Geschrieben am 26. Juni 2013 von für Comic, Litmag

Julie Birmant und Clement Oubrerie: Pablo. 1. Max Jakob

Julie Birmant und Clement Oubrerie_PabloKunst und Comic

– Der feine Duft von Kunst liegt in der Luft und durchweht die Comiclandschaft. Wobei es schon in gewisser Weise seltsam selbstreferentiell wirkt, wenn sich ein künstlerisches Medium – in diesem Fall der Comic, oder wie derzeit auch gern in Abgrenzung zu vermeintlich flachen oder trivialen Inhalten, „Graphic Novel“ genannt – mit künstlerischen Mitteln versucht einem anderen Medium – in diesem Fall der bildenden Kunst – zu nähern. Die Verlage Reprodukt und Avant haben dieses Jahr begonnen einige Comics, deren Sujet die bildende Kunst ist, auf den Markt zu bringen. Von Hanspeter Ludwig

Die erste Graphic Novel aus dieser Reihe heißt „Pablo“ und, klar, es handelt sich um den vermutlich bekanntesten und wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Pablo Picasso. Natürlich ist dieser Kunst-Koloss ein Thema über das es viel zu berichten gibt. Sein Leben war aufregend, gewiss, seine Kunst umso mehr, seine Liebschaften legendär, aber dieses Leben zu dokumentieren, zumal in Comic-Form, ist ein Unterfangen, welches man getrost „mutig“ nennen kann.

So habe ich dem Band, der, wie von Reprodukt gewohnt, liebevoll gestaltet wurde, mit einer gewissen Skepsis gelesen. Wie soll es möglich sein, einen Menschen wie Picasso in all seiner Widersprüchlichkeit, seiner Schaffenswut, seiner tiefen Ernsthaftigkeit aber auch seinen satirischen Aussagen, mit denen er immer wieder sich, seine Kunst oder den Kunstmarkt auf den Arm nahm, in einem Comic gerecht werden?

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Birmant und Oubrerie versuchen es mit einem Kunstgriff: Anstatt rein dokumentarisch zu erzählen, lassen sie eine ehemalige Geliebte wiederauferstehen. Amélie Lang oder Fernande Olivier, wie sie sich später selbst nannte, ist nicht 1966 gestorben, sondern lebt noch heute unter uns und sie erzählt die eigentliche Geschichte als einen großen Rückblick. Dabei muss natürlich das Leben der Erzählerin genauso geschildert werden, wie das des großen Künstlers und das bietet auf elegante Weise die Möglichkeit ein Sittenbild des endenden 19. bzw. beginnenden 20. Jahrhunderts zu zeichnen, ohne das die Person Picasso nicht begreifbar wäre.

Herausgekommen ist ein Dokudrama im besten Sinne: Wo reine Dokumentation nicht ausreicht, wird hinzuerzählt, Leerstellen werden mit Anekdoten aufgefüllt. Das funktioniert über weite Strecken gut, allerdings hat man stellenweise den Eindruck, dass die Autoren der Fülle des Materials über einen der bestdokumentierten Künstler des letzten Jahrhunderts, nicht so recht Herr werden. Auf den 86 Comicseiten des ersten Bandes, die sich mit den Jahren 1900 und 1901 beschäftigen, stürmen derartig viele Erlebnisse und Erfahrungen des damals 20-jährigen Künstlers auf den Leser ein, dass die Person Picasso doch wieder erscheint, wie die Sphinx, als die er sich gern selbst dargestellt hat: undurchschaubar. Ob das allerdings beabsichtigt war, mag angesichts der stellenweise holzschnittartigen Erzählweise bezweifelt werden.

Dabei machen Birmant und Oubrerie eigentlich vieles richtig. Der Zeichenstil, der gelegentlich an einen anderen großen bildenden Künstler, nämlich George Grosz, erinnert, ist sympathisch und glücklicherweise weit ab von den Ausdrucksformen des Portraitierten, die Anspielungen auf Picassos Werk geben dem vorgebildeten Leser, zusätzliche Momente an Spaß, dennoch erscheint der Fluss der Geschichte manchmal nur dahin zu tröpfeln, andere Male reißt er den Leser mit, ohne aber je eine klare Struktur erkennen zu lassen. Oft werden Episoden angerissen, die dann aber nicht weiter ausgeführt werden, bzw. plötzlich zu Ende sind. Manche Teile wiederum werden ellenlang ausgebreitet, obwohl es dafür keinen ersichtlichen Grund gibt. Eine Merkwürdigkeit ist dann auch der Eindruck beim Lesen, der Band würde praktisch ausschließlich in Frankreich spielen; allerdings lebte Picasso in diesen Jahren hauptsächlich in Barcelona, und verbrachte nur wenige Wochen in Frankreich. Auch fragt man sich, warum Max Jakob erst in der Mitte der Erzählung erstmalig auftaucht, obwohl der erste Band von „Pablo“ doch nach ihm benannt wurde.

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Zudem erschließt sich die Bedeutung Jabobs für Picasso nicht wirklich. Tatsächlich erfährt man über die Person Max Jakob fast nichts, außer, dass er schwul war, ein glühender Verehrer Picassos und diesen wohl nicht nur eine Weile beherbergte, sondern auch unterhielt. Immerhin wird angedeutet, dass sich Picassos soziales Denken massiv durch Jakobs Unterstützung entwickelt hat. Er war es, der Picasso auf die Schattenseiten des Lebens als Bohéme aufmerksam gemacht hat, indem er ihn in das Gefängnis Staint Lazare, in dem syphiliskranke Prostituierte dahinsiechten, brachte.

Ein anderes Rätsel bleibt warum sich die beiden Hauptpersonen, Fernande Olivier und Pablo Picasso erst zum Ende des Bandes überhaupt begegnen. Das mag kleinkariert klingen und durchaus einem Zweck dienen, der sich dem Leser schlicht noch nicht erschließen kann, verwirrend aber, bleibt es.

„Pablo“ ist beileibe kein schlechter Comic. Die Geschichte ist amüsant und kurzweilig. Die Zeichnungen detailverliebt und sehr atmosphärisch. Allerdings wäre es der Reihe zu wünschen, dass sie zukünftig etwas zügiger erzählt wird: Pablo Picasso starb 1973, 82-jährig. Erzählen die Autoren die Geschichte in der gleichen Geschwindigkeit weiter, müsste die Reihe auf gut 60 Bände kommen. Das allerdings wäre dann doch ein wenig zu langatmig.

Hanspeter Ludwig

Julie Birmant und Clement Oubrerie: Pablo. 1. Max Jakob. Übersetzt von Claudia Sandberg. Reprodukt 2013. 88 Seiten, farbig, 22 x 29 cm. 20,00 Euro. Abbildungen: Auszüge aus Pablo.

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