, wegen Hartz IV.) Eine Arbeit hat sie nicht mehr bekommen, früher war sie Erzieherin, aber als die Kinder kamen, musste sie aufhören, hat später nur ein paar Stunden in der Woche dazuverdient.

„Hast du das eigentlich im Fernsehen gesehen?“ Birgit schiebt Scherben auf ein Kehrblech. „Das mit diesem Politiker, der eine junge Frau angegraben …? In dem Jauch seiner Sendung? Im Internet stand es auch.“

Ich überlege, ob ich mich für die Sexismusdebatte, den Roten oder die Dusche entscheiden soll. Eigentlich wollte ich ja nur nach möglichen Sturmschäden gucken.

„Nee“, sag ich. „Hab ich nich gesehen.“

„Du interessierst dich auch für gar nichts mehr. Man muss mal über den Tellerrand schauen.“ Seit Birgit unterm Dach wohnt, hat sie einen anderen Blick.

„Hömma“, sagt sie. „Das so einer das nötig hat!“

„Ach, was“, sag ich. „Das is doch nur …“

„Ich finde, wir müssen unsere Weiblichkeit viel mehr … Da kann doch nicht jeder Hans und Franz … und wenn er zehn Mal Politiker oder König oder was is. Ha!“ Kampfgeist und Roter blitzen in ihren Augen, sie hat sich ganz schön bedient an der Flasche.

„Birgit“, sag ich. „Ich muss jetzt los.“

„Kannste nich mal ’n Tag frei nehmen? Ich hab noch ein Sektchen zum Frühstück.“ Sie blinzelt mir zu. „Du bist doch jetzt selbständig.“

Ja. Nachdem mich eine Lungenentzündung meines Büros beraubt hat, in dem ich fünfzehn Jahre gearbeitet habe. Personal musste abgebaut werden. Hinterher haben sie mich um meine Mitarbeit gebeten, wegen meiner Kompetenz. Als AußendienstlerIn. Doppelte Arbeitszeit, dafür Provisionen, aber wenn ich gut wäre … Ich will mich nicht beklagen.

„Ich bin mein eigener Herr, immerhin. Nur …“

„HerrIn, meinst du wohl?!“

Ob das jetzt das ist, was Birgit politisch korrekt formulieren wollte?

„Jedenfalls muss ich los. Lange Fahrt.“ Ich bin schon in Gedanken im Stau.

„Was machst’n du eigentlich genau?“

„Ich verkaufe … ähm … Bücher.“

„Dann bring mir mal eins mit.“

Sollte ich ihr sagen, dass ich kunstvoll gestaltete, aus erlesenen Materialien gearbeitete Bibeln einem ausgewählten Käuferpublikum als sichere Geldanlage vorstelle? 1200,- Euro das Exemplar. Oder unsere Gesamtausgabe von … Unser Konzern ist ganz begeistert.

„Das Wetter soll ja wieder ruhiger werden“, sag ich. Themenwechsel. (Sie haben mir sogar ein Rhetorikseminar bezahlt.)

„Ein Segen. Ich habe gebetet dafür.“ Die Scherben vom Dach sind im Eimer. Birgit nimmt noch einen Schluck für den Weg. „Kommst du am Sonntag zum Hochamt?“

„Ist denn Hochamt? Jetzt, wo der Papst in Rente geht?“ Ein Scherz. Ich muss los!

„Er geht doch nicht in Rente!“

„Nicht? Ich hab so was in der Zeitung …“

„Ach was! Er heiratet und nimmt seine Familienzeit. Einmal muss das ja sein.“

„Er …“ Jetzt bin ich neugierig. „Wen denn?“

„Na, die Päpstin natürlich.“

„Natürlich.“ Sie kriegen lauter kleine Päpstlein (falls sie nicht von der teillegalisierten „Pille danach“ Gebrauch machen) und leben glücklich ihrem seligen Ende entgegen. Wahrscheinlich werden sie dann von Petra an der Himmelspforte in Empfang genommen „Ist denn nun Hochamt oder nicht?“

„Selbstverständlich. Komm ruhig, du kennst die neue PastorIn noch gar nicht.“

„Eine PastorIn“, sag ich, in unserer katholischen … Ich gucke sie genau an, aber sie lacht kein bisschen „Gott bewahre!“

Die Flasche in Birgits Hand ist leer wie der Tag, der vor ihr liegt.

„Jaha“, sagt sie und strahlt. „Sie hat den Pastor geheiratet.“

Wenn ich nicht wüsste, dass Birgits Einfälle der Einsamkeit, dem Roten und dem übermäßigen Genuss von Soaps und Talkshows geschuldet sein müssen, könnte ich der Idee etwas abgewinnen, aber so sage ich nur: „Herr im Himmel!“, und werfe einen letzten Blick aufs Dach. Alles okay, oberflächlich betrachtet.

„HerrIn!“, verbessert sie mich. „Man muss auch mal über den Tellerrand gucken.“

Nur bei Birgit regnet’s rein. Aber heftig.

Anne Kuhlmeyer

Zur Homepage der Autorin. Zum Blog Wort & Tat von Anne Kuhlmeyer.

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