Bloody Chops – heute arbeiten mit dem Beilchen Joachim Feldmann (JF) an David Zeltsermans „Paria“ und Reinhard Junges „Achsenbruch“, Alf Mayer (AM) aber an Jamie Frevelettis „Rette Dich“.
Ein Gangsterepos der besonderen Art
(JF) Acht Jahre hat Kyle Nevin gesessen und die Klappe gehalten. Nun will er sich an dem Mann rächen, der ihm die Gefängnisstrafe eingebrockt hat. Und das ist ausgerechnet Gangsterboss Red Mahoney, für den Nevin viele Jahre lang alle möglichen Drecksarbeiten erledigt hatte. Doch bevor es Mahoney an den Kragen geht, braucht Nevin Geld. Einen Plan hat er schon. Nun muss er nur noch seinen Bruder Danny, der sich rührend bemüht, von anständiger, aber mies bezahlter Arbeit zu leben, zum Mitmachen überreden. Denn allein kann er die Kindesentführung, von der er sich ein Lösegeld in Millionenhöhe verspricht, nicht durchziehen.
Natürlich geht alles schief. Und Kyle Nevin landet wieder einmal vor Gericht. Doch diesmal droht ihm die Todesstrafe.
Dave Zeltsermans tiefschwarzer Roman „Paria“ ist ein Gangsterepos der besonderen Art. Fern jener kalten Romantik, von der beispielsweise eine klassische Racheerzählung wie Richard Starks erste „Parker“-Erzählung („The Hunter“, 1961) zehrt, entsteht das Selbstporträt eines egozentrischen Widerlings, dessen Mitgefühl einzig der eigenen Person gilt. An Kyle Nevin ist nichts geheimnisvoll oder rätselhaft. Mit Vergnügen gibt er den amoralischen Schurken, den selbst der Tod seines Bruders relativ kalt lässt. Von all den anderen Leichen, die seinen Weg pflastern, ganz zu schweigen. Das Perfide an dieser Darstellung ist ihr Kalkül. Denn was wir zu lesen bekommen, ist ein Buchmanuskript inklusive Anmerkungen für das Lektorat.
Kyle Nevin ist zum Autor geworden. Der aufsehenerregende Entführungsprozess hat ihm einen lukrativen Verlagsdeal eingebracht. Und hätte er sich für seinen Debütroman nicht allzu freizügig bei literarischen Vorbildern wie Jim Thompson oder Dashiell Hammett bedient, stünde einer außergewöhnlichen Schriftstellerkarriere nichts im Wege. Doch Plagiatsvorwürfe wiegen schwer im Mediengeschäft. Nevin ist zurück auf null. Aber er gibt nicht auf. Ein neues Buch, „weniger eine Erklärung als eine Erkundung der kriminellen Psyche“, muss her. Eben das, dessen Manuskript nun vor uns liegt.
So mutiert der Gangsterroman zum abgefeimten literarischen Spiel und endet als bitterböse Satire auf den Medienbetrieb. Wer Kriminalliteratur vor allem wegen ihres Wohlfühlfaktors schätzt, sollte dieses Buch meiden.
Dave Zeltserman: Paria (Pariah, 2006). Deutsch von Angelika Müller und Frank Nowatzki. Berlin: Pulp Master 2013. 368 Seiten. 13,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Nicht nur für Joggerinnen
(AM) Es liest sich wie maßgeschneidert für eine dieser Krimi-Zielgruppen.
Eine physische fitte, laufbegeisterte und -gestählte Heldin wird im Lauf der Handlung, welch nette Formulierung gerade, neben ihrem wissenschaftlich geschulten Kopf auch ihre physischen Kräfte einsetzen müssen, um dem Verhängnis zu entkommen und die actionreiche Geschichte zu einem guten Ende zu bringen. Ein Lauf-Krimi also. Und übrigens: Die Autorin beherrscht zahlreiche Kampfsportarten und ist Langstreckenläuferin.
