Geschrieben am 25. Mai 2013 von für Bücher, Crimemag

Olen Steinhauer: Die Spinne

146_26821_130379_xxlFür kompetente Leser

– Als wir Milo Weaver in „Der Tourist“ kennenlernten, war er fertig und ausgebrannt, in „Last Exit“ hatte er glatt einen Auftrag sabotiert und jetzt, in „Die Spinne“, darf er nicht seinen Rückzug genießen, sondern muss wieder in die Eisen steigen. Mit der Weaver-Trilogie hat Olen Steinhauer den guten, alten, klassischen Spionageroman wieder zum Leben erweckt. Ein paar Bemerkungen von Thomas Wörtche.

Polit-Thriller sind ein bisschen die Rolls-Royce der Kriminalliteratur. Sieht man von ein paar schlichten patriotischen Gemütern wie Tom Clancy ab, so sind Polit-Thriller die Domäne brillanter Köpfe und brillanter Schriftsteller: Eric Ambler, Graham Greene, John le Carré, Ross Thomas, Robert Littell, Jenny Siler, um nur ein paar zu nennen. In diese noble Reihe hat sich in den letzten Jahren der seit geraumer Zeit in Europa lebende Amerikaner Olen Steinhauer hineingeschrieben. Neo-klassisch, könnte man fast sagen, denn seine bisher drei Romane um den US-Agenten Milo Weaver entsprechen am ehesten dem, was man früher „Spionageroman“ nannte, und was angeblich nach dem Ende des Kalten Krieges aufhörte, wichtige Bücher hervorzubringen.

„Die Spinne“, der letzte Teil („Der Tourist“ und „Last Exit“ hießen die beiden anderen) der Trilogie greift ein klassisches Sujet des Subgenres auf: Wie diskreditiert man am besten in einem Geheimdienst die interne Konkurrenz, vor allem, wenn man potentiell schon längst für die andere Seite arbeitet? Le Carrés erster großer Erfolg, „Der Spion, der aus der Kälte kam“, drehte sich um diese Technik, die die großen moralischen Felder von Loyalität und Verrat, Integrität und Korruption sowie Staatsraison und Ethik als Spielfeld braucht. Olen Steinhauer transponiert diese universalen Fragen ins Hier und Heute.

„Die Touristen“, so heißt Milo Weavers ultrageheimer US-Geheimdienst, wird heftig angegriffen, seine Leute dezimiert. Die Gründe dafür liegen in einer der bösartigen „Touristen“-Operationen, von denen die anderen beiden Bände berichten und von denen man zum Verständnis „Der Spinne“ nur wissen muss, dass sie den Tod des Sohnes von Xin Zhu, eines chinesischen Geheimdienst-Granden zur Folge hatten. Deswegen sehen die Liquidationen nach einem Rachefeldzug aus. Die überlebenden Touristen, darunter eben auch der grüblerische Milo Weaver, der sich eigentlich schon im Ruhestand wähnte, versuchen, einen Gegenangriff zu starten. Aber die wirklich interessanten Schachzüge finden in der chinesischen Politik statt – dort, wo sich Geheimdienste und andere Kader erbitterte Kämpfe um die Macht im Staate liefern.

Eine schöne Eigenschaft von Polit-Thrillern ist die Komplexität ihrer Story, die man lieber nicht nachzuerzählen versuchen sollte. Hier würde man sich heillos verwickeln in der machiavellistischen Raffinesse des chinesischen Machtkampfes, in den lichtarmen Dschungeln der amerikanischen Geheimdienstrivalitäten, in den undurchsichtigen Winkelzügen der Realpolitik, die mit Menschenschicksalen und Menschenleben umgeht wie mit Chips beim Glücksspiel. Milo Weaver, seine Familie, seine Freunde, sein ganzes Umfeld – sie alle geraten nolens volens in Kräftefelder, in denen Individuen nur überleben können, wenn sie viel Glück haben oder sehr clever und kompetent sind.

Olen Steinhauer (2010)

Steinhauers elegantes Erzählen, das vor allem mit intelligentem Überlagern von Zeitebenen und Erzählperspektiven arbeitet, die – wie die erzählte Handlung auch – erst peu à peu enthüllen und preisgeben, um was es geht, fordert den cleveren und kompetenten Leser. Das Erzählen selbst demonstriert, dass dasselbe Ereignis aus unterschiedlicher Perspektive oder aus unterschiedlichem zeitlichen Abstand wahrgenommen, zu völlig anderen Erkenntnissen führen kann, als auf den ersten Blick evident zu sein scheint.

Aber keine Sorge, Steinhauers Geschichte verkompliziert Dinge nicht unnötig, sie möchte nur mit Verstand und Aufmerksamkeit gelesen werden. Dann belohnt uns die Lektüre auch prächtig: Mit einem klaren Blick auf die politischen Realitäten unserer Zeit etwa, in denen der amerikanisch-chinesische Antagonismus eine immer wichtigere Rolle spielt. Dass Steinhauer die Handlungspattern des klassischen Kalten-Kriegs-Spionageromans mit neuem Leben und Sinn erfüllen kann (und eben nicht im Retro-Modus erzählt), zeigt, dass sie als Beschreibungsmuster eines analogen Konflikts taugen. Und wenn die Leichen gezählt sind, die menschlichen „Kollateralschäden“ betrauert, die realpolitischen Gewinne und Verluste bilanziert sind, dann ist auch klar, dass eine moralische Superiorität einer Seite über die andere zu behaupten, die reine Ideologie wäre. Auch an diesem Punkt steht Steinhauer fest in der Tradition der Skeptiker und produktiven Paranoiker des Genres. Gut für den Spionageroman, gut für uns Leser.

Thomas Wörtche

Olen Steinhauer: Die Spinne (An American Spy, 2012). Roman. Deutsch von Friedrich Mader. München: Heyne 2013. 490 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Foto: wikimedia commons, Vadas Róbert (Vadaro).

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