Friede den Hütten, Krieg den Konsumpalästen:
Der Kaufhausbrand als politisches Symbol
– Am 2. April 1968 legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Diese Brandanschläge gelten als Gründungsakt des bundesdeutschen Terrorismus. Nach Vorläufern und Spuren in Kunst, Literatur und politischem Aktivismus fragt Joe Paul Kroll.
„Spezifica des Warenhauses: die Kunden fühlen sich als Masse; sie werden mit dem Warenlager konfrontiert; sie übersehen alle Stockwerke mit einem Blick; sie zahlen feste Preise; sie können ‚umtauschen‘.“[1]
I.
Das Kaufhaus ist ein zentraler, symbolträchtiger Ort der Moderne, dessen Bedeutung man allenfalls noch als Abglanz erahnt, wenn wieder ein traditionsreiches Einzelhandelsunternehmen in der Krise steckt. Bevor Malls und Outlet-Villages – vom Online-Handel nicht zu reden – ihre Dominanz in Frage stellten, standen die großen Warenhäuser unangefochten für die dem Konsum zugewandte Seite des Kapitalismus: Weltausstellungen en miniature, für jedermann zugänglich und doch untereinander so subtil nach Klassen geordnet, wie sie jeweils funktionsgleiche Gegenstände in unterschiedlichen „Qualitäten“ bereithielten. So begann ein Wechselspiel von Standardisierung und Spezialisierung, das bis heute für die kapitalistische Warenwelt bestimmend ist.
Die vermeintliche Urszene des bundesdeutschen Terrorismus hätte sich also näher an den Zentren der politischen oder wirtschaftlichen Macht abspielen können, aber wohl kaum an einem prägnanteren Ort: Vor 45 Jahren, in der Nacht des 2. April 1968, brannten in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden. Die Brandsätze hatten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Söhnlein und Thorwald Proll gelegt. Der anschließende Prozess begründete das Bild der Täter als etwas übermütige, aber gesinnungsfromme Idealisten, das in manchen Kreisen auch die zweite Urszene, die Befreiung Andreas Baaders und den endgültigen Gang in den Untergrund als „Rote Armee Fraktion“, überdauerte.
Es war vielleicht gerade das 1968 noch nicht abzusehende Verhängnis, das dem Anfang zurückblickend eine gewisse Faszination verleiht – nicht als Ausgangspunkt einer unentrinnbaren, tragischen Entwicklung, sondern als ein Augenblick noch vor der Wegscheide, an dem noch alles offen schien. Das Attentat auf ein Warenhaus als Verzweiflungsschlag hat jedoch eine Vor- und eine Nachgeschichte, die erlauben, es in eine Tradition symbolischer Handlungen zwischen Kunst und Politik einzuordnen.
Um dieser Geschichte auf die Spur zu kommen, muss zunächst etwas weiter ausgeholt werden. 1999 – man wähnte sich noch in der Sicherheit des „Endes der Geschichte“ – diskutierte das „popliterarische Quintett“ Möglichkeiten zum Ausbruch aus der zeitgenössischen Uneigentlichkeit, der Hölle der allgegenwärtigen Ironie. Wie, fragten sich die im Hotel Adlon versammelten Autoren, könnte wieder Haltung gezeigt, Ernst gemacht werden? Nachdem man zunächst die Religion erwogen hatte, entspann sich folgender Austausch:
Christian Kracht: Es gibt noch einen anderen Ausweg, und das ist wiederum der Krieg.
Joachim Bessing: Von innen bomben. Das wäre mein Vorschlag. […] Ich glaube eben die Bombardierung der Stätten des Falschen von innen heraus wird die Zukunft sein.
Alexander v. Schönburg: Interessant. Eine neue Form des urbanen Terrorismus als Anti-Konsum-Terror […].[2]
Bemerkenswert ist, vom Irrtum über die Neuigkeit dieser Form des Terrors abgesehen, wie ein ähnliches Szenario anderswo literarisch verwirklicht wird. In Uwe Tellkamps 2005 erschienenem Roman „Der Eisvogel“[3] geht es um eine rechte Terrororganisation, die einen Anschlag auf das Berliner KaDeWe plant. Manche Kritiker und wohl auch Teile des Publikums fragten sich damals, ob die Geschichte um einen sich formierenden radikal-elitären Untergrund nicht affirmative Züge trüge. Graben wir etwas in der Zeitgeist-Schutthalde der mittleren Nullerjahre: Angesichts der zu erwartenden Abwahl der rot-grünen Regierung wurde in den Feuilletons, ob in Furcht oder Hoffnung, nach Vorzeichen einer zweiten „geistig-moralischen Wende“ Ausschau gehalten. Das 68er-Bashing erlebte schon vor dem 40. Jahrestag eine erste Kulmination, etwa in Gestalt von Sophie Dannenbergs Roman „Das bleiche Herz der Revolution“. Passend dazu sollte der neue Konservatismus gar als Jugendkultur[4] dingfest gemacht werden.
