Ein neuer Spenser
Seit einiger Zeit ist Spenser zurück auf dem deutschen Buchmarkt. Anlass für einen liebevoll nostalgischen Rückblick und eine freudige Rezension für Joachim Feldmann.
Es wird in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein, da tauchte der hartgesottene Ermittler wieder auf. Um ehrlich zu sein: So ganz verschwunden war er nie gewesen, der nach außen taffe, eigentlich aber ziemlich sentimentale Knochen in der Philip-Marlowe-Nachfolge. Erst 1976 hatte Ross Macdonald (1918 – 1983) seinen Lew Archer zum letzten Mal die Abgründe finsterer Familiengeheimnisse erforschen lassen (The Blue Hammer, dt. Der blaue Hammer, 1978). Doch nun waren es relativ junge Autoren, die das Genre einer gründlichen Modernisierung unterzogen. Dabei orientierten sie sich nicht nur an mittlerweile kanonisierten Klassikern wie Hammett, Chandler oder Macdonald, sondern ließen sich auch von einem literarischen Rowdy wie Mickey Spillane, dem seine ebenso erfolgreichen wie brutalen Mike Hammer-Romane einen finanziell durchaus lukrativen Paria-Status eingebracht hatten, beeinflussen. Und sie waren erfolgreich damit.
Auch hierzulande fanden die Bücher von Loren D. Estleman, Arthur Lyons und Stephen Greenleaf, um nur einige Namen zu nennen, ihre Leser. Natürlich erschienen sie nicht als teures Hardcover, sondern in den Taschenbuchreihen einschlägiger Verlage wie Ullstein (die mit den hässlichen gelben Covern), Bastei-Lübbe oder Goldmann, die vor allem den Bahnhofsbuchhandel versorgten. Seriöse Buchhändlerinnen, deren Krimisortiment sich gewöhnlich auf Rowohlt-Thriller und die hübsch gestalteten Diogenes-Bände beschränkte, pflegten solche Ware nur mit spitzen Fingern anzufassen. Das sollte sich zwar in den kommenden Jahrzehnten gründlich ändern, doch da hatten viele der privaten Ermittler ihre Schnüfflertätigkeit schon wieder eingestellt.
Zumindest für ihre deutschen Leser. Es erscheinen zum Beispiel zwar noch immer neue Amos-Walker-Abenteuer von Estleman in den USA, doch kein hiesiger Verlag scheint willens, sie übersetzen zu lassen.
Ach, der deutschsprachige Markt
Auch Spenser, der seit 1973 in Boston seine Dienste anbietet, wäre längst vom deutschen Buchmarkt verschwunden, hätte sich nicht der Bielefelder Pendragon Verlag seiner angenommen. Mehr als dreißig Romane um den ebenso schlagfertigen wie edelmütigen Privatdetektiv hat der 1932 geborene Robert B. Parker verfasst, die meisten von ihnen erschienen bis in die späten achtziger Jahre hinein in deutscher Übersetzung bei Ullstein, und es gab sogar eine erfolgreiche Fernsehserie. Dann hörte man lange nichts von Spenser, bis Die blonde Witwe (Widow’s Walk, 2002) ein kleines Comeback einleitete.
Inzwischen liegt, zur Freude aller Liebhaber des Genres, mit Hundert Dollar Baby (Hundred-Dollar Baby, 2006) der vierte „Auftrag für Spenser“ bei Pendragon vor. Mehr als zwei Jahrzehnte ist es her, dass die damals fünfzehnjährige April Kyle von Spenser „gerettet“ wurde (Ceremony, 1982, dt. Einen Dollar für die Unschuld, 1983), die Anführungsstriche deshalb, weil der Ermittler den problematischen Teenager in die Hände einer Mrs. Utley gab, um sie vor Schlimmerem zu bewahren. Und Mrs. Utleys Gewerbe war kein ehrbares. Mittlerweile führt April selbst ein Edelbordell in Boston, das allerdings in Schwierigkeiten steckt. Offenbar möchten örtliche Gangster ein Stück vom Kuchen abbekommen. Das zumindest bekommt Spenser von seinem ehemaligen Schützling erzählt. Natürlich ist es kein Problem für ihn, den Fieslingen gemeinsam mit seinem Partner Hawk eine gehörige Abreibung zu verpassen. Spenser ist nämlich mit den Fäusten ebenso gut wie mit dem Mundwerk.
Lügen & Lügen
Doch damit fängt die Geschichte erst an, denn die ganze Wahrheit hat April ihn nicht wissen lassen. Oder, besser gesagt, Spenser steht vor einem komplexen Lügengewebe, dessen Auflösung ihn einiges an Arbeit kosten wird. Zum Glück für den Leser, darf man hier sagen. Denn Robert B. Parker ist ein Meister des ebenso knappen wie prägnanten Dialogs. Und das ist für einen Roman, dessen komplizierter Plot vor allem durch Wortwechsel transportiert wird, nicht unwichtig.
Auch wenn man es angesichts des Umstandes, dass er ein minderjähriges Mädchen einer Puffmutter überantwortet, nicht glauben mag: Spenser ist gewöhnlich ein Muster an politischer Korrektheit. Ein verständnisvoller, literarisch gebildeter Mann, der gerne für seine Lebensgefährtin Susan Silverman kocht, und zu den meisten Dingen eine konsensfähige Meinung vertritt. Leider ist die Welt draußen schlecht und seine Handlungsmöglichkeiten, siehe oben, manchmal begrenzt. Aber so stellten sich die Dinge ja auch schon für Philip Marlowe dar. Vielleicht lässt sich Hundert Dollar Baby deshalb sowohl als Hommage an wie als Parodie auf den klassischen Privatdetektivroman lesen. Ein Vergnügen ist die Lektüre allemal. Und das verdankt sich nicht zuletzt der punktgenauen Übersetzung von Emanuel Bergmann.
Joachim Feldmann
Robert B. Parker: Hundert Dollar Baby. Ein Fall für Spenser (Hundred-Dollar Baby, 2006). Roman.
Deutsch von Emanuel Bergmann.
Bielefeld: Pendragon 2009. 206 Seiten. 9,90 Euro.
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