Früher waren die Sommer länger. Und schöner. Oder? Carlos wird beinahe nostalgisch, aber nur beinahe.
Sommerpause
Ein Wort, das nach Freibadgejauchze, Sonnenölen ohne jeden Schutzfaktor, Brausestäbchen und Bratwürstchen schmeckt! Grollendes Sommergedonner, behaglich geschützt in Omas Laube! Onkel Winfried am Steuer des Motorrollers, ich hinter ihm, schreiend vor Glück! Abenteuerliches Überqueren der Alpen, das erste Eis in Lugano, viele Freundschaften auf arkadischen Zeltplätzen am Meer. Der erste Kuss, sie hieß Fedora, war braunhäutig, geheimnisvoll und schmeckte nach Zitrone. Mit ihr auch die erste Zigarette, verstohlen geraucht hinter ihrem Zelt, verpetzt von ihrem Bruder Franco. Sommer! Der erste Oralsex! (Mit Fedoras Mutter, einer überirdisch schönen, alterslosen Chirurgin aus Bologna), damals im Schilf … Ich war acht! Sommer!
Aber ja doch, absolut erstunken und erlogen.
1. Freibäder sind und waren mir immer ein Graus: Lärm, überfüllte Becken, Bienen, in die man tritt und die sich dafür rächen, Buben, die „Dicker!“ rufen.
2. Sonnenbrand, jedes Jahr, Fieber und schlaflose Nächte, Kotzen (Zeltplatz bei Venedig), aufgrund von Bratwürsten + Brausestäbchen simultan, oraldepressiv und haltlos hinuntergewürgt.
3. Meine Oma hatte keine Laube. Vor Gewittern hatte ich Angst – zu viele tödliche Blitzschläge im Bekanntenkreis hatten meine Eltern in pädagogischer Absicht erfunden.
4. Ich hatte keinen Onkel Winfried, ergo erlebte ich auch keine rasanten Rollerfahrten, ich hatte einen Onkel W., der die Meinung vertrat, Schwarze hätten ein kleineres Gehirn. Er starb bei einem sommerlichen Bad im Meer – ironischerweise an einem Hirnschlag.
5. Die Alpen wurden nicht überquert, sondern bestiegen. Tagelange Wanderungen in brütender Hitze, Stürze, angreifende Ziegenböcke, durchgeweichte Salamibrote, detonierende Thermoskannen.
6. Eis, irgendwo, gelegentlich, doch, doch, ansonsten deutsche Ravioli aus der Dose.
7. Zeltplätze im Hinterland, ordentlich und charmant wie Arbeitslager, z. T. mit verordneter Bettruhe um 21.30 Uhr. (Nicht von den Eltern, sondern dem Platzwart verordnet!) Keine Freundschaften. Nur meine beiden Schwestern, was noch schlimmer war.
8. Es mag Fedora geben, ich habe sie leider nie kennengelernt, Kuss und Co., auch Zigarette debütierten später in meinem Leben. Das ja mal alles zum Glück. (Und in Sachen Schilf – da gab es mal einen glimpflich verlaufenen Angriff durch einen tollwütigen Schwan.)
Nein, früher war nicht alles besser, aber auch heute ist die Not groß. Ich habe schon verschiedentlich über meinen Stadtteil Schlierbach berichtetet, neben der Heidelberger Altstadt aus dem mittelalterlichen Lager der Aussätzigen entstanden. In Schlierbach, ich darf es wiederholen, wohnen wir schön in Waldesnähe und etwas anderes, außer den Wald zu betreten oder Schlierbach zu verlassen, kann man hier nicht tun. Das schätze ich erwähntermaßen enorm. Schlierbach bietet in Sachen sog. Infrastruktur nichts, gar nichts. So etwa muss es in Wandlitz bei den debilen SED-Thoren gewesen sein, nur flacher.
Immer wieder freilich, auch hiervon sprach ich schon, versuchen rührige Bürger des Viertels eine Stadtteilidentität, eine, wenn schon nicht vorhandene, so doch gefühlte Teilortsmitte zu erschaffen.
Nun also, das Programm des diesjährigen Sommerfestes, entnommen aus unserem Stadtteilblatt „Schlierbach Aktuell“:
Schlierbacher Bürgerfest
20 JAHRE BÜRGERHAUS*
Sonntag, 23. Juni
Schlierbacher Landstr. 130
11:00h Ökumenischer Gottesdienst mit Kammerchor
12.00h Fassanstich
13.00 Bühne frei!!!
Bühnenprogramm
Voices of Schlierbach
Kostproben aus d. kleinen Prinzen
Zirkus Pepperoni
Arkestra Convolt
Sportgymnastik
Hans und Band
Was „Arkestra Convolt“ ist, weiß ich nicht, auch anderes bleibt unklar (dem/den kleinen Prinzen, viele Prinzen?), aber „Hans und Band“ klingt für mich am katastrophalsten, trotz „Sportgymnastik“.
Können wir uns darauf einigen, dass es früher toll herging und heute auch? Und dass es in der Zukunft nur besser werden kann oder aber, tröstlich immerhin, lustig bleibt?
Wunderbar! Dann haben wir uns eine SOMMERPAUSE verdient!
*Das „Bürgerhaus“ ist ein schimmliger, kaum genutzter Hausbrocken, eingeklemmt zwischen Eisenbahnschienen und vierspuriger Stadtautobahn.
Carlo Schäfer
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