Vor diesem Hintergrund steht nicht nur die heftig geführte Diskussion um Tellkamps Roman, sondern in gewisser Weise auch die darin geführte Auseinandersetzung seiner Protagonisten mit 1968. Angesichts der Rhetorik, mit der die Gruppe „Cassiopeia“ die Platzierung ihrer Brandsätze im Herz der Konsumkultur umgibt, mag man zunächst an die Bombe denken, die Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 in das Besprechungszimmer der „Wolfsschanze“ trug. Mitunter hat man dieses gescheiterte Attentat als letztes Gefecht eines sich im Geiste Stefan Georges versammelten „geheimen Deutschland“ verstanden, und dieser elitär-bündische Gestus prägt auch die von Tellkamp erdachte Terrororganisation.
Doch wenn es heißt: „Wer oder was Adolf Hitler ist, bestimmen wir“ (309), lässt sich auch eine andere Verbindung ziehen. Die Putativnotwehr gegen den Faschismus gehörte zum rhetorischen Inventar der Außerparlamentarischen Opposition, die im gesamten Roman als Vorbild und Hassobjekt zugleich fungiert. Die Rede ist vom nachwirkenden „Morbus 68“ (113), doch sei damals immerhin noch etwas gelaufen. „Ich hasse sie, nicht ihre Methoden“ (258), sagt einer, der aus Ungenügen an einer platten Welt des Entertainment, die unfähig zu Metaphysik oder großen Gedanken sei, zum Terroristen geworden ist.
Die Gedanken der jungkonservativen Bombenleger überschneiden sich auf frappierende Weise mit manchen Äußerungen des „popliterarischen Quintetts“. So erinnert sich der verkrachte Philosoph Wiggo Ritter: „ich haßte Ironie“ (28); und der Anführer der Gruppe, Mauritz Kaltmeister genannt, lobt den Krieg: „Die geistig Tätigen brauchen ihn, denn dann wird ihre Stimme wieder Gewicht haben“ (79). Bei der Planung des Attentats steht nicht der zu erwartende politische Erfolg im Vordergrund, sondern seine therapeutische Wirkung. „Gewalt erschien mir als die einzige Möglichkeit, zu Luft zu kommen, wieder atmen zu können“ (248), sagt Ritter, und Kaltmeister begreift den Terror als Mittel gegen die Langeweile: „Man muß es durchbrechen, dieses ewige Einerlei, dieses Immergleiche, es muß durchbrochen werden, wenn es wirklich zu einer Wiedergeburt kommen soll – ja, wovon?“ (196). Kaltmeister weiß es nicht. Er weiß nur: Wiedergeburt ist das Ziel, Terror das Mittel. Sicut erat in principio, so macht man das eben, denn so haben es – mit anderen Schlagworten, aber dem Prinzip nach gleich – die 68er vorgemacht. Sie sind das Vorbild, an denen Kaltmeister sich ebenso abarbeitet wie der von seinem sicher im Establishment angekommenen 68er-Vater geringgeschätzte Wiggo Ritter.
Was 2012 als „Nationalsozialistischer Untergrund“ allzu spät bekannt wurde, war ungleich hässlicher und brutaler als die von Tellkamp erdachten Ästheten an Lunte und Abzug. Keine Skrupel schienen die Mordlust der drei Zwickauer zurückzuhalten. Keine geistes- und literaturgeschichtliche Kontextualisierung bot sich zu ihrer Zähmung an, keine Manifeste heischten um intellektuelle Anerkennung. An dem blutigen Ernst gab es nichts zu verklären. Es gab nur das berüchtigte Video, das den „Rosaroten Panther“ gleichsam über Leichen gehen lässt. Die Pathologie des Ernstmachens, die Tellkamp beschreibt, steht dagegen immer schon in einem intellektuellen, literarischen Bezugsrahmen. „Der Eisvogel“ beschreibt ein Bedürfnis nach der radikalen, aus aller Unentschlossenheit befreienden Tat: „Endgültigkeit, Schlussmachenkönnen, Unwiderruflichkeit, es war die Reinheit der Entscheidung“ (288). Bei aller expliziten Anlehnung an Positionen der sogenannten „konservativen Revolution“ ist dies ein Pathos, das politisch beliebig besetzt werden kann.
