„Exception culturelle“ oder Hündisches Verhalten
– Die deutschen Kulturjournalisten ziehen wieder einmal den Schwanz ein. Von Wolfram Schütte.
Jedes Mal wenn es um das von den USA vorgeschlagene Konzept eines „freien Welthandels“ oder (wie gegenwärtig) um die Bildung eines amerikanisch-europäischen Handelsraums geht, wünschen die USA, dass alle Bereiche – also auch die Kultur, die in den europäischen Ländern öffentlich gefördert, bzw. subventioniert wird – in dieses wirtschaftliche Konkurrenzsystem integriert wird. Das hätte automatisch zur Folge, dass z.B. die Filmförderung, die öffentlich-rechtlichen Mediensysteme, die Buchpreisbindung etc. gelöscht werden müssten (weil dadurch der sogenannte „freie“ Handel & Wettbewerb verzerrt würde).
Jedes Mal also, wenn die EU aufgefordert wird, mit den USA ökonomisch gemeinsame Sache zu machen, sollen die Europäer ihren spezifischen, historisch gewachsenen Umgang mit ihren jeweiligen Nationalkulturen aufgeben & sich, by the way, auf diesem wie auf allen ökonomischen Bereichen einzig dem „Weltmarkt“ anvertrauen.
Das ist der Augenblick, in dem die deutschen Kultur- & speziell die Filmjournalisten „den Schwanz einziehen“ (falls noch vorhanden.) So war es in der Vergangenheit, so ist es jetzt wieder. Nur ganz wenige – wie die TAZ-Filmkritikerin Cristina Nord – verhalten sich anders als das Gros ihrer Kollegen. Entweder überlassen diese das Kommentarfeld kampf- & widerspruchslos künstlerisch ignoranten Wirtschaftsjournalisten; oder sie machen sich über die Franzosen & deren einheimische Filmproduktion „kleiner Filme“ lustig – was auf andere Art genauso ignorant ist, um nicht „dumm“ zu sagen.
Dumm deshalb, weil die deutschen Filmkritiker es besser wissen könnten, nachdem die ganze Diskussion schon einmal (vor mehr als einem Jahrzehnt) geführt worden ist.
Die schon damals, als es um ein Welthandelsabkommen ging, von den deutschen Kulturjournalisten scheel & verächtlich angesehenen Franzosen, denen ein lächerlicher, arroganter, selbstsüchtiger Nationalismus nachgesagt wurde, hatten damals darauf bestanden, dass der Bereich der Kultur nicht der neoliberalen Ideologie unterworfen wurde. Sie hatten für die europäische Kultur die danach sprichwörtlich gewordene „exception culturelle“ verlangt – eine Schutzzone für die jeweiligen nationalen Kulturen. Ihrer Existenz verdanken sich nicht nur z.B. französische & deutsche Filmproduktionen (wie etwa die Filme Michael Hanekes oder Christian Petzolds) sondern auch die deutsche Buchpreisbindung.
Es war & ist nun wieder die französische Regierung, die unerschütterbar die „exception culturelle“ eingeführt & behauptet hat. Ohne ihre Festigkeit in dieser Frage gäbe es den differenten Reichtum europäischer Kultur längst nicht mehr. Dafür wird sie aber immer wieder von hartnäckig ignoranten deutschen Dummköpfen als egozentrisches Bollwerk eines Kultur-Nationalismus geschmäht – obwohl diese kulturelle Besorgnis der Franzosen ja nicht nur ihrer nationalen Kultur in Film, Funk & Fernsehen, sondern allen anderen europäischen Ländern & deren durch die „exception culturelle“ geschützten Kulturen gleichermaßen zugutekommt.
Das haben z.B. die europäischen Filmregisseure begriffen, die sich ebenso Hilfe suchend wie lautstark fordernd an die französische Regierung gewandt hatten. Aber nicht nur sie. Denn auch die crème de la crème der usamerikanischen Filmregisseure hatte bereits im Vorfeld die Europäer aufgefordert, sich nicht von den USA über den T(e)ich ziehen zu lassen & auf der „exception culturelle“ unter allen Umständen zu bestehen.
Nur die deutschen Kulturjournalisten haben wieder einmal nichts begriffen, geschweige denn, dass sie ihre Regierung aufgefordert hätten, sich in dieser Frage an die Seite der Franzosen zu stellen.
Im Gegenteil: eher jammern sie wie ihre neoliberalen Ideologen in den Wirtschaftsressorts darüber, dass die „starrsinnigen“ Franzosen die europäische Harmonie „stören“ & die ökonomische Verbindung mit den USA „gefährden“, die sich weltwirtschaftlich gegen China richtet – anstatt selbstbewusst Ästhetik & Autonomie des Films gegen dessen Totalökonomisierung zu verteidigen.
Der vorauseilende Gehorsam der deutschen Filmjournalisten ist für einen dissidenten Beobachter ihres alltäglichen Treibens jedoch nicht verwunderlich, wenn auch ärgerlich. Sie haben das neoliberale Credo – nur der Massenerfolg zählt – in ihrer filmjournalistischen Praxis tief verinnerlicht. Was nur eine minoritäre Reichweite hat, wird als des „Elitären verdächtig“ in die dafür eingeführte „arthouse“- Kategorie verschoben & damit neutralisiert. Über die Riesenbudgets, Gewinn & Verlust & die Verkaufsstrategien von „Blockbustern“ oder über die Festivaldramaturgien können sie sich breit & ausführlich in Rage reden, während sogenannte „kleine Filme“ bei ihnen nie groß rauskommen, sondern nur nebenbei behandelt werden.
Statt das (noch lesende) Publikum zu Erkundungsabenteuern im Unversicherbaren & Befremdlichen zu verlocken, zu verleiten & zu animieren, rühren sie lieber die Werbetrommel für den ökonomisch abgesicherten Mainstream. Wie sollten sie da noch ein Faible für die „kulturelle Ausnahme“ haben & für deren fortdauernde Existenzmöglichkeit wider die absehbare Verödung durch das Immergleiche, allgemein Konsumierbare?
Wolfram Schütte