Geschrieben am 16. November 2013 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“: Sinn aus dem machen, das keinen ergibt

cover_Manchurian candidateReise in die Welt der Paranoia: Eine subjektive, keineswegs vergilbte Leseliste.

Die Paranoia, muss man feststellen, hat wieder Hochkonjunktur. Wenn Merkels Fahrer ja jederzeit heimlich im Jemen anrufen kann, die NSA also jedes Recht zum Abhören des Kanzlerinnenhandys hat, von allem anderen zu schweigen, und solch eine Begründung eines ranghohen Amerikaners keinen nennenswerten Protest mehr auslöst, nicht einmal ein Lachen, dann sind wir auf einem Terrain, dass kaum ein Fiction-Autor aus Angst vor Einweisung in die Klapse betreten würde. Deshalb hier eine kleine Hommage an mutige Vordenker, Propheten des Undenkbaren, Spinner und Durchgeknallte, Thriller-Autoren eben.

Auf merkwürdig ambivalente Weise sind es wohl die Fiktion, das Reich der Literatur und des Kinos, das unsere Welt mehr beisammen hält, als die Realität es noch vermag. Sie schaffen es, wenigstens für ein paar Stunden Sinn zu stiften, uns an einer Art Aufklärung zu beteiligen, „Handelnde“ sein zu lassen. Wenn ein Film eine maßgeschneiderte Fantasie zu sein vermag, dann sind die Filme eines Kinojahres und gar das Kino einer Dekade so etwas wie ein instrumentalisierter Bewusstseinsstrom, der sich in das kollektive Gedächtnis zu schreiben vermag. Ebenso gilt das natürlich für Romane oder für Fernsehserien. „Ein Mensch lebt“, meint Thomas Mann in seinem „Zauberberg“, ja „nicht nur sein eigenes Leben als Individuum, sondern ebenso, ob nun bewusst oder unbewusst, das seiner Epoche und seiner Zeitgenossen“. Der amerikanische Kultur- und Filmwissenschaftler J. Hoberman hat von dieser Ausgangslage aus die 1950er Jahre als „An Army of Phantoms. American Movies and the Making of the Cold War“ beschrieben. Folgerichtig nannte er die Reagan-Ära, in der ein Schauspieler einen Präsidenten spielte, „The Dream Life“.

Der NSA-Chef Generals Keith Alexander in seinem den „Star Trek“-Filmen nachgebauten Kommandozentrum, ein Dr. Seltsam, dessen Weltbild sich aus der Metarealität der Fiktionen speist, war für mich Anlass zu einer eigenen Vorratsdatensichtung. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit hier ein kleiner Streifzug durch mein Bücherregal, ein Kurztrip in die Welt der Paranoia.

Einer gründlichen Betrachtung wird noch wert sein, was der Suhrkamp Verlag dieser Tage dazu auf den Markt gebracht hat, nämlich „Rätsel und Komplotte“, des Bordieu-Schülers Luc Boltanski, in der er „Kriminalliteratur, Paranoia und moderne Gesellschaft“ in einen sinnstiftenden Zusammenhang stellt. Hier fand ich, nach Abschluss dieses Textes, folgendes auch auf General Alexander zu münzendes Zitat von Jorge Luis Borges:

„Dass die Geschichte die Geschichte kopiert haben sollte, war schon bestürzend genug; dass die Geschichte die Literatur kopieren soll, ist unfassbar …“

Eine Parabel ohne Enden

„Paranoia’s the garlic in life’s kitchen, right, you can never have too much“, meint Thomas Pynchon, dessen „The Crying of Lot 49“ (Die Versteigerung von Nr. 49, 1966) ein Trip in das Herz der Paranoia war. Die Heldin Oedipa Maas hat es mit allerlei Unzuverlässigkeiten der Post und einer auf das Postmonopol von Thurn & Taxis zurückreichende Verschwörung zu tun, die alle ihre Sicherheiten in Frage stellt. Je mehr sie an Wissen gewinnt, desto unsicher wird der Boden unter ihr. Pynchon zeigt „das Denken über das Denken“ und die Unmöglichkeit von Gewissheit, bricht dieses Thema dann sozusagen ins Unendliche in seinem Hauptwerk „Gravity’s Rainbow“ (Die Enden der Parabel, 1973), dem der Pulitzer-Preis wegen Obszönität verwehrt wurde. Pynchon war überzeugt:

„There is no literature and art without paranoia. Probably there would be even civilization. Paranoia is the world. It is the attempt to make sense of what has not.“

