Warum wir nicht zu einander finden können
– Der neue Kurzgeschichtenband „Spätestens Morgen“ von Zoe Jenny irritiert zunächst durch seinen altrosa Einband. In Weichzeichner gehaucht geht eine junge Frau in weißem Kleid über eine morgendliche Wiese. Die für das „Blütenstaubzimmer“ zu Recht wegen ihres klaren Sprachstils gelobte Autorin zeigt sich auf dem Klappentext in Herzchenbluse. Das lässt Schlimmes ahnen – doch es ist eine falsche Fährte: Es geht es in den Kurzgeschichten nicht um Herzschmerz, sondern eher um die Beschreibung der Unfähigkeit, eine Beziehung aufzubauen. Von Jörn Borges
Jenny beginnt ihren Band mit einer typischen Mittelklassegeschichte. Ein Mann versucht sich als Vater in einer Patchwork-Familie zu etablieren. Alles geht erzählerisch gut. Gekonnt schildert Jenny die Konkurrenz zum nur sporadisch anwesenden biologischen Vater, bevor sie dieses verzweifelte Bemühen in realitätsferne Selbstverliebtheit zerfließen lässt. Die Kinder jubeln weiterhin ihrem biologischen Daddy zu.
Aber auch die Kinder haben wenig Glück mit ihren Eltern. In „Sophies Sommer“ brennt die Mutter mit dem Freund der Tochter durch. In „Auf der Heimfahrt“ zeigt Jenny sehr gelungen aus der Sicht eines kleinen Mädchens die Überforderung des Vaters bei der Trennung von der Mutter der Kinder. In „Ein Fest für Aimée“ irrt ein Kind zwischen der Fremdbestimmung durch die Pflegemutter und dem überforderten Onkel umher. In „Die Fähre“ erlebt ein Mädchen das aussichtslose Aufbegehren der älteren Schwester gegen die rigiden Leistungsanforderungen der Mutter und in „Der Tag ist da“ wird eine alternde Pensionsbesitzerin erst gewahr, dass der Gehorsam gegenüber den Vorschriften der Eltern nicht zum Leben führt, als ihres gerade durch einen Überfall beendet wird.
Wenig tröstend sind da die Worte des alternden Freunds Paul in „Spätestens morgen“. Er kann zwar unkompliziert eine Beziehung zur Ich-Erzählerin herzstellen. Diese bleibt jedoch äußerlich. Sein Selbstmord wird zur ständigen Option. Was bleibt ist bei Jenny die Kunst. Dies wird in „Jakos Reise“, aber auch in der letzten Kurzgeschichte, der „Ballade vom Rhein“ deutlich. Es geht darum, eine neue Form zu finden. In der Ballade vom Rhein gelingt es ihr.
Jörn Borges
Zoe Jenny: Spätestens Morgen. Geschichten. Frankfurter Verlagsanstalt 2013. 124 Seiten. 17,90 Euro.