Geschrieben am 27. November 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Zum Tod von Peter Kurzeck

Peter KurzeckAch Peta, hättest noch bleiben sollen…

Ein Nachruf auf den einzigartigen Erzähler Peter Kurzeck. Von Gisela Trahms.

Im November 2012 war er, nicht zum ersten Mal, in der schönen Buchhandlung Müller & Böhm in Heines Geburtshaus in Düsseldorf, um mit dem Fotografen Elger Esser über Literatur und Fotografie zu diskutieren. So lebhaft, so erzählfreudig sprach er über „seine“ Themen: die Erinnerung, das Reisen, das Bewahren, das Unterwegssein, das Schreiben. Ein kleiner, zarter, behender Mann mit lebhafter Mimik und Gestik, er hüpfte die Stufen hoch wie ein Eichhörnchen. Elger Esser hatte gerade ein Projekt über Proust abgeschlossen. Peter Kurzeck, dem der „Spiegel“ irgendwann das Label „deutscher Proust“ aufgepappt hatte, wurde zu seinem großen Romanprojekt befragt, dem Zyklus „Das alte Jahrhundert“, dessen fünfter Band, „Vorabend“, ein Tausendseiter, 2011 erschienen und tatsächlich und endlich ein Erfolg geworden war, sogar auf die Longlist hatte er es geschafft, welche Freude…

Daraus hatte ich ihn im Jahr zuvor lesen gehört und werde es nicht vergessen. Im genau richtigen Tempo las er, also schnell, deutlich, ohne einen einzigen Versprecher, voller Liebe für die eigenen Wörter, voller Nachsicht für die geschilderten Underdogs, die durch die Einkaufszentren irren und blind in die Fallen der Werbung tappen. Komisch war das, anrührend, grimmig, ohne Hochmut und keineswegs so aus dem Ärmel geschüttelt, wie es klang, sondern ein vielfach polierter, hochmusikalischer Text, zauberhaft. Der Saal war gepackt voll, die Zuhörer überwältigt vom Charme des Autors und der Sätze. Da hatte er nun endlich den Gipfel erreicht, der so lange unerklimmbar schien.

„Stuhl, Tisch, Lampe“ heißt eine seiner ersten CDs, in der er seine Lesungs-Anfänge schildert, wunderbar zu hören. Er war ein Erzähler, ein Genie der Mündlichkeit, von Anfang an. Und auch insofern, als er kein Ende finden konnte, er wollte ja seine ganze Lebenszeit erzählen, nicht behäbig chronologisch, sondern abschweifend und ausschweifend und in der Zeit herumhüpfend und alles mit einbeziehend, was ihm begegnete, von der „Hütt“, in der die Nachbarn und Verwandten schufteten (die Buderus-Werke in Lollar) bis zu den Geheimnissen der Igel, von den Kinderträumen bis zu den Ahnungen von Krankheit und Tod.

„Schwer auszuhalten, sagte ich, wenn man stirbt und dann tot ist und hat etwas nicht kapiert. Nicht nur bei den Igeln, sagte ich. Weiß man ja selbst. Das geht allen so, sagte ich. Und mir ist, als hätte ich noch eben genau wie die Igel einen kleinen Abendregen gehört. Nur sacht ein Rauschen und wie es vergeht. In einem fernen vergangenen Herbst. Und dann das Zischen der Reifen auf der nassen Fahrbahn, dieses Zischen, von dem die Igel immer denken, es ist für sie: es soll ihnen etwas sagen, aber sie wissen nicht was … Die Lollarer Igel also. Vielleicht nächstens ein andermal noch mal in aller Ruhe die ganze Geschichte, sagte ich, weil man immer denkt, man könnte irgendwann irgendwas einmal in Ruhe, in aller Ruhe.“ (Vorabend)

Weil immer alles gleichzeitig da ist, die Gegenwart und das Erinnerte, der Einzelne und seine Lebensmenschen, die Heimat und die Fremde, kann man die Bücher aufschlagen, wo man will, und lesen und lesen. Aber noch schöner sind die CDs, alle zusammen das Herzstück des Werkes und am schönsten jene, die bei supposé erschienen sind. Klaus Sander ist ein kongenialer Produzent, seine Sorgfalt, sein Enthusiasmus lassen Kurzecks Erzählkunst leuchten. „Ein Sommer, der bleibt“ ist keine Idylle, aber ein Wunder.

Nein, ein Proust war er nicht. Warum sollte er auch. Er war Peter Kurzeck, das reicht vollkommen. Der Nobelpreis wurde ein Ziel, wie er einmal seinem Verleger K.D. Wolff gestand, doch auch in diese Edelkiste gehört er nicht. Aber Fluch über die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, die ihm den Büchnerpreis verweigerte. Schäbig und engherzig, diese Damen und Herren, ohne Gespür für Poesie, und sollen ein Igelleben führen müssen, alle wie sie da sind. Zur Strafe.

Gisela Trahms

Foto: supposé. Rezensionen von Gisela Trahms zur Erzählkunst des Peter Kurzeck finden Sie hier, hier, hier und hier. Ein Gespärch von Wend Kässens und Peter Kurzeck finden Sie in Schrift und Ton hier.

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