Edward Abbey

Edward Abbey

Natürlich sollte ich hier auch Philip K. Dick vorstellen oder James Grady, dessen „Drei Tage des Condor“ (1974) in der Verfilmung leider durch Robert Redford und Faye Dunaway vieler Grimmigkeit beraubt wurde (trotzdem schöner Film) und der dann im neuen Jahrtausend „Mad Dogs“ folgen ließ, aus einer Irrenanstalt ausgebrochene CIA-Killer, die Rache und ein wenig Anerkennung wollen, im Kino als „R.E.D. – Retired. Extremely Dangerous“ zur Lachnummer verharmlost. Oder Umberto Eco, in dessen „Foucault’schem Pendel“ die gelangweilte Belegschaft eines Verlages aus Langeweile eine eigene Verschwörung erfindet, die sie „Der Plan“ nennt. Natürlich hat die Gegenseite immer einen solchen. Immer. Und immer ist er besser als unserer. Den realen Gegenspionagechef der CIA, Jesus James Angleton, hat das verrückt gemacht. Paranoia gedeiht überall, auch in den Wüsten Arizonas und New Mexicos. Edward Abbey („The Monkey Wrench Gang“), ein im deutschen Sprachraum schmählich unbekannter Naturschriftsteller, Philosoph und Anarchist, der nackt in der Wüste zu wandern und zu deklamieren pflegte, war der Ansicht:

„Anyone not paranoid in this world must be crazy … Speaking of paranoia, it’s true that I do not know exactly who my enemies are. But that of course is exactly why I’m paranoid.“ (Aus: „Postcards from Ed: Dispatches and Salvos from an American Iconoclast“)

Was tun mit so viel Wissen?

Hier nun eine kleine subjektive und unvollständige Leseliste, allesamt sind es Bücher aus jener Doppelgängerwelt, die auch die echte sein könnte.

conundrum

Stan Lee: „Dunn’s Conundrum“. New York: Harper & Row 1985. 338 Seiten (Deutsch 1989 als „Dunn’s Dilemma“).

„Nearer in the future than we like to think“, heißt es im Klappentext. Harry Dunn, als der Chef der „Bibliothekare“, hat ein Problem: Einer seiner zwölf Spezialisten, ein früher Edward Snowden, verrät Geheimnisse – hier noch an die Russen, schließlich ist es Reagan-Zeit, das Endspiel des Kalten Krieges in vollem Gang. Dunns Mitarbeiter Coolidge hat Kameras überall auf der Welt installieren lassen, auf Plätzen und in Schlafzimmern, in Botschaften und Bordellen, Restaurants und Kaufhäusern. Was macht man mit so viel Wissen?

Stan Lee: „The God Project“. Grove Weidenfeld, New York 1990, 408 Seiten.

Der neu gewählte Präsident Richard „Doc“ Halliday entdeckt, dass die CIA über eine Geheimwaffe verfügt, die sogar vor dem Militär geheim gehalten wurde: das „GOD Project“. Sogar das Vietnam-Syndrom lässt sich damit kurieren, denn damit können die USA Truppen überall hin auf die Welt schicken, ohne eigene Leben zu riskieren. Der Präsident setzt Malcolm Keyes auf den Fall an, einen Werbetexter, mit der Gabe, sich an alles zu erinnern. Keyes lernt eine furchtbare Wahrheit: „We have met the enemy and he is us.“ (Stan Lee übrigens ist nicht jener Lee der Marvel Comics, der Erfinder von Spiderman und anderen Superhelden, sondern ein New Yorker Autor, der, der für Lyndon B. Johnson Wahlkampf machte und zur Buße 1968 für Eugene McCarthy arbeitete.)

David Wise: „The Children’s Game“. St. Martin’s Press. New York 1983. 280 Seiten.

Tief ins Herz der CIA, zu Doppelagenten und Maufwürfen, führt der Plot dieser fiktiven Annäherung an die Geheimdienstwelt. „The sophisticated reader will recognize much oft he fiction as fact“, meinte die Kritik zum zweiten Roman des Geheimdienstexperten Wise. Seine ersten drei Bücher, sie alle Nonfiction, hatten aufschlussreiche Titel: „The Invisible Government“ (1964), „The Politics of Lying“ (1973) und „The American Police State“ (1976). In seinem ersten Roman, „Spectrum“, hatte Wise 1981 das Verschwinden von waffenfähigem Uranium beschrieben – ein Thema, das heute noch für Thriller gut ist. Daniel Schorr meinte damals: „A cliffhanger that does fort he CIA what Dr. Strangelove did for the defense establishment.“