II.
2005 diskutierte man eine eher künstlerisch denn politisch gemeinte (aber eben deswegen keineswegs unpolitische) RAF-Ausstellung, der man wahlweise die letzte Stufe „Verpoppung“ (Bettina Röhl) des bundesrepublikanischen Terrors vorwarf oder die man vorsichtig als deren Überwindung lobte. In jenem Jahr erschienen, ist Tellkamps „Eisvogel“ ein bemerkenswertes Zeugnis für das Fortleben des Kaufhausbrandes, nun als literarisches Motiv für die Hinwendung zu einem neuen Ernst. Dass die Ironie zu Ende sei, wird im Zyklus kultureller Konjunkturen immer wieder proklamiert; zu solchen periodischen Hygienemaßnahmen gehört – so bereits Marinetti 1909 im „futuristischen Manifest“ – der Krieg, je nach Gusto auch die Revolution. Die Rückkehr des Politischen wird im Pop zum beliebig einsetzbaren Zitat, der große Ernst ist romantische Pose.
Dass der Spaß nun vorbei sei, erging bald nach dem 11. September 2001 die Mahnung an die Popliteratur. Doch deren Kritiker nahmen nicht wahr, wie die Ironie und ihre scheinbare Überwindung, die radikale Aktion, schon literarisch durchexerziert worden waren. „Irony is over“ wurde der Pulp-Song „The Day After The Revolution“ auf dem Umschlag der von Kracht herausgegebenen Anthologie „Mesopotamia“ (1999) zitiert, und im Motiv des Terrors im Kaufhaus vollzieht sich der Abschied der Popliteratur von der Ironie und ihre Hinwendung zum tödlichen Ernst selbst uneigentlich, ironisch. In seinen literarischen Nachvollzügen erscheint der Kaufhausbrand stilistisch als Pathosformel, im Rahmen der Handlung als Ausdruck einer Verlegenheit. Wo das Ernstmachen nur als unverbindliches Zitat möglich ist, findet es unter Bedingungen der verhassten Ironie statt und ahnt sein Scheitern voraus.
Ob nun von Links oder Rechts, der Anschlag auf das Warenhaus erscheint zunächst als unmittelbarer Anschlag auf eine Moderne, die sich nur noch über die Ware definiert. Sozial- und wirtschaftsgeschichtlich betrachtet ist das Kaufhaus aber gerade der Ort, an dem immer schon die Innovationen der Avantgarde und der Geschmack der Oberschicht – gerade in der Mode – massentauglich aufbereitet wurden. Es ist der Ort der Veralltäglichung und Kommerzialisierung. Diese aber setzen dem Terror schon von Anfang an zu: Der Kaufhausbrandprozess wurde zur Inszenierung; die Verteidigung entschärfte den vermeintlich heiligen Ernst zu fehlgeleitetem Idealismus. So wird deutlich, warum die RAF glaubte, einer zweiten Gründung zu bedürfen: der Befreiung Baaders und der Gang in den Untergrund. Ernst wurde es, als Menschen starben: Ernst und Tod bedingten einander.
Ernst wurde es aber auch, als die Bilder der Täter ausblieben und diese nur die verwüsteten Tatorte zurückließen. Die RAF erreichte den ersten Höhepunkt ihrer Macht – und Macht heißt in diesem Zusammenhang schlicht die Erzeugung von Furcht – indem sie unsichtbar wurde; eine Strategie, die Subcommandante Marcos oder die maskierten ETA-Spitzen wiederum für die politische Ikonographie entdeckten. Zurückblickend erwies sich hingegen gerade Andreas Baader als geeignet, zur post-politischen Popikone mit cooler Lederjacke und Autoritätsproblem zu werden, auch wenn die Macher von Filmen wie „Baader“ oder „Der Baader-Meinhof-Komplex“ beteuern mögen, es anders gemeint zu haben. Wie sehr die Macht der Bilder dem Terrorismus dient und ihn zugleich neutralisiert, zeigt sich, wenn Kracht die Taliban als „camp“[5] bezeichnet, Klaus Theweleit gar von bin Laden als „reine[m] Popmythos“ redet. Der ärgste Schrecken ist jener, der weder greif- noch sichtbar ist.
