Geschrieben am 5. Juni 2010 von für Bücher, Crimemag

Ariel Magnus: Ein Chinese auf dem Fahrrad

Anekdoten für das sofortige Vergessen

Ariel Magnus scheint gerade everybody’s darling zu sein. Doris Wieser gehört allerdings nicht zu seinen Fans. Eine skeptische Lektüre …

Irgendwas stimmt hier nicht: Entweder gehorchen die Jubelrezensionen über Ein Chinese auf dem Fahrrad irgendwelchen obskuren, höheren Mächten des Marktes oder ich bin mit gänzlicher Humorlosigkeit gestraft. Überzeugen konnte mich dieser „ungezügelt komische Roman“ (Klappentext) jedenfalls nicht. Da sein Autor, Ariel Magnus (Buenos Aires, 1975), außerdem dafür den Preis von „La otra orilla“ und 30.000 Dollar einstreichen konnte, fällt es mir wirklich nicht leicht, mich mit meiner eigenen (wenn auch begründeten) Meinung unbeliebt zu machen. Aber schauen wir uns das Werk schrittweise an:

Ariel Magnus geht von einem realen Ereignis aus, das vor ein paar Jahren in den argentinischen Medien ziemlich viel Aufsehen erregt hat (und auf das, by the way, auch Guillermo Martínez in Der langsame Tod der Luciana B. Bezug nimmt). In Buenos Aires wurde eine Reihe von Möbelgeschäften in Brand gesteckt und ein Chinese als mutmaßlicher Täter angeklagt.

Ariel Magnus’ Grundidee für den davon ausgehenden Plot ist gar nicht mal schlecht:

„Wenn die Polizei ein Verbrechen nicht aufklären könne, was mit alarmierender Häufigkeit geschehe, bestünde ihre Taktik darin, irgendeinen Sündenbock zu fassen und ihn erst freizulassen, wenn er eine Lösung liefere, erklärte mir Li, die Gefangenen haben also die Erlaubnis, das Gefängnis ab und an zu verlassen und so allmählich Beweise zu sammeln …“ (S. 232).

Der Immigrant als Brandstifter …

Der chinesische Immigrant Li wird also der Brandstiftung angeklagt, weil er – wie der wahre Täter – mit einem Fahrrad, einem Stein und einer Schachtel Streichhölzer unterwegs war. Nachdem er die Polizisten davon überzeugt hat, den wahren Täter liefern zu können, lassen diese ihn nach der Gerichtsverhandlung mit einem Zeugen als Geisel entkommen. Der Entführte, ein 25-jähriger Programmierer namens Ramiro, ist der Erzähler und Protagonist des Romans. Li hält ihn mehrere Wochen in der argentinischen China Town fest, damit er ihm hilft, seine Unschuld zu beweisen. Diese Story hätte einen spannenden roten Faden abgegeben, der ins Universelle hineingesponnen hätte werden können. Doch deduktives Denken ist nicht gerade Ramiros Stärke. Er tappt völlig im Dunkeln und vertieft sich stattdessen in die Kultur der Immigranten, die ihm zunächst fremd ist, der er sich aber schnellen Schrittes nähert. Li verschwindet, wer weiß wohin, und Ramiro verliebt sich in die Chinesin Yintai …

… der rote Faden ist futsch

Schriftsteller Ariel Magnus (Foto © Maximiliano Luna / Telam)

Es folgt eine Ansammlung von Kapiteln, in denen Beobachtungen über das Chinesenviertel und seine Bewohner angestellt werden. Da sind zum Beispiel der kastrierte Chen mit seinem Penisimplantat, das sich per Knopfdruck versteift; ein Kurpfuscher, der Handakupunktur betreibt; Mitglieder einer antikommunistischen Sekte; Gespräche über den Realismus in Martial-Arts-Filmen; lapidare Bemerkungen über Chens Opiumkonsum, den pornographischen Ursprung der Kanji (so nennen die Japaner die chinesischen Schriftzeichen, die Chinesen selbst nennen sie eigentlich hànz ì…); Chinas Erfindungen und Chinas Pirateriebusiness … manches davon denkt sich der Erzähler auch einfach nur aus. Aber nichts geht übers Belanglose, Anekdotische hinaus.