David Quammen: „The Soul of Viktor Tronko“. Doubleday & Company. New York 1987. 350 Seiten. (Deutsch als „Die kalte Seele des Viktor Tronko“, 1991)

Der später zu einem geachteten „nature writer“ gewordene Naturwissenschafler Quammen („Der Gesang des Dodo. Eine Reise durch die Evolution der Inselwelten“) erfindet eine Geschichte um einen russischen Überläufer, dessen Informationen all das konterkarieren, was gängiger Glaubenskanon der westlichen Geheimdienste und tief in ihre DNA eingeschrieben ist: „Der KGB hat niemals auch nur mit Lee Harvey Oswald während dessen Zeit in der Sowjetunion gesprochen; und es gibt und gab nie einen KGB-Maulwurf in den höheren Rängen der CIA. Edward Abbey, der alte Wüsten-Anarchist, meinte dazu: „This lively thriller makes clear what we should have known all along: that the real souce of international terrorism is the military-industrial-scientific establishment itself.“

Larry Beinhart: „American Hero“. Pantheon Books. New York 1993. 432 Seiten.

Hat George Bush wirklich einen Filmregisseur damit beauftragt, den Golfkrieg zu inszenieren? 39 Anomalien zählt Edgar-Preisträger Beinhart in seinem Nachwort auf, die einem am ersten Golfkrieg schon seltsam vorkommen können, verwirft sie aber dann, denn schließlich gelte doch: „A president oft he United States would not do the things suggested here. A president wouldn’t hire film directors to tell him what to say and do. Presidents don’t manufacture incidents to go to war. A preseident wouldn’t make policy, life-and-death policy, just fort he sake of being reelected. Our presidents are men who put honor over expedience.“ Aus dem mit Fußnoten und allerlei aktuellen Anmerkungen angereicherten, von Jürgen Bürger und Peter Torberg übersetzen, vorzüglich komischen Roman wurde der Film „Wag the Dog“.

Littell-DefectionofAJLewinter1

Robert Littell: „The Defection of A. J. Lewinter“. Houghton Mifflin. New York 1973. 230 Seiten. (Deutsch als „Moskau hin und zurück“, auch als „Der Springer“)

Mit seinem Erstlingsroman katapultierte sich Littell in die Riege von Ambler, Graham Green, Le Carré, Charles McCarry und Len Deighton. Wie ein Schachspiel legt Littell seine gehirnverbiegende Geschichte an, in der ein Überläufer zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Geheimdienst hin und her gereicht wird, keine Seite sich der Wahrheit sicher. Ein Vexierspiel von vergnüglich komplexer Natur: Alles klandestin verschaffte Wissen ist vergiftet. (Hallo NSA!). Zitat:

„…it is also possible the Americans were trying to make it appear as if they were reacting to a genuine defection in order to convince us that Lewinter had valuable information. In which case, he would be a fraud. Or the Americans may have been trying to convince us he’s real knowing we’d discover they were trying to convince us he’s real and conclude instead he’s a fraud. Which would mean they want us to think he’s a fraud. Which would mean he’s genuine.“

Zu Littells „The Debriefing“ (1979, „Der falsche Spion“) meinte die New York Times: „Dynamite enough to make the Spy Who Came In From the Cold seem sentimental“. Einmal heißt es dort:

„Debrief? That means you will ask me questions. But I have no answers. I don’t know secrets… How long will this debriefing take?“
„It’s already startet. It will end when we know more about you than God.“

Die Mutter aller Paranoia-Thriller

cover_manchurianCandidate2aRichard Condon: „The Manchurian Candidate“. McGraw-Hill. New York 1959. 344 Seiten. (Deutsch als „Botschafter der Angst“. Verfilmt mit Frank Sinatra, 1962, und 2004 mit Denzel Washington.)

Die Mutter aller Verschwörungsthriller, eine ultraböse Kalter-Krieg-Satire des Jonathan-Swift-Nachfolgers Richard Condon (1915–1996), bei uns leider weithin unbekannt oder nur der Mafia-Groteske „Die Ehre der Prizzis“ verdächtig. Von der Prohibition bis zum Kennedy-Mord, vom Reagan-Kapitalismus bis zum Hurenstaat des Konstanzer Konzils, internationalem Waffenhandel und amerikanischen Imperiumsallüren nahm Condon alles Staatstragende ins Visier. Mitten im hitzigen Kalten Krieg traf Condon mit dem von Kommunisten gehirngewaschenen Kriegshelden Sergeant Raymond Shaw einen bis heute in den USA bloßliegenden Nerv, die Paranoia-Serie „Homeland“ lässt gute 50 Jahre später grüßen. Shaw ist ein Schläfer, der perfekte Attentäter. Film wie Buch wurden nach der Ermordung Kennedys für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen,eine Verschwörungsgeschichte für sich.