III.
Fast ein Jahr vor Frankfurter Brandstiftung, am 21. Mai 1967, kamen bei einem Großfeuer im Brüsseler Kaufhaus „A l’Innovation“ 323 Menschen ums Leben kamen. Der Brand fiel mit einer Sonderschau amerikanischer Waren und mit Protesten gegen den Vietnamkrieg zusammen, doch seine Ursachen und Hintergründe wurden nie abschließend geklärt. Das hinderte die in Berlin aktive „Kommune I“ nicht darin, sich mit der politischen Sache der vermeintlichen Brandstifter gemein zu machen. Ein Flugblatt gab vor, einen belgischen Maoisten mit einer Art Geständnis zu zitieren: „Wir kamen daher auf diese Form eines Happenings, die die Schwierigkeiten, sich die Zustände beispielsweise in Hanoi während eines amerikanischen Bombenangriffs vorzustellen, beheben sollte.“ In der Erinnerung des Kommunarden Ulrich Enzensberger klingt das anders; man habe die Täter nicht gekannt: „Wir waren sofort überzeugt, dass das eine Falschmeldung war. Wir hielten es für völlig ausgeschlossen, dass Vietnamkriegsgegner das Kaufhaus angezündet hatten.“ Auch das nächste Flugblatt der Kommune I sucht wieder Distanz: Das Attentat sei den Aktivisten „angedichtet“ worden, denn diese seien – leichte Stichelei unter Genossen? – zu einer solchen Tat gar nicht in der Lage gewesen. Zugleich zog man den Hut vor „dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt“.
Im nächsten Flugblatt dann ein weiterer Schwenk:
„Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergiessen. Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an.“
Die Staatsanwaltschaft sah in diesen Pamphleten, den Flugblättern 6–9 der Kommune I, eine Anstiftung zur lebensgefährlichen Brandstiftung. Doch im anschließenden Prozess befand der als Gutachter hinzugezogene Religionswissenschaftler Jacob Taubes nach einer Einordnung der Flugschrift in die Tradition des Surrealismus: „Aber nur auf den Schock [des Aufrufs], nicht auf das Vollbringen der gewaltsamen Handlung selbst kommt es an.“[6] Die Angeklagten der Kommune I wurden freigesprochen. Taubes hatte etwas Wesentliches der Situation erfasst, nicht aber deren Potential, nämlich das aus ihr erwachsende Bedürfnis, über den ästhetischen Schock hinauszugehen. Dieses wurde in Frankfurt, in der Nacht des 3. April 1968, zugleich erfüllt und enttäuscht.
Was im Zusammenhang mit Taubes’ Gutachten an der ersten Reaktion der Kommune I auf den Brüsseler Kaufhausbrand besonders auffällt, ist der Begriff des „Happening“. Denn hier wird explizit Bezug auf eine Ahnenreihe der provokanten Aktionskunst genommen, die Taubes im Surrealismus verortet, die sich aber noch treffender mit der Situationistischen Internationale und deren Ablegern verbinden ließe: Eine Tradition der angewandten Kapitalismuskritik am Objekt des Warenhauses, die zur fraglichen Zeit gerade in Blüte stand. Das Kaufhaus zum Ziel solcher Aktionen zu machen, ob gewaltsam oder nicht, will etwa anderes kommunizieren, als es etwa die Wahl einer Fabrik täte. Verbraucher, Konsument zu sein, ist im heutigen Kapitalismus das, was einst die Proletarisierung aller hieß, das Schicksal des Großteils der Menschheit. Die Ware selbst ist unerheblich, sofern sie nicht über sich hinausweist. „Der wirkliche Konsument wird zu einem Konsumenten von Illusionen“, schrieb Guy Debord 1967. Das ist das „Falsche“, von dem in „Tristesse Royale“ die Rede ist.