Ironischerweise sagt der Erzähler selbst über die Geschichten, die eine der Figuren erzählt: „… seine Anekdoten schienen für das sofortige Vergessen gemacht …“ (93) – genau wie die des Romans … Huch, eine zu dekonstruktive Lesart? Klar, der Roman schreit danach, mit Humor gelesen zu werden, aber leider bleibt da kein Mehrwert zurück – für mich jedenfalls nicht.

Im Endeffekt erfährt man nichts über die Chinesen, nichts über China und auch nichts über Argentinien, was man nicht sowieso schon wüsste oder durch einen halbstündigen Gang durch Buenos Aires Chinesenviertel auch ohne Ariel Magnus’ Hilfe erhaschen oder sich mit etwas Fantasie denken könnte. Mit den Klischees wird nicht aufgeräumt, sondern eher ein Inventar der Vorstellungen der Argentinier über die chinesischen Einwanderer erstellt. Von dieser Vorstellungswelt ausgehend führt uns der Erzähler in einen exotischen Mikrokosmos ein, in dem nach und nach erkennbar wird, dass Chinesen eben auch nur Menschen sind … Nun gut, so viel zur mutmaßlichen Intention des Autors.

Wer hier aber einen zackig geplotteten Kriminalroman erwartet, ist auf dem Holzweg. Ein Chinese auf dem Fahrrad ist kein Kriminalroman, weil die Krimi-Handlung nur die Schale, aber nicht das Fruchtfleisch darstellt. Und ein Roman ist das Werk eigentlich auch nicht, eher eine Sammlung von urbanen Chroniken, die – so scheint es – im Nachhinein durch eine Krimi-Rahmenhandlung zusammengezurrt wurden. Liest man die einzelnen Kapitel jedoch als crónicas oder Glossen so fehlt es ihnen an Poesie, Scharfsinn, Galle, Komik oder Tiefgang, je nachdem. Oberflächlich humorig, ja, das sind sie.

Wer noch mehr Gemecker hören will, kann weiterlesen

Ariel Magnus nimmt außerdem keine saubere Trennung der chinesischen von der japanischen Kultur vor. Warum muss Yintai unbedingt mit einer Geisha verglichen werden? Und warum muss ihr Sohn ausgerechnet den Spitznamen Sushi erhalten? Will der Autor uns zeigen, wie sich die asiatischen Kulturen in den Immigrantenvierteln vermischen, so hätte er das geschickter angehen können. Denn teilweise wirkt das wie ein Versehen.

Und die Übersetzung von Silke Kleemann macht es auch nicht besser, so sorry to say. Manche (wenige) Wendungen klingen nicht ganz Deutsch („Das Telefon gab er mir in keinem Moment …“, S. 47), andere dafür schon zu Deutsch („… voll durch den Wind war ich, Alter …“, S. 22 – sagt der chinesische Einwanderer in Buenos Aires), aber im Großen und Ganzen ist sie stimmig.

Fazit: Ein Chinese auf dem Fahrrad liest sich wie eine Cola Light: schmeckt nicht, putscht nicht und macht trotzdem dick. Ich hätte den Roman nicht zu Ende gelesen, wenn die Rezension nicht gewesen wäre. Ariel Magnus hat das Buch nach eigenen Angaben in sechs bis acht Monaten runtergeschrieben – wahrscheinlich zu wenig Zeit, um den so sehnlich gesuchten literarischen Mehrwert zu erzeugen. Aber bitte, wer glaubt, mit mehr Humor als ich gesegnet zu sein, der greife ruhig zu.

Doris Wieser

Ariel Magnus: Ein Chinese auf dem Fahrrad (Un chino en bicicleta, 2007).
Deutsch von Silke Kleemann.
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2010. 17,95 Euro.