Aufregend immer auch Condons Stil, eine wilde Mischung aus „beat“ und „noir“. Der Stückeautor George Axelrod („The Seven-Year Itch“) meinte:

„The arrival of a new novel by Richard Condon is like an invitation to a party… the sheer gusto of the prose, the madness of his similes, the lunacy of his metaphors, his infectious, almost child-like joy in composing complex sentences that go bang at the end in the manner of exploding cigars is both exhilarating and as exhausting as any good party ought to be.“ Pete Hamill sah Condon als Begründer einer neuen literarischen Gattung: „…the practitioners of what might be called the New Novelism… Condon applies a dense web of facts to fiction… There might really be two kinds of fiction: the fiction of sensibility and the fiction of information… As a practitioner of the fiction of information, no one else comes close to him.“

Jack Fuller: „Convergence“. A Novel of Entrapement. Doubleday & Company. Garden City 1982. 348 Seiten.

Ein Gänsehautgefühl macht dieser Romanerstling eines ehemaligen Absolventen der Yale Law School, der für das US-Justizministerium einst neue Richtlinien für die Geheimdienste entwickelte und dann als Redakteur der „Chicago Tribune“ anderen Realitäten begegnete.Fuller ist bis heute ein nachdenklicher Journalist geblieben („What Is Happening to News: The Information Explosion and the Crisis in Journalism“).

Um die Deckungsgleichheit der damals gegnerischen Systeme bei der Anwendung ihrer Mittel geht es Fuller. Wie das Spionieren die Werte verkehrt, wie aus Zweifeln Bösartigkeit erwächst, wie aus Wahrheit Lüge wird, aus Liebe Verrat.

Alan Furst: „Shadow Trade“. Delacorte Press. New York 1983. 280 Seiten.

In seinem vierten Thriller nahm der später dann mit Agentenstudien aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs glänzende Autor ein historisches Datum zum Anlass für einen damals neuartigen Plot. Im Juni 1977 setzte die Central Intelligence Agency an einem einzigen Tag 820 Geheimagenten auf die Straße. Sie mussten sich fortan im „Privaten Sektor“ ein Auskommen suchen. Stoff für viel Frust, Paranoia, Verrat und gute Geschichten.

trotsky runRichard Hoyt: „Trotzky’s Run“. William Morrow. New York 1982. 262 Seiten.

Seine ersten zwei Romane gehören immer noch zu den besten Journalistenkrimis („30 for a Harry“ und „Decoys“), ebenso furios wie rücksichtslos nahm der ehemalige Gegenspionage-Offizier sich dann heiliger Kühe des Spionageromans an (Richard Hoyt bei kaliber.38). Ein die Dritte Welt beglückender Fidel Castro, der sich den Bart abrasiert, um in den USA unerkannt eine Sause zu machen („The Manna Enzyme“), eine Truppe sowjetischer Dissidenten, die den Kopf des einbalsamierten Lenin entführen („Head of State“) und hier nun eine Wiederauflage des mandschurischen Kandidaten. Kim Philby bettelt darum, aus Moskau gerettet zu werden, seine Wiedereintrittskarte in den Westen ist eine Information: Der eben gewählte nächste Präsident der USA ist ein Maulwurf des KGB. Leon Trotzky lebt in New York, sinnt auf Rache, schaut „Sesamstraße“ und wartet auf den Tag der Großen Revolution. Geschichte wiederholt sich hier – als großartige, durchgeknallte Farce.

Jerome Charyn: „The Franklin Scare“. Arbor House. New York 1977. 277 Seiten.

Ins Groteske verzerrt wie die Schatten Iwans des Schrecklichen in einem Eisenstein-Film skizziert Charyn mit bewundernswert leichter Feder die unmittelbare Nachkriegsparanoia Amerikas. „Der Franklin-Schreck“, das sind Roosevelts zwangloser Umgang mit „Joe“ Stalin, die Saufgelage bei der weltaufteilenden Yalta-Konferenz, FDRs unkonventionelle Gattin Eleanor und sein rätselhafter Barbier, der Zugang zu allem hat (Jerome Charyn bei kaliber.38).