Bingo! Diese Autorin gibt es wirklich. Sie heißt Jamie Freveletti und legt gerade mit „Rette Dich!“ ihren vierten Thriller mit der Biochemikerin Emma Caldridge vor. Tatsächlich ist es schon ein Stück mehr als nur Retortenformel, was Freveletti in ihren Thrillern zum Laufen bringt. Wie im Kino sind auch in der Kriminalliteratur physische Abenteuer seltener geworden. Wir fahren, fliegen und surfen, aber aus dem bloßen Einen-Fuß-vor-den-anderen-zu-Setzen erzählerische Funken zu schlagen, das unternehmen nicht mehr viele Autoren. Freveletti ist da ein richtiggehener Outdoor-Freak (was fallen mir hier plötzlich all diese Worte mit Bezug zur Laufarbeit auf…), und sie legt ein oft so hohes Tempo vor, dass man an manchem Kapitelende versucht ist, richtig durchzuatmen.
Diesmal gerät Emma Caldridge auf einer karibischen Insel in ein sinistres biochemisches Experiment. Ihren ersten, beachtlich fulminanten Auftritt hatte sie in „Lauf“ mit einem Flugzeugabsturz im kolumbianischen Dschungel, wo die Überlebenden von Guerillas entführt werden, ein Pharmakonzern sich aber als die weit größere Bedrohung entpuppt. Gut unterhalten hat mich auch „Emmas Angst“ (The Ninth Day), wo Ultramarathonläuferin Emma als Gefangene eines mexikanischen Drogenkartells ganze neun Tage Zeit hat, ein Gegenmittel zu finden, um mutierte, fleischfressende Marihuanapflanzen davon abzuhalten, sich epidemisch auszubreiten und alle Kundschaft auf grauslige Weise zu töten.
Abgedreht? Ja, ein wenig. Ich habe nicht versucht, wie sich Frevelettis Thriller als Hörbücher beim Laufen machen. Auf dem Sofa beschleunigen sie einem den Puls. Sie wollen nicht mehr sein, als sie sind – gute Unterhaltung. Keep on running, Jamie.
Jamie Freveletti: Rette dich (Dead Asleep, 2012)! Deutsch von Sybille Uplegger. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2013. 384 Seiten. 7,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr von Jamie Freveletti: Running from the Devil (Lauf). Running Dark (Flieh). The Ninth Day (Emmas Angst).
Leise Wehmut
(JF) Bochum im Sommer 2006. Die Fußballweltmeisterschaft ist glücklich überstanden und alle sind’s zufrieden, auch wenn die Nationalelf sich mit einem dritten Platz bescheiden musste Schließlich konnte sich Deutschland einmal von seiner Schokoladenseite präsentieren. Unverändert allerdings wuchert in den Amtsstuben an Rhein und Ruhr der Filz. Wenn also der Lebensgefährte der Bochumer Oberbürgermeisterin einem Sprengstoffanschlag zum Opfer fällt, liegt der Verdacht nahe, dass dieser nicht das eigentliche Ziel des Attentats war. Das vermutet zumindest Hauptkommissar Lohkamp, der, 220 Tage von Ruhestand entfernt, die Ermittlungen eher unwillig übernommen hat. Während das BKA angebliche islamistische Terroristen verfolgt, versucht er, dubiosen Machenschaften im Bochumer Rathaus auf die Spur zu kommen. Und natürlich wird er fündig, wacker unterstützt vom PEGASUS-Fernsehteam aus Dortmund, das in der Wahl seiner Mittel weniger skrupulös sein darf als ein Kriminalbeamter mit Pensionsanspruch.
Freunde des politisch-satirischen Ruhrgebietskrimis befinden sich also auf vertrautem Terrain. Mehr als ein Jahrzehnt mussten sie auf einen neuen Fall für PEGASUS-Urgestein Kalle Mager und seine Freunde warten und wurden immer wieder vertröstet. Dass der Zeitpunkt der Handlung inzwischen sieben Jahre zurückliegt, wird sie kaum stören. Korruption im Amt ist zeitlos. Und der standhafte Alt-Linke Mager zeigt sich störrisch wie eh und je.
So liest man die 400 Seiten von Reinhard Junges „Achsenbruch“ mit viel Sympathie und leiser Wehmut. Dass die Auflösung des Falles keine große Überraschung darstellt, gehört ebenso dazu wie der Umstand, dass der Hauptschurke ungeschoren davonkommt. Ein anderes Ende würden die Verhältnisse auch gar nicht gestatten.
Reinhard Junge: Achsenbruch. Roman. Dortmund: Grafit 2013. 414 Seiten. 11,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Reinhard Junge.