In diesem Geiste fanden auch die ersten Happenings in Kaufhäusern statt: So etwa ein „mill-in“, eine Sabotage des Betriebs im New Yorker Kaufhaus „Macy’s“. Urheber war die anarchistische Gruppe „Black Mask“. Dies inspirierte wenig später die legendäre Aktion der Gruppe „King Mob“ 1968 bei „Selfridges“ in London, wo ein Aktivist (die hartnäckige Legende, es habe sich dabei um Malcolm McLaren gehandelt, findet nirgends Bestätigung) Spielzeug an Kinder verteilte, das die Polizei anschließend unter Tränen konfiszieren musste. King Mob verstand jedoch auch den Mordversuch der Valerie Solanas an Andy Warhol als Fanal und setzte u. a. David Hockney und Mick Jagger auf eine Abschussliste, ohne dass jedoch Taten gefolgt wären. King Mob waren selbst schon in jeder Hinsicht Nachahmer.
Denn mit dem tödlichen Brand in Brüssel war ein Kaufhaus bereits zum Schauplatz von etwas geworden, das längst nicht mehr als fröhlich-subversives Happening zu bezeichnen war. Das Kaufhaus als Aktionsort hatte seinen Charakter geändert. Man könnte in der Differenz zwischen der King-Mob-Aktion und den Kaufhausbrandstiftungen auch das erkennen, was Peter Sloterdijk die zwei Aspekte der „Dada-Attacke“ genannt hat bzw. jene diesen zuordnen: „einen kynischen und einen zynischen“[7], d.h. einen verspielten, kreativen, ironischen einerseits und einen hasserfüllten, destruktiven, unironischen andererseits. Das ist nicht zwingend als zeitliche Abfolge zu verstehen, doch folgt die Destruktion nicht selten auf das Scheitern subtilerer Mittel und macht diese obsolet.
Mit diesem destruktiven Charakter mag auch das drückende Bewusstsein des eigenen Epigonentums zusammenhängen. Die Angst, keine adäquaten künstlerischen Ausdrucksmittel zu besitzen, beschleicht auch deren Pioniere, sobald die Innovationen zu Gemeingut verkommen. Guy Debord, Mitbegründer der Situationistischen Internationale, sah seine Ideen nach dem Ausbleiben einer Revolution im Mai 1968 zu wertlosen Versatzstücken verkommen. Greil Marcus beschreibt diese Verzwiflung in Begriffen, die an Hofmannsthals „Chandos-Brief“ erinnern: „As with the already old slogans the LI [Lettrist International] put on Paris walls in 1953, those who tried to carry on this coversation into the next decade soon found that the phrases they were condemned to use were barely language at all.“[8] Die zur „revolutionary commodity“ (406) herabgesunkene Situationistische Internationale löste sich 1972 endgültig auf; ihre Kunst lebte fort als „dead letters from a mythical time“ (408). Aber mit der „mythischen Zeit“ (Mircea Eliade) ist es so eine Sache: Denn nichts verfällt in ihr, alles ist in ihr aufgehoben, und es ist nicht so sehr wiederholbar als auf Abruf zu vergegenwärtigen. Das jedenfalls ist der magische Sinn ritueller Handlungen. Faktisch handelt es sich dabei um Beschwörungen.
IV.
Peter Rühmkorf bezeichnete die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung als den Beginn des „spukhaften Spektakels“[9], welches die RAF veranstaltet habe – eine hübsche Pointe, bedenkt man die Querverbindungen zu Guy Debords Kritik an der „Gesellschaft des Spektakels“. Doch verstanden habe die Symbolik nur das auf Symbollesen spezialisierte Bildungsbürgertum, nicht die proletarische Zielgruppe. Es sei daraus schließlich „das modernste und radikalte Aktionstheater der Bundesrepublik“ geworden. Solche Aussagen mag man selbst als avantgardistische Provokationen abtun. Doch Baader, Ensslin und die anderen könnten die Gefahr verspürt haben, nach dem Kaufhausbrand und dem anschließenden Prozess zu Theaterkaspern zu verkommen. Nicht erst durch Gegendruck des Systems, sondern schon aus der Vergeblichkeit einer – durchaus nicht künstlerischen, aber in ästhetischen Begriffen greifbaren – Aktion heraus verhärtete sich der tödliche Zwang, Ernst zu machen. Dies geschah im permanenten Ausnahmezustand des Untergrunds. An den zunächst als lustige Bürgerschrecke in Erscheinung getretenen Mitgliedern der Kommune I lässt sich eine ähnliche Entwicklung feststellen. Beispielhaft hierfür steht Dieter Kunzelmanns Gründung der Tupamaros West-Berlin, die u. a. einen Anschlag auf das dortige Jüdische Gemeindehaus versuchten. Auch Kunzelmann gehörte übrigens der Situationistischen Internationale an – eine weitere Randnotiz zu einer geheimen Geschichte des letzten Jahrhunderts.