John le Carré: „The Looking Glass War“. William Heineman. London 1965. 287 Seiten. (Deutsch als „Krieg im Spiegel“)

Le Carrés elegante Romane und seine elegischen Figuren versuchen, ihre Besinnung zu bewahren in einer durchgeknallten Welt. Sein Spiegelkrieg-Buch – hier stellvertretend für gut ein Dutzend seiner Romane genommen ‒ beschreibt, wie die Salzsäure der Paranoia in alles tröpfelt, jeden Boden aufweicht, jede Standhaftigkeit erschüttert. Als Motto dient ein Satz aus „Alice in Wonderland“, der auch unserem Noch-Innenminister Friedrich zugeschrieben sein könnte: „I wouldn’t mind being a Pawn, if only I might join…“

EenyMeenyMinyMole_coverMarcel D’Agneau: „Eeny Meeny Miny Mole“. Arlington Books. London1980. 304 Seiten.

Immer noch weiß ich, wie mir damals die Lachfältchen schmerzten, als ich diesen frühen Spoof auf LeCarrés „Tinker Tailer Soldier Spy“ las. Ein respektloser Pastiche-Ritt durch ein sich in den eigenen Stacheldraht verwickelndes Genre, ein Spaß auf vielen Ebenen. Eine kleine Idee davon scheint auf in einem auf Youtube eingestellten Spot eines fivktiven BBC-Dramas. „I can’t have two George Smileys“, sagt darin der Geheimdienstchef und verlangt einen Wettbewerb: „Who looks the most disappointed with the world.“

W. T. Tyler: „The Shadow Cabinet“. Harper & Row. New York 1984. 352 Seiten.

Mein absolutes Lieblingsbuch aus der paranoiden Kalte-Kriegs-Welt, aus der Feder eines begnadeten Stilisten und ehemaligen US-Diplomaten mit erkennbar geheimdienstlichem Hintergrund. Seine Afrika-Putschromane „Rogues March“ (1982) und „The Lion and the Jackal“ (1988) lassen William Boyds aktuellen James-Bond-Ausflug „Solo“ wie Knabenlektüre aussehen. Das Schattenkabinett Tylers sind all die kalten Krieger, denen im ersten Machtjahr Reagans bereits die Ziele für ihre Interkontinentalraketen ausgehen, weil es, Wachstum ist ja das Heiligste, einfach schon zu viele Atomraketen gibt. Eine Kriegs- und Rhetorikmaschine, die sich im Leerlauf dreht, geschildert auf einem dem großen Ross Thomas ebenbürtigen Niveau. W. T. Tyler (1929‒2008) war ein hoch interessanter Autor. Am Ende seines Lebens zerpflückte er unter seinem richtigen Namen S. J. Hamrick die sich um Philby, Maclean und Burgess rankenden Doppelagenten-Mythen, die Grundlagen so vieler Paranoiathriller. Der Titel: „Deceiving the Deceivers“ (Yale University Press, 2004). Seine Romane: The Man Who Lost the War; The Ants of God; Rogue’s March; The Shadow Cabinet; The Lion and the Jackal; Last Train from Berlin; The Consul‘s Wife. Sein Roman „The Man Who Lost the War“ enthält folgende Beschreibung:

„It was a face that seemed to deny the human element, a sort of isolation that, in banishing doubt or uncertainity, banished everything else. It was a look assumed by most searchers after truth or absolutes, the vacuum that infinity leaves behind when it terrorizes the temporal world. Some priests had it; so did most anarchists; so did men left too long at sea in open boats.“

only-the-super-rich-can-save-usUnd dann ist da noch, um noch eine Kurve zu nehmen, dann ist da noch Ralph Nader, Verbraucheranwalt und unabhängiger Präsidentschaftskandidat ohne Chancen. Sein Buch für diesen Kontext, „weder Roman, noch Sachbuch … eher ein praktisches Utopia“:

Ralph Nader: „Only the Super-Rich Can Save the World“. Seven Stories Press. New York 2009. 736 Seiten.

Siebzehn Real-life-Milliardäre, von Warren Buffett, William Gates Sr., George Soros, bis Ted Turner und Yoko Ono tun sich zusammen, um die Probleme unserer Zeit zu lösen. Bei jedem Schritt stellen sich ihnen Kräfte entgegen, die wir nur zu gut kennen. Ein ziemlich schräger, aber effektiv vorgetragener Ansatz, der jedwede Paranoia zu schüren vermag.

Wie sagte doch William S. Burroughs so schön: „Paranoia is just having the right information.“

Alf Mayer

 

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