Die RAF hat insgesamt einen Überschuss an symbolischer Politik bzw. Politiksymbolen generiert. Dazu gehört auch der Kaufhausbrand von 1968. „Die Zeitgeschichte fungiert im Falle der RAF wie ein Supermarkt oder ein Steinbruch, in dem sich diejenigen, die sich als Popartisten in Kunst, Mode, Theater, Musik und Literatur Aufmerksamkeit verschaffen wollen, nach Belieben glauben bedienen zu können“, schreibt Wolfgang Kraushaar (40). Der Vergleich des symbolischen Inventars der RAF mit einem Supermarkt gibt der Symbolik des Kaufhausbrandes noch eine Drehung, wenn auch nicht die letzte. Denn am Kaufhausbrand zeigt sich auch, wie „das Faszinosum Untergrundkampf […] wohl auch unabhängig von seinem jeweiligen politischen Kontext fortexistieren wird“ (41).
Doch stehen solche Anverwandlungen selbst in einer Folge von Rückgriffen. Helmut Lethen schloss seine 1995 erschienenen „Verhaltenslehren der Kälte“ mit der These, die Gegenkultur der ausgehenden sechziger Jahre habe sich in einen authentizitätsverliebten und in einen paramilitärischen Flügel gespalten[10], wobei Letzterer auf die „kalten“ Lebensformen der Weimarer Zeit zurückgegriffen habe: das Leben im Untergrund, die Unbehaustheit, die permanente Mobilität, aber auch die Selbstinszenierung; kurz, das Leben des Stadtguerilleros. (In diesem Zusammenhang erinnert man sich vielleicht, dass der Untergrundkommandant und charismatische Tatmensch in Tellkamps „Eisvogel“ den Namen „Kaltmeister“ trägt.) Doch die Aneignung des „linken“ Kaufhausbrandes durch die Rechte beschränkt sich ebenso wenig wie Lethens Thesen auf die bloße Feststellung der sich berührenden Extreme. Die Wahl des Kaufhauses als Anschlagsziel ist ebenso wenig Zufall wie die Vielseitigkeit des Kaufhausbrandes als Symbol, einschließlich dessen politischer Offenheit. Als Symbol des Ernstmachens hat er Eingang gefunden in ein Repertoire der Gesten, die dem Komplex „Terrorismus“ zugeordnet sind. Indessen hat sich gezeigt, dass der Terrorismus das Ernstmachen nicht erst beschwören muss.
Joe Paul Kroll
[1] Walter Benjamin: Das Passagen-Werk (Gesammelte Schriften V.1). Frankfurt am Main: Suhrkamp (1982) 1991. S. 108.
[2] Joachim Bessing (Hg.): Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre. München: List (1999) 2001. S. 156.
[3] Uwe Tellkamp: Der Eisvogel. Berlin: Rowohlt Berlin, 2005. Zitate im Text nach dieser Ausgabe, ([Seitenzahl])
[4] Der hier verlinkte Artikel erschien tatsächlich bereits am 1. Juli 2005 im SZ-Magazin.
[5] Christian Kracht: „Ich möchte ein Bilderverbot haben“ (Interview mit Volker Weidermann und Edo Reents). Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30. September 2001, S. 27.
[6] Jacob Taubes: „Surrealistische Provokation: Ein Gutachten zur Anklageschrift im Prozess Langhans-Teufel über die Flugblätter der ,Kommune 1‘“. Merkur Nr. 236 (November 1967), S. 1069-1079, hier: S. 1075.
[7] Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983, S. 717.
[8] Greil Marcus: Lipstick Traces. A Secret History of the Twentieth Century. Cambridge, MA: Harvard University Press (1989) 2009. S. 406. Weitere Zitate im Text nach dieser Ausgabe, ([Seitenzahl]).
[9] Zitiert nach Wolfgang Kraushaar (Hg.): Die RAF. Entmythologisierung einer terroristischen Organisation. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2008. S. 16. Weitere Zitate im Text nach dieser Ausgabe, ([Seitenzahl]).
[10] Